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"Judensau"-Schmähplastik
Gericht: Plastik ist als Teil eines Mahnmals keine Beleidigung mehr

Foto: epd bild/ Steffen Schellhorn
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Naumburg (epd). Die als Wittenberger "Judensau" bekannte Schmähplastik muss vorerst nicht von der Stadtkirche der Lutherstadt abgenommen werden. Der 9. Zivilsenat des Oberlandesgerichtes Naumburg wies am Dienstag eine Berufungsklage zurück und bestätigte somit ein Urteil des Landgerichts Dessau-Roßlau.

Der Kläger, Mitglied einer jüdischen Gemeinde, hatte die Abnahme der Plastik aus dem 13. Jahrhundert verlangt, weil er sich durch diese als "Saujude" und das "ganze Judentum" diffamiert sieht. Dagegen urteilte der Senat, das Gedenkensemble mit dem Relief stelle heute keine Missachtung von Juden mehr dar. Die Stadtkirchengemeinde habe ihre Distanzierung von dem schmähenden Charakter des Reliefs deutlich gemacht. (OLG Naumburg 9 U 54/19)

Dem Kläger stehe ein Beseitigungsanspruch nicht zu, weil das Relief aktuell weder beleidigenden Charakter habe noch das Persönlichkeitsrecht des Klägers verletze, führte der Vorsitzende Richter Volker Buchloh zur Urteilsbegründung aus. Unstreitig sei aber, dass das Relief zur Zeit seiner Entstehung Juden verächtlich machen sollte.

Das Relief sei aber durch die beklagte Stadtkirchengemeinde heute in ein Gedenkensemble eingebunden. Eine Info-Tafel zeige, dass sich die Stadtkirchengemeinde unmissverständlich von den Judenverfolgungen und den antijudaistischen Schriften Martin Luthers distanziere. Seit 1988 gibt es auch ein Mahnmal an der Stadtkirche.

Der Kläger hatte argumentiert, dass eine Beleidigung eine Beleidigung bleibe, auch wenn sie kommentiert werde. Aus Sicht des Gerichtes widerspricht dieses Argument der vom Kläger geforderten Unterbringung der "Judensau" im Museum. Die Gefahr, dass die Plastik als Teil der religiösen Verkündung wahrgenommen werde, besteht nach Einschätzung des Gerichtes eben durch das Gedenkensemble auch nicht mehr. In dem Zusammenhang verwies der Vorsitzende Richter auch darauf, dass Sprüche an KZ-Gedenkstätten wie "Arbeit macht frei" ebenfalls heute nicht mehr als Beleidigung zu sehen seien, weil sie umgestaltet Teil eines Gedenkomplexes seien. Hier seien durchaus Parallelen zu sehen.

Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig. Binnen eines Monats nach Zustellung des Urteils kann noch Revision beim Bundesgerichtshof in Karlsruhe eingelegt werden. Das OLG in Naumburg ließ die Revision zu, wegen der grundsätzlichen Bedeutung und der Frage, wie mit der Herabwürdigung von Personengruppen in solchen zivilrechtlichen Fragen zu verfahren sei. Der Vorsitzende Richter wies darauf hin, dass es neben dem Relief in Wittenberg auch an zahlreichen anderen Kirchen in Deutschland solche Schmähplastiken gebe.

Die beklagte Kirchengemeinde ist Eigentümerin der unter Denkmalschutz stehenden und zum Unesco-Welterbe gehörenden Stadtkirche in Wittenberg. In der Vorinstanz hatte das Landgericht Dessau-Roßlau am 24. Mai 2019 die Klage abgewiesen, weil es den Tatbestand der Beleidigung nicht als erfüllt ansah. Das Relief sei Bestandteil eines historischen Gebäudes und befinde sich nicht unkommentiert an der Mauer der Stadtkirche.

Die Plastik zeigt eine Sau, an deren Zitzen sich Menschen laben, die Juden darstellen sollen. Ein Rabbiner blickt dem Tier unter den Schwanz und in den After.

