Iran
Mit der Schere
Die Proteste der Zivilgesellschaft haben Europa unlängst erreicht. Nach 43 Jahren Mullah-Regime lehnen sich die Menschen im früheren Persien gegen die religiösen und politischen Führer auf und zeigen dies.
Von Paul-Philipp Braun
Freiheit, das bedeutet zu tun, was ich für richtig halte", sagt Mahsa, während sie in einem Berliner Café sitzt und über die Lage in ihrem Heimatland spricht. "Heimat", das sei ein großes Wort meint Mahsa und erzählt, wie sie vor gut vier Jahren aus Teheran wegging. Nach ihrem Studium an der örtlichen Universität wollte sie zunächst internationale Erfahrungen sammeln, wollte nach Deutschland und hier ihren Master machen. "Es ist schon lange her, dass auch mein Vater in Deutschland studiert hat", erzählt die 29-Jährige, die derzeit in Thüringen lebt und viele Verbindungen nach Berlin unterhält.
Mahsa folgte dem Beispiel ihres Vaters, ging nach Deutschland und erlebte ein Studium im Zeichen von Corona und lernte die freiheitlich-demokratische Grundordnung auf eine ganz ungewohnte Weise kennen. "Hier sehe ich immer wieder Querdenker und AfD-Anhänger, die frei gegen die Regierung demonstrieren können und sogar noch durch die Polizei geschützt werden. So etwas ist im Iran undenkbar", berichtet Mahsa und erzählt von den Herausforderungen, die ihr Heimatland gerade erlebt.
Zu Hunderttausenden gehen die Menschen im Iran derzeit auf die Straße. Sie protestieren gegen Theokratie (Herrschaftsform, bei der die Staatsgewalt allein religiös legitimiert ist) und die Bevormundung der Religionspolizei, fordern ein Ende des allgegenwärtigen Mullah-Regimes und kämpfen für gleiche Rechte von Frauen. "Das ist gerade eine Revolution, die bei uns stattfindet", sagt Mahsa. Sie hofft, dass diese erfolgreich ist: "Freie Wahlen sind in unserem Land ein Traum! Ich darf seit 12 Jahren selbst wählen und habe diese Möglichkeit nie genutzt, da am Ende eh immer die Islamisten gewinnen."
Keine Visa für eine Reise nach Deutschland
Es sind kritische Töne, die Mahsa gegen das Regime des Irans anstimmt und die im Land und in Deutschland gleichfalls gehört werden. "Mit allem Für und Wider", wie sie berichtet. So sei es nicht nur die Regierung und ihre Polizeibehörden, die gegen die Menschen im Land vorgehen würden, auch Deutschland versuche sich vor den Auswirkungen des Konflikts zwischen politischer Führung im Iran und dem Volk zu schützen. "Viele Angehörige meiner Freunde haben schon seit einigen Wochen Probleme, ein Visum zu bekommen, um nach Deutschland einreisen zu können", schildert Mahsa und berichtet von Befürchtungen, dass die Menschen aus der islamischen Republik dauerhaft hierbleiben könnten. Eine offizielle Bestätigung für dieses Verhalten deutscher Behörden gibt es derzeit jedoch nicht. Zu einem klaren und verbindlichen Abschiebestopp in den Iran haben sich die Verantwortlichen bei Bund und Ländern bisher jedoch auch noch nicht bekannt.
Atomabkommen gegen Menschenrechte
Schwierig ist die Situation derzeit jedoch nicht nur im Iran selbst, wo es täglich zu tödlichen Angriffen auf Demonstranten kommt, sondern auch in der Wahrnehmung durch andere Länder, etwa Europa oder den USA.
So berichtet Kirsten Wolandt, die bis Juli Pfarrerin der deutschen Gemeinde in Teheran war, dass zwar viele Menschen im Iran sich dem Westen eng verbunden fühlten, sie aber über die geringe mediale Wahrnehmung ihrer Proteste klagen würden. "Sie vermuten, dass der Westen sich zurückhält, weil das Interesse an der Wiedereinsetzung des Atomabkommen größer ist oder weil man eine weitere Destabilisierung der gesamten Region befürchtet. Trotzdem sollten wir so genau wie möglich hinschauen – in der Presse und in der Politik – und zu der derzeitigen Situation und den Verletzungen grundlegender Menschenrechte Stellung beziehen. Auch wenn klar ist, dass Veränderung aus dem Iran selbst kommen muss", erklärt Kirsten Wolandt.
Dennoch sei "jede Stimme in den Protesten wichtig", sagt Mahsa und betont, dass sie auch weiterhin für Veränderungen und gegen das Regime der Mullahs auf die Straße gehen wolle. "Allein schon, weil meine Mutter im Iran jeden Abend Angst um mich haben müsste, dass ich nicht nach Hause komme."
Ein Zeichen für ihre Einstellung hat sie bereits gesetzt. Bei einer Demons-tration Anfang Oktober schnitt sie sich – wie viele andere Frauen – ihre langen schwarzen Haare symbolisch ab. Es soll ein Symbol sein: für Selbstbestimmung und gegen alte Zöpfe.
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