Nach dem Anschlag in Magdeburg
Wie Seelsorge Betroffenen helfen kann

Psychologen helfen bei der Bewältigung von Traumata. Bei Anschlägen wie in Magdeburg oder in Aschaffenburg können auch nach Jahren noch psychische Leiden verursachen: | Foto: stock.adobe.com/VadimGuzhva
  • Psychologen helfen bei der Bewältigung von Traumata. Bei Anschlägen wie in Magdeburg oder in Aschaffenburg können auch nach Jahren noch psychische Leiden verursachen:
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Magdeburg/Wittenberg (epd). Durch den Anschlag auf den Magdeburger Weihnachtsmarkt am 20. Dezember wurden sechs Menschen getötet und über 300 verletzt. Doch die Zahl der Betroffenen ist noch viel größer, rund 600 haben sich bis Mitte Januar beim Bundesopferbeauftragten gemeldet. Viele sind körperlich unversehrt, aber psychisch belastet. Zu den Kliniken in Sachsen-Anhalt, die sich um Traumatisierte kümmern, gehört die katholische Alexianer Klinik Bosse in Wittenberg. Uwe Bartlick arbeitet dort als Psychotherapeut. Aus seiner Sicht kann auch christliche Seelsorge bei der Traumabewältigung helfen. Oliver Gierens (epd) hat mit ihm gesprochen.

epd: Wenn wir über Verletzte und Betroffene reden, dann geht das ja weit über körperlich verletzte Menschen hinaus. Welche Personengruppen zählen dazu?
Uwe Bartlick: Dazu zählen einmal die Opfer selber und diejenigen, die in irgendeiner Weise Zeugen dieses Geschehens geworden sind und unmittelbar erlebt haben, was dort passiert ist. Zu den Betroffenen zählen aber auch die Angehörigen, die vielleicht gar nicht direkt an dem Geschehen beteiligt waren, aber mit den Folgen zu tun haben.

epd: Wie äußert sich eine Traumatisierung, was sind die typischen Symptome?
Bartlick: Das ist sehr unterschiedlich. Wenn ein traumatisches Ereignis eintritt, gibt es erstmal Ad-hoc-Symptome. Das äußert sich zum Beispiel darin, dass Patienten erstmal gar nicht fassen können, was da passiert ist. Viele sind auch erst einmal hilflos. Danach können sehr unterschiedliche Reaktionen auftreten. Es gibt viele Menschen, die reagieren mit akuten Symptomen, zum Beispiel, dass sie immer noch Bilder von dem Geschehen sehen oder das Gefühl haben, Geräusche zu hören. Viele haben Schlafstörungen oder eine innere Unruhe, vor allem in den Tagen nach dem Ereignis. Bei vielen Menschen klingt das schrittweise wieder ab, aber es gibt einen gewissen Prozentsatz, der traumabedingte Folgeschäden entwickeln kann. Da gibt es zum einen die klassischen posttraumatischen Belastungsstörungen als eigenständiges Krankheitsbild, aber es können auch Angststörungen oder depressive Störungen sein.

epd: Warum gibt es manchmal einen Verzögerungseffekt, bei dem psychische Beschwerden erst nach Wochen, Monaten oder Jahren auftreten?
Bartlick: Das hat etwas mit dem Wesen des Traumas selber zu tun. Häufig werden Dinge vermieden. Die Menschen versuchen, es aus dem Bewusstsein zurückzudrängen. Dann kann es manchmal Trigger geben, die das plötzlich wieder in den Vordergrund bringen. In einer Hocherregungssituation arbeitet das Gehirn nicht wirklich gut. Man speichert das Erlebte oft vorsprachlich ab. Wenn dann Trigger auftreten, dann kann plötzlich etwas reaktiviert werden, für das man erstmal keine Worte gefunden hat. Das kann auch deutlich nach dem Ereignis geschehen. Es kann Menschen geben, die ihren Alltag zu leben versuchen und nicht über das Trauma sprechen. Sie ziehen sich mehr zurück, aber wenn sich Lebensumstände ändern, in denen dieser Mechanismus nicht mehr funktioniert, dann werden die Symptome oft deutlicher und treten stärker in den Vordergrund.

