Tipp
Der Mann mit der Lutherrose
Ab 15. Juni wird es wieder möglich, die Lutherzelle oder den Kreuzgang zu besichtigen. Michael Utzel führt seit vier Jahren Interessierte durchs Kloster. Bernd Prigge hat mit dem 39-jährigen Religions-wissenschaftler gesprochen.
Was gefällt Ihnen an Ihrer Tätigkeit als Führer im Kloster?
Michael Utzel: Es hat ganz viel davon, sein Hobby zum Beruf zu machen. Ich habe die Gelegenheit, verschiedenen Menschen einen Einblick in ein Thema zu geben, das mir sehr am Herzen liegt. Am meisten freue ich mich, wenn Gäste nach der Führung sagen, dass sie einen neuen Denkansatz haben.
Reicht die Identifikation so weit, dass Sie sich sogar ein Tattoo mit einer Lutherrose stechen ließen?
(lacht) Das ist eher ein passender Zufall. Das Vorbild der Lutherrose findet sich ja im Löwen- und Papageienfenster des Augustinerklosters. Ich habe in Erfurt Evangelische Religionslehre studiert und vor ein paar Jahren sah es so aus, als ob ich wegziehen würde. Als eine Art Erinnerung an Erfurt, den Ort des Protestantismus, schien es mir eine schöne Idee zu sein. Dann bin ich aber doch hiergeblieben und kurz darauf habe ich im Kloster angefangen. So traf es sich, dass ich quasi das „Firmenlogo“ schon tätowiert hatte.
Sie machen auch Abendführungen bei Kerzenschein durchs Kloster mit Gute-Nacht-Tropfen im Klosterkeller. Ist dabei die Atmosphäre eine andere?
Natürlich, allein schon die Ruhe, die der Ort am Abend ausstrahlt, ist magisch, und das direkt in der Innenstadt. Durch die Dunkelheit wird nicht nur alles etwas mystischer, auch der Ort bekommt einen ursprünglicheren Charakter. Es hat zugleich aber auch ein bisschen von "Geschichte erleben". Als das Kloster errichtet wurde, gab es kein elektrisches Licht. Die Mönche standen meist 2 Uhr nachts auf und begaben sich in die Kirche. Mit Kerzen durch den Kreuzgang zu gehen, lässt ein bisschen das Leben der Mönche im Mittelalter in der heutigen Welt anklingen. Wobei Kerzen damals ein Luxusgut waren.
Sind Ihnen auch schon mal kuriose Dinge untergekommen?
Da fallen mir einige Situationen ein, beispielsweise eine Gruppe Bischöfe der evangelischen und katholischen Kirche, die 2011 beim ökumenischen Gespräch mit Papst Benedikt XVI. dabei waren. Am Ende war ich derjenige, der eine Führung bekam. Auch im Jahr des Reformationsjubiläums hatte ich immer wieder Reiseleiter, die im Grunde die Speerspitze der Reformationsforschung in Deutschland sind. Da wird man schnell vom Führenden zum Geführten. Aber gerade das macht es so spannend. Das Kloster ist immer wieder Anlaufpunkt für Menschen unterschiedlicher Herkunft und daher auch Ort des Austausches. Das erwartet man ja nicht unbedingt von einer Attraktion.
Luther war nach dem Weggang nach Wittenberg im Kloster nicht mehr gern gesehen. Eine tragische Geschichte, oder?
Einige Verbindungen zum Kloster blieben ja bestehen. Man denke an Johannes Lang, den damaligen Prior und Mitinitiator der lutherischen Bibelübersetzung. Bei Luthers letzter Predigt im Augustinerkloster, auf dem Weg nach Worms 1521, war die Kirche brechend voll.
Die Beziehungen zum Konvent waren vielleicht etwas belastet, aber spätestens mit der Reformation wurden viele der Erfurter Mönche Mitstreiter Luthers. 1522 trat mindestens ein Drittel der Mönche aus dem Kloster aus und schloss sich der Reformation an.
Sie schreiben Ihre Masterarbeit über Johannes Zachariae. Er war ein prominenter Augustiner-Eremit und wurde in der Augustinerkirche beigesetzt. Sein Epitaph liegt vor dem Hauptaltar. Einst sagte man, er hätte eine unrühmliche Rolle bei der Verurteilung von Jan Hus als Ketzer bei dem Konstanzer Konzil gespielt. Nun ist die Forschung anderer Meinung. Warum?
Es gibt keine Quelle, die belegt, dass Zachariae vor der Verbrennung von Hus in Konstanz war. Und der einzige Beleg für die Geschichte in Konstanz ist Luther selbst, und das über 100 Jahre später. Dazu kommt, dass die Legende ein bisschen das Herzstück der lutherischen Erinnerungskultur in Erfurt wird.
Oder wie ein lokaler Stadthistoriker des 19. Jahrhunderts mal sagte: "Der Zachariae-Stein ist die einzige Stelle in Erfurt, von der wir sagen können, dass Luthers Körper unmittelbar mit ihr in Verbindung trat. Er muss deshalb von uns besonders wertgehalten werden."
Luther hatte einen guten Freund im Kloster gefunden: Johannes Lang. Von ihm lernte er Griechisch. Lang wurde dann der Stadtreformator Erfurts. Ohne Lang hätte wahrscheinlich Luther nie sein „Zurück zu den Quellen“ praktizieren können. Doch Lang kennt heute kaum einer mehr.
Eigentlich schade, nicht nur in der Reformationsforschung ist er oft eine Randfigur, sondern auch in der Stadtgeschichte. Zum Glück ist die Person Lang und seine Funktion als Netzwerker der frühen Reformation in den letzten Jahren vermehrt in den Blick getreten. Zum einen konnte vor Kurzem erst der Grabstein Langs in der Erfurter Michaeliskirche aufgefunden werden. Zum anderen kommt man hinsichtlich Luthers Bibelübersetzung nicht an Johannes Lang vorbei.
Haben Sie einen Lieblingsort im Kloster?
Zwei sogar: Der Garten des Klosters, der eine wunderbare Oase der Ruhe ist, gerade im Sommer, wenn draußen schon mal Trubel herrscht. Und natürlich die Bibliothek des Evangelischen Ministeriums, die sich im alten Dormitorium befindet. Nicht nur wegen der vielen einzigartigen Bücher, sondern auch wegen der Schönheit dieses Raums an genau dieser Stelle. Eine Kombination, die Geschichte atmet und Luther bestimmt gefallen hätte.
Ab 19. Juni, Führungen: „Luthers schlaflose Nächte in Erfurt“ – bei Kerzenschein mit Gute-Nacht-Tropfen im Klosterkeller
augustinerkloster.de/fuehrungen
Autor:Online-Redaktion |
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