Vom Himmel hoch, da komm ich her
Der 1990 gestohlene und 2012 auf einem Berliner Trödelmarkt wiederentdeckte Taufengel der Schlosskirche von Ilsenburg schmückt frisch restauriert die dortige Marienkirche.
Von Angela Stoye
Als die drei als Engel gekleideten Mädchen die Schleife lösten und das Tuch abnahmen, ging ein Raunen durch die versammelte Gemeinde. Zum Vorschein kam ein frisch restaurierter, leuchtender Taufengel, der am 1. Advent in der Marienkirche von Ilsenburg im Kirchenkreis Halberstadt nach der Enthüllung zur Decke emporschwebte. »Für die alten Ilsenburger war das besonders bewegend«, sagt Peter Müller. Nicht nur der Pfarrer aus der Harzstadt ist froh, dass mit einem festlichen Nachmittag eine jahrzehntelange Geschichte ein schönes Ende fand.
Der um das Jahr 1695, wahrscheinlich von Bastian Heidekamp, angefertigte Engel gehörte zusammen mit einigen anderen in die Ilsenburger Schlosskirche, die einstige romanische Klosterkirche St. Peter und Paul. In den 1950er-Jahren stand er zeitweilig auf dem Dachboden, wo ihn Walter Bolze, Leiter der Halberstädter Außenstelle des Kirchlichen Bauamtes, fotografierte. Da fehlten dem Engel schon die Flügel. Auch die Taufschale, die er einst in seiner rechten, vorgestreckten Hand hielt, war weg. Unzweifelhaft gibt das Schwarz-Weiß-Foto wieder: das freundliche, von Locken umrahmte Gesicht, das faltige Obergewand, die antikisierenden Schuhe und das mit Blumen bemalte Untergewand.
»Das ist schon etwas Besonderes«, sagt Kirchenkonservatorin Dr. Bettina Seyderhelm (Magdeburg). Insgesamt gebe es in der Evangelischen Kirche in Mitteldeutschland nur noch drei Engel mit einem ähnlich bemalten Gewand. Einer davon ist der aus Schwanebeck bei Halberstadt, der sich heute in Neustadt im Kirchenkreis Südharz
befindet.
Die Geschicke des Engels sind eng mit der Schlosskirche verknüpft. Die Kirchengemeinde, der sie gehörte, durfte sie 1967 zum letzten Mal benutzen und musste sie danach an den Staat verkaufen. Das Inventar blieb aber zu allen Zeiten ihr Eigentum. Nur einmal im Jahr durfte die Gemeinde von da an das Gebäude betreten und nach dem Rechten sehen. Der Engel wurde in den 1980er-Jahren noch einmal in einem Vertrag genannt und um die Wendezeit gestohlen.
Im März 2012 entdeckte der Restaurator Dirk Jacob die etwa 1,50 Meter hohe Figur in Berlin auf einem Antik- und Trödelmarkt und verständigte die Magdeburger Kunstreferentin. In Zusammenarbeit der Polizei in Sachsen-Anhalt und Niedersachsen wurde dann der Engel bei einem Kunsthändler in Hannover sichergestellt und später, nachdem er eindeutig als Eigentum der Ilsenburger Kirchengemeinde identifiziert worden war, der Landeskirche übergeben. Dabei war das Buch »Taufengel in Mitteldeutschland. Geflügelte Taufgeräte zwischen Salzwedel und Suhl« sehr hilfreich, in dem auch alle »verlorenen Engel« verzeichnet sind.
Nach Jahrzehnten auf dem Dachboden und anschließend in vermutlich sehr trockener Umgebung war der Engel in einem traurigen Zustand. Die originale barocke Farbfassung war an vielen Stellen ausgebrochen und Risse zogen sich durch das darunter sichtbar gewordene Holz. 6 000 Euro waren für die Restaurierung notwendig. 5 000 übernahm die Kirchliche Stiftung Kunst- und Kulturgut, der Rest stammt aus Spendenmitteln. Restaurator Dirk Jacob gab dem Engel im Zuge seiner Arbeiten zusammen mit einem Bildhauer auch Flügel und Taufschale zurück.
Mit Beginn des neuen Kirchenjahres ist der Taufengel in Ilsenburg zurück – aber nicht in der Schloss-, sondern in der Marienkirche. Hier schwebt er, in sicherem Abstand vor der Wärmestrahlung der neuen Deckenheizung, und lächelt den Besuchern zu. Auch künftig wird die Kirchengemeinde für Taufen das Taufbecken benutzen. »Aber der Engel hängt in der Nähe und wird jede Taufe von seinem Platz aus ›beobachten‹«, schmunzelt Pfarrer Müller.
Autor:Adrienne Uebbing |
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