Schuster: Eindeutige Erklärung zur "Judensau" notwendig

Drei Fragen an den Präsidenten des Zentralrates der Juden in Deutschland, Josef Schuster

epd-Gespräch: Romy Richter

Berlin (epd). Der Fall der als "Wittenberger Judensau" bekannten Schmähplastik an der Stadtkirche der Lutherstadt Wittenberg liegt wieder vor Gericht. Am Dienstag wird ein Urteil im Berufungsprozess am Oberlandesgericht in Naumburg erwartet. Eine gerichtlich angeordnete Abnahme des Reliefs gilt als eher unwahrscheinlich. Viele Stimmen fordern jedoch die Unterbringung des Reliefs im Museum. Der Präsident des Zentralrates der Juden, Josef Schuster, begrüßt gegenüber dem Evangelischen Pressedienst (epd) die Debatte, die mittlerweile über solche Bildwerke geführt wird und fordert zugleich eine klare Einordnung in den historischen Kontext.

epd: Wie sehen Sie die Debatte, die derzeit um dieses Schmährelief und ähnliche Plastiken an Kirchen in Deutschland geführt wird? Sollte es aus Ihrer Sicht abgenommen und in ein Museum gebracht werden?
Schuster: Dass heutzutage über solche Bildwerke in Kirchen diskutiert wird, ist zu begrüßen. Wenn das Relief in Wittenberg hängen bleiben soll, sollte dort auf jeden Fall eine Tafel angebracht werden, die es eindeutig erläutert und in den historischen Kontext einordnet.
epd: Es gibt auch an anderen Kirchen in Deutschland ähnliche Schmähplastiken. Wie sollte man damit umgehen? Wäre es wünschenswert, wenn es dazu eine gerichtliche Klärung gebe, die alle diese Plastiken berücksichtigt?
Schuster: Die Debatte in Wittenberg hat sicherlich auch an anderen Orten zum Nachdenken geführt. Ich denke, dass die betroffenen Kirchengemeinden für sich zu einem Urteil kommen können, wie sie damit umgehen, ohne dass es einer grundsätzlichen Gerichtsentscheidung bedarf.
epd: Hat sich Ihre Position auch gerade vor dem Hintergrund des antisemitischen Anschlags in Halle im vergangenen Jahr geändert?
Schuster: Nein, ich fände es übertrieben, von solchen Darstellungen aus vergangenen Jahrhunderten eine direkte Linie zum Anschlag in Halle zu ziehen. Daher war meine Position zum Relief in Wittenberg vor dem Anschlag die gleiche wie heute.

Das Stichwort: Die Wittenberger "Judensau"

Wittenberg (epd). Das Sandsteinrelief wurde um das Jahr 1300 an der Südfassade der Stadtkirche Wittenberg angebracht. Es zeigt eine Sau, an deren Zitzen sich Menschen laben, die Juden darstellen sollen. Ein Rabbiner blickt dem Tier unter den Schwanz und in den After. Schweine gelten im Judentum als unrein.

Mit solchen Darstellungen sollten Juden im Mittelalter unter anderem davon abgeschreckt werden, sich in der jeweiligen Stadt niederzulassen. Ähnliche Spottplastiken finden sich auch am oder im Kölner und Regensburger Dom sowie am Dom zu Brandenburg.

Über der Wittenberger "Judensau" prangt wohl seit 1570 zusätzlich der Schriftzug "Rabini Schem HaMphoras", ein hebräischer Verweis auf den unaussprechlichen Namen Gottes bei den Juden. Die Ergänzung wird mit einer Schrift von Reformator Martin Luther (1483-1546) in Verbindung gebracht, der in Wittenberg wirkte und vor allem in seinem Spätwerk gegen Juden hetzte.

Die Stadtkirchengemeinde ließ 1988 eine Bodenplatte unterhalb des Reliefs anbringen. Ihre Inschrift nimmt Bezug auf den Völkermord an den Juden im Dritten Reich, die Plastik selbst findet jedoch keine Erwähnung. Durch Gedenkveranstaltungen und Führungen hat sich laut der Gemeinde eine rege Erinnerungskultur entwickelt.

Der Wittenberger Stadtrat sprach sich Mitte 2017 für einen Erhalt der Plastik aus. Er wertete die Bodenplatte als Mahnmal und ließ in Absprache mit der Gemeinde eine Stele mit Erklärtexten auf Deutsch und Englisch errichten. Darauf wird die Skulptur in ihren historischen Kontext eingebettet. Zudem finden sich Verweise auf Luthers Antisemitismus und Judenverfolgungen in Sachsen.

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Foto: epd bild/ Steffen Schellhorn
Foto: epd bild/ Jens Schlüter
Autor:

Solveig Grahl

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