epd: Wie helfen Sie den Traumatisierten, genügen meistens Gespräche?
Bartlick: In der Akutsituation geht es erstmal darum, Beistand zu leisten, da zu sein. Da geht es nicht darum, viel zu reden, sondern Sicherheit zu geben. Erst später, wenn sich eine Traumafolgestörung entwickelt hat, dann gibt es sehr unterschiedliche Methoden. Eine Angststörung ist etwa oft dadurch gekennzeichnet, dass Betroffene bestimmte Situationen vermeiden. Dann würde man ganz klassisch psychotherapeutisch arbeiten, indem man versucht, den Patienten schrittweise heranzuführen. Bei posttraumatischen Störungen geht es darum, zu schauen, wie emotional stabil der Betroffene ist. Wenn man das Gefühl hat, es ist tragfähig, würde man versuchen, ihn mit dem Trauma zu konfrontieren, sodass er sich damit auseinandersetzen kann. Es geht darum, dass die Patienten das Geschehene anders verarbeiten können und nicht unmittelbar emotional intensiv reagieren. Eine Maßnahme könnte etwa sein, an den Ort des Geschehens zu gehen, um ihm in der Situation die Sicherheit zu vermitteln, dass er den Ort auch erleben kann, ohne dass etwas Schlimmes passiert.

epd: In wie vielen Fällen reicht eine Akuthilfe aus und wie häufig müssen Patienten weiterbehandelt werden?
Bartlick: Das hängt von der Art des Traumas ab. Man weiß aus der Forschung, dass Traumata, die nicht unter unserer Kontrolle liegen, etwa Naturereignisse wie Erdbeben, besser verarbeitet werden als von Menschen verursachte Traumata. Man geht ungefähr davon aus, dass im Durchschnitt gut acht Prozent der Männer und 20 Prozent der Frauen eine Traumafolgestörung entwickeln, wobei bei menschenverursachten Traumata die Quote zwischen 40 und 60 Prozent liegt. Es hängt auch davon ab, wie intensiv jemand das Geschehen emotional erlebt hat. Ganz wichtig in der Ersthilfe. Je besser ich mich aufgehoben und geborgen fühle, je besser mein soziales Umfeld ist, das mich auffängt, desto mehr bin ich in der Lage, das traumatische Geschehen zu verarbeiten.

epd: Sie arbeiten in einem katholischen Krankenhaus. Spielt Seelsorge eine Rolle bei der Traumabewältigung und lassen sich Patienten darauf ein?
Bartlick: Die Seelsorger sind als Ansprechpartner hier im Haus. Das hängt aber davon ab, wie sehr der Patient selber im Glauben steht. Für viele ist der Glaube durchaus ein stabilisierender Faktor, das Gefühl zu wissen, dass mich jemand beschützt und begleitet. Wir erleben aber auch immer wieder, dass gerade bei Gläubigen durchaus auch manchmal Zweifel kommen können. Sie fragen sich dann, „was habe ich getan, dass ich so bestraft werde?“. Da ist die Seelsorge ein guter Ansprechpartner, um diese Themen aufzufangen.

epd: Wie viele Menschen werden ihr Leben lang an den psychischen Folgen des Erlebten leiden?
Bartlick: Das hängt davon ab, wie schnell Hilfe greifen kann. Wir sehen jetzt in Magdeburg, dass es ganz viele Initiativen gibt, die darauf abzielen, den Opfern und Beteiligten zu helfen. Von unserem Berufsverband gibt es einen Aufruf, Kapazitäten für die Opfer und Beteiligten zu schaffen. Auch die Traumaambulanzen bieten Hilfe an. Je früher hier Hilfe greift, desto eher besteht die Chance, dass das Erlebte gut verarbeitet wird. Auch die politische Aufarbeitung des Ereignisses ist wichtig. Bei ganz vielen Menschen erzeugen solch traumatische Erlebnisse eine Unsicherheit in dem Urvertrauen, dass einem so etwas nicht passieren kann. Es ist wichtig, so etwas aufzuarbeiten und sich klarzumachen, dass man selber keine Schuld hat und die Welt doch im Wesentlichen sicherer ist, als wir es jetzt erleben.

Autor:

Oliver Gierens

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