Alle Wege führen zum Anger
Christophoruswerk Erfurt: Als der Umzug des Förderbereichs für Menschen mit Schwer- und Mehrfachbehinderungen anstand, entschied man sich bewusst für einen Standort mitten in der City.
Von Diana Steinbauer
Das neue Umfeld am Erfurter Anger ist noch ungewohnt, aber die Besucher des Förderbereichs – Menschen, die aufgrund ihrer Behinderungen nicht in den Werkstätten arbeiten können – finden sich immer besser zurecht. Straßenbahnfahren oder der Gang zur Post sind kein Problem mehr und auch die umliegenden Geschäfte und Museen lernen die Besucher nun kennen. Und es gibt so viel, das sich ihnen in einer solchen Lage eröffnet.
»Inklusion ist eine beidseitige Angelegenheit und keine Einbahnstraße«, davon ist Regina Hartung überzeugt. Hartung ist Leiterin des Christophoruswerk-Förderbereichs am Anger. In der Innenstadt haben die Besucher nun die Möglichkeit, mitten in der Gesellschaft zu leben und gesehen zu werden, kulturelle Angebote und Freizeitaktivitäten zu nutzen und sich am städtischen Leben zu beteiligen. »Wir gehen nicht nur nach draußen, wir laden auch Menschen aus dem Quartier zu uns ein«, so Hartung. Beim »Farbartisten«-Projekt des Förderbereichs zum Beispiel, malt und zeichnet die Erfurter Künstlerin Sabine Sauermilch mit den Klienten. Die Gemälde und Zeichnungen wurden bereits zur Eröffnung als Vernissage gezeigt und hängen nun in den Fluren der Einrichtung. Es gibt schon zahlreiche weitere Ideen für Begegnungen wie diese.
Gruppenräume, Ruhe- und Therapieräume, Küche, Sanitäranlagen, ein »Snoozle«-Entspannungsraum: die neue Adresse hat viel zu bieten, sodass die Besucher schnell heimisch geworden sind. »Jeder Mensch braucht eine Aufgabe«, betont Regina Hartung. So auch Menschen mit Behinderungen. Für sie bietet der Förderbereich sinnvolle Tätigkeiten an, die fordern und fördern. In einem der hellen Räume wird zum Beispiel gezeichnet, nebenan in der Küche sitzt eine Gruppe zusammen, um Kuchen zu backen. »Unser Schwerpunkt liegt auf der Förderung und Festigung von alltagspraktischen Dingen«, erklärt Regina Hartung. Kochen, Backen, Tischdienst oder auch die Zubereitung des Frühstücks gehören dazu.
Wer erschöpft ist, kann sich in einem der Ruheräume hinlegen oder den »Snoozle«-Raum nutzen. »Snoozle« (englisch für »schlummern«) ist ein besonderes Entspannungskonzept aus den Niederlanden: Hier kann man auf dem Wasserbett entspannen, während eine Wassersäule oder eine Licht- und eine Musikanlage verschiedene Impulse geben.
Ein besonderes Schmankerl der Einrichtung ist die weitläufige Terrasse über den Dächern der Stadt. Sie soll nicht nur den Besuchern und Betreuern im Frühling und Sommer zur Verfügung stehen. Hierher sollen auch Menschen kommen, die nicht zur Einrichtung gehören. Über Konzepte dafür wird gerade nachgedacht. Vorstellbar ist, dass Menschen mit und ohne Behinderungen hier beisammen sitzen, den Blick auf die Lorenzkirche und den selbstgebackenen Kuchen aus der hauseigenen Küche genießen.
Das Christophoruswerk Erfurt hat einen für Förderbereiche ungewöhnlichen Schritt gewagt und ist in die Innenstadt gegangen, mitten ins Getümmel. Es bleibt zu hoffen, dass viele Menschen den Ort als Einladung begreifen und verstehen und leben, was Inklusion bedeutet.
Christophoruswerk Erfurt
Gemäß dem Leitbild »Leben ist mehr« erfahren mehr als 750 Menschen mit Behinderungen, psychischen Erkrankungen oder sozialen Beeinträchtigungen individuelle Unterstützung für ein selbstbestimmtes Leben – in Werk- und Tagesstätten, Wohnangeboten sowie einer Förderschule. An 21 Standorten in Erfurt und Gotha sind 350 Mitarbeiter und Ehrenamtliche beschäftigt. Träger der Einrichtung ist der Caritasverband für das Bistum Erfurt e. V. und der Evangelische Kirchenkreis Erfurt.
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