"Und ihre Augen wurden gehalten ...
... DASS SIE IHN NICHT ERKANNTEN"

"Und ihre Augen wurden gehalten, dass sie ihn nicht erkannten" - Lukas 24 und die Transduktion des Körpers in den sogenannten Auferstehungsleib - Versuch einer Hinführung zu etwas ganz Anderem ...

Eigene starke Erfahrungen lassen sich 1:1 nicht an andere Leute übermitteln. Aus starken Erfahrungen werden bei der Übermittlung meistens immer nur Theorien. So auch jetzt in dieser „Predigt”, die eher ein Essay sein wird. Theorien reichen nicht an das heran, was sie zum Gegenstand ihrer Thesen machen wollen. Pardon - es geht wohl nicht anders. Die Geburt eines Kindes z.B. ist eine starke Erfahrung dieser Art. Und das, was Ernst Jünger in „Stahlgewittern” beschrieben haben wollte - das sind starke Erfahrungen. Was Maria Magdalena spürte, als einer ihren Namen sagte. Und was die Jünger erfuhren, als Jesus unter ihnen auftauchte und verschwand. Heute ist Lukas 24 dran. Der Gang nach Emmaus - und die Begegnung mit dem, der das Brot brach … Alles starke Erfahrungen.

Hier ist nur das Echo des Echos eines fernen Echos. Eine Predigt - absichtlich mit ein paar Theorien über den Auferstehungsleib, wie ihn Henry Bergson gedacht hätte - und vielleicht sogar auch gedacht hat.

Der Körper ist das Interface (die Schnittstelle) zwischen dem Ich und der Welt. Unser Körper ist jene Einrichtung, in der das, was wir sind, auf das trifft, was wir nicht sind. Dieser unser Leib markiert eine Schwelle, die durch Schmerz und Lust, durch Hunger und Sprache, durch Wärme und Kälte erfahren wird. Er ist nicht bloß Biologie. Er ist eine Form gewordene Vermittlung zwischen Innen und Außen. Ein Dazwischen, ein Instrument der Begegnung, aber auch der Abgrenzung.

Henry Bergson (* 18. Oktober 1859 / † 4. Januar 1941) hat das in seiner „Philosophie der Zeit und Erinnerung” auf eigentümlich leuchtende Weise gespürt: Der Körper ist nicht das Zentrum der Erinnerung. Die bleibende Erinnerung ist jedenfalls nicht nur im Gehirn verankert wie eine Datei auf ihrem Stic. Sie ist in den Dingen, die uns erinnern. In der Welt selbst. Der Körper dient dabei als Schnittstelle zur Gegenwart, aber nicht als Speicher der Vergangenheit. Er ist wie ein Projektionsfeld, auf dem sich das Leben zeigt.
Wenn dieser Körper stirbt, endet nicht das Leben. Sondern: Es wird übersetzt. Der theologische Begriff für diesen Übergang lautet: Auferstehungsleib. Doch dieser Begriff ist völlig überladen. Wir sollten ihn entmythologisieren, nicht im Sinne einer Verarmung, sondern im Sinne einer geistigen Klärung.

Auferstehung ist ein Vorgang der Transduktion. Transduktion bedeutet: Die Form bleibt nicht bestehen, aber etwas wird übertragen. Nicht als Kopie, sondern als neue Gestalt. Der Auferstehungsleib ist kein Duplikat des Körpers. Er ist dessen Transposition.

Was ist dann dieser neue Leib? Er ist nicht mehr das Interface (Schnittstelle) zwischen dem Ich und der objektiven Welt. Sondern: Er ist die neue Schnittstelle zwischen dem, was uns gemeint hat, und der Gesamtheit der bewahrenswerten Spuren, die wir in der Welt hinterlassen haben. Er ist die Verbindung zwischen Ursprung und Gemeintheit.

