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Als die Flüchtlinge ein Gesicht bekamen 

Im Ballhäuser Pfarrhaus: Dorothea Schröder (li.), Feyzieyeh Wahidi und ihre Kinder Mahjuba, 
Sajjad und Mohaddisi sowie Marlies Willnow (re.) | Foto: Anke Pfannstiel
  • Im Ballhäuser Pfarrhaus: Dorothea Schröder (li.), Feyzieyeh Wahidi und ihre Kinder Mahjuba,
    Sajjad und Mohaddisi sowie Marlies Willnow (re.)
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Gemeinde Ballhausen nahm 2015 eine afghanische Familie auf

Von Anke Pfannstiel 

Warmer Lichtschein dringt aus dem alten Pfarrhaus von Ballhausen. Drinnen bietet Feyzieyeh Tee gegen die winterliche Kälte an – auf Deutsch natürlich. Für die 30-Jährige ist es selbstverständlich, dass sie jede Gelegenheit nutzt, die neue Sprache zu lernen. Für die Töchter Mahjuba (9), Mohaddisi (5) und den Jüngsten Sajjad (1) ist es bereits die eigene Sprache.
2015 kam die Familie Amadi nach Deutschland. Geflohen aus Afghanistan. »Dort ist es nicht sicher, immer Krieg«, erklärt Feyzieyeh. In dieser Zeit haben auch Dorothea Schröder und Marlies Willnow die Bilder der massenhaft ankommenden Flüchtlinge ständig im Kopf. Im alten Pfarrhaus, wo das Ehepaar Schröder lebt, ist doch Platz, eine Familie aufzunehmen. Wenigstens einen kleinen Beitrag leisten. Diesen Plan trugen die Ehrenamtlerinnen wenig später im Gemeindekirchenrat vor. Der Pfarrer und die Kirchengemeinde unterstützten sie.
Kurz darauf brach der Sturm los: Unterschriftensammlungen, Proteste mit Schildern wie »Refugees not welcome« und menschenverachtende Äußerungen im Gemeinderat, wo sie ihr Anliegen vortrugen, obwohl die Zustimmung gar nicht erforderlich war. »Ich habe den Ort in einer für mich nicht vollstellbaren Weise kennengelernt. Am Schlimmsten für mich war das Schweigen der Mehrheit«, sagt Dorothea Schröder. Sie zweifelten daran, ob ihr Vorhaben überhaupt zu verantworten war. Doch einknicken wollten sie auch nicht –
schließlich war der Bedarf nach Hilfe riesig, die Angebote hingegen mehr als überschaubar.
Am Tag nach dem Einzug der Familie lag schließlich ein Schweinekopf vor der Pfarrhaustür. »Wir haben es angezeigt und hätten uns wohl viel eher auf diese Art wehren sollen«, blickt Dorothea Schröder zurück. Fortan wurde es ruhiger. Stattdessen bekamen »die Flüchtlinge« in »den Amadis« ein Gesicht. Plötzlich gab es eine große Hilfsbereitschaft: Kleidung, Hausrat, Spielzeug wurden gespendet. Zwar blieb vom Helferkreis bald nur ein harter Kern weniger Familien übrig, doch das sei akzeptabel.
Denn, daraus machen sie keinen Hehl, es ist eine schwierige, langwierige Aufgabe. Zur zermürbenden, fast zweijährigen Wartezeit bis zum Abschiebeverbot, in dem die Eltern weder Anspruch auf einen Deutsch- noch auf einen Integrationskurs haben und zum Nichtstun verdammt sind, kommen die kulturellen Unterschiede. Ali, der es nicht verstehen kann, nicht mit seiner Hände Arbeit die Familie zu ernähren, und dem es schwer fällt, Deutsch zu lernen.
Dem gegenüber steht die Freude darüber, wie unkompliziert und schnell die Integration der Kinder gelingt – die Große steigt zum Halbjahr in die erste Klasse ein und schafft den Wechsel in die zweite mühelos.
Und erst recht ihre Mutter, Feyzieyeh: Ehrgeizig und zielstrebig paukt sie Deutsch – ohne Kurs. Mit erstaunlichem Erfolg! Sie hat Ziele: will eine weitere Ausbildung machen, Dolmetscherin werden; in Afghanistan arbeitete sie in einem Krankenhauslabor.
Und auch die Sorge, der Glaube stelle eine Barriere dar, erweist sich als unbegründet. Für die Amadis als Muslime ist es kein Widerspruch, am Leben der evangelischen Gemeinde teilzunehmen und den eigenen Glauben zu leben. Was sie hingegen irritiert ist die Vorstellung, gar keinen Glauben zu haben.
Dennoch entscheiden sie sich gegen die Zukunft auf dem Land. Denn die berufliche Entwicklung ist schwierig, die schlechte Anbindung mit öffentlichen Verkehrsmitteln ein Haupthindernis im praktischen Alltag. Ende Februar ist Familie Amadi deshalb nach Sömmerda umgezogen. Im alten Pfarrhaus ist jetzt wieder mehr Platz. Und die Ehrenamtlichen sind um eine zum Teil schmerzliche, am Ende aber vor allem wertvolle Erfahrung reicher. 

Autor:

Online-Redaktion

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