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Orientierungssuche zwischen Luftblasen

Viele der weit über 100 Gottesdienstbesucher legten Zettel mit ihren persönlichen Fastenvorhaben in einer Schatulle ab. | Foto: Jürgen Glocke
  • Viele der weit über 100 Gottesdienstbesucher legten Zettel mit ihren persönlichen Fastenvorhaben in einer Schatulle ab.
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Aschermittwochsgottesdienst in Wasungen: Frage nach Idealen und Leitbildern – nicht nur für die Fastenzeit

Von Jürgen Glocke

In einer Karnevalshochburg wie Wasungen wird, wenn es gilt, ein Motto für den Aschermittwochs-Gottesdienst zu finden, gern dem närrischen Volk aufs Maul geschaut. Das diesjährige Motto der fünften Jahreszeit »Mie lasse ons näest söe« (Wir lassen uns nichts sagen) inspirierte den Gottesdienst-Ausschuss um Pfarrer Stefan Kunze zu dem kontradiktorischen Spruch: »Zont lasst euch ebbes söe« (Jetzt lasst euch etwas sagen).
Für beides – sich nichts wie auch sich etwas sagen zu lassen – bedürfe es eines gewissen Mutes, betonte der Pfarrer und warf die Frage auf, was heute im postfaktischen Zeitalter noch Bedeutung habe. Was taugen die traditionellen Werte noch, woran kann man sich noch halten, wem vertrauen? Die nächsten Minuten sollten es zeigen.
Mitglieder des Gemeindekirchenrates stellten je einen – auf einem Luftballon geschriebenen – Begriff zur Diskussion. Pfarrer Kunzes Amtsbruder Thomas Perlick aus Römhild hatte dazu Gedanken verfasst, die von Kirchenratsmitglied Roland Artus vorgetragen wurden.
Vertrauen – wie weit ist es damit her, wenn die Zuversicht erschlafft? Oder das Miteinander – wie steht es darum, wenn alle nur noch »solo« denken? Und die Zufriedenheit – erwächst aus ihr im Überfluss nicht Unzufriedenheit? Wie steht’s um die Gerechtigkeit – wo jeder weiß, auf Erden kommt der größte Streit zumeist aus Ungerechtigkeit? Und die Freiheit – ist sie nicht schier grenzenlos hier und heute und doch bleibt der Mensch bei allem, was er treibt, an sich selbst gekettet? Nicht zuletzt die Toleranz – auch nur noch Firlefanz? »Sollten das wirklich alles nur noch Blasen sein, die zerplatzen, wenn man etwas daran kratzt«, fragte Pfarrer Kunze. Sprachs und ließ Ballon für Ballon mit einem Nadelstich platzen.
Wo also noch Halt finden, wo Orientierung? Bei Gott? Einem Gott, der nicht wagt, die Welt zu stören, der Krieg, Gewalt und Mord zulässt und der nie sichtbar wird. »Wer Gott annimmt, den wird er nicht verlassen«, hielt Pfarrer Kunze entgegen und ermunterte zu mehr Gottvertrauen. Dem letzten Ballon – mit der Aufschrift »Gott« – blieb die Nadel erspart. Stattdessen ließ man ihn sanft in die Höhe steigen.
Was die Gottesdienstbesucher aus all dem ableiten mögen, gerade jetzt in der Passionszeit, bleibt jedem Einzelnen von ihnen überlassen. Ein Hilfsmittel, das zum »Worte fasten« anregen soll, wurde jedem Besucher mit auf den Weg gegeben: eine kleine Spardose. Für jeden Spruch, jede Redewendung, jeden Fluch, mit dem man seine Mitmenschen nervt, soll ein kleiner Obolus in der Dose klimpern. Es könnte ein Anfang sein, mehr auf seine Worte zu achten. Geht doch das Wort oft der Tat voran – im Guten wie im Bösen.

Autor:

Kirchenzeitungsredaktion EKM Süd

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