Was aber heißt „Gemeintheit"? Gemeintheit ist jener Zustand, in dem etwas nicht nur ist, sondern gewollt, erinnert, geliebt ist. Gemeint ist, wer nicht vergessen werden kann. Gemeint ist, wer in der Matrix des Sinns eingetragen ist, nicht durch seine eigene Leistung als Belohnung, sondern durch gnädige Zuwendung. Gemeintheit ist das metaphysische Gegenstück zur rein biologischen Existenz, die der Schwerkraft, dem Raum und der Zeit unterworfen ist. Gemeintheit ist das Siegel, das bleibt, wenn der Körper vergeht.

In Lukas 24 heißt es: "Und ihre Augen wurden gehalten, dass sie ihn nicht erkannten.” Zwei Jünger gehen nach Emmaus. Sie haben alles gesehen. Sie haben alles verloren. Und nun spricht jemand mit ihnen. Ein Dritter tritt hinzu. Der spricht von der Schrift, von Mose, von den Propheten. Sie hören die Worte, aber sie erkennen nicht, was oder wer das ist. Warum? Weil sie mit den Kategorien denken müssen, die nur zur alten Körper-Welt weiter gehören können und auch gar nicht anders wollen. Sie wollen Jesus erkennen nur wie zuvor. Aber das, was nun ist, kann nicht mehr durch die alten Raster gezeigt werden. Es ist eine neue Frequenz, ein neues Licht. Der Auferstandene gehört nicht mehr zur Welt der Identifikation. Er ist nicht mehr das stetig Wiederkehrende und Bekannte. Er ist das Andere, das nur als Spur oder Struktur „erkannt” werden kann.

Und so geschieht es: Als er das Brot bricht, erkennen sie ihn. An der Geste. An der Spur. An der Gemeintheit. Und dann: verschwindet er.

Warum verschwindet er? Weil das Erkannt-Werden in diesem Fall nicht zur Verfügbarkeit führt, sondern zur Offenbarung der Unverfügbarkeit. Ähnliches erlebt Maria Magdalena vor dem leeren Grab. Jesus sagt zu ihr: „Fass mich nicht an.” Offenbarung hält uns nicht fest - und wir können sie deshalb auch nicht dingfest machen. Sie flackert auf. Und dann ist sie fort. Das ist die Logik des neuen Leibes: Er verweist, aber er bindet nicht. Er ist da, wo man nicht mehr rechnet und deshalb auch nicht mehr verstehen kann.

Genau hierin liegt der Schlüssel: Die Tatsache, dass wir den Auferstehungsleib nicht verstehen können, ist kein Mangel. Sie ist so etwas wie sein Beweis. Wenn wir diesen anderen „Körper” verstehen könnten, wäre er nur ein Teil der bekannten Welt. Aber er entzieht sich. Und gerade weil er sich entzieht, hat er Wirklichkeit. Freilich nicht mehr im Modus der Greifbarkeit, sondern im Modus einer ganz fremdartigen Andeutung. Der Auferstehungsleib ist so etwas wie die „Lichtgeschwindigkeit der Ontologie”. Er ist das, was sich nicht mehr einholen lässt. Und deshalb glauben wir (wenn wir ihn glauben) nicht, weil wir es verstehen. Sondern wir wollen es glauben können, weil und damit es unser Verstehen durchbricht.

Und dieses Durchbrechen beginnt nicht erst im Tod. Es ist schon jetzt. Dort, wo der Körper nicht mehr reicht, aber die Spur spricht. Dort, wo wir merken, dass unsere Gemeintheit größer ist als unser an die Körperlichkeit gekettetes Leben. Dort, wo das Brot gebrochen wird. Und einer verschwindet. Und dadurch für immer bleibt. Auch das Bild der verschiednen Aggregatzustände in der Welt der Köper lässt sich auf sehr eindringliche Weise für die Theologie des Leibes und des Auferstehungsleibes verwenden – gerade, wenn wir die Metapher der Sublimation ernst nehmen. Wie könnte man es noch zu sagen versuchen? Der biologische, physische Körper, den wir jetzt tragen, entspricht dem festen Aggregatzustand: geformt, begrenzt, unter Schwerkraft, messbar, alternd, verwundbar - er dient als Interface zwischen Ich und Welt Er ist stofflich. Und er ist notwendig – weil ohne ihn keine Begegnung, keine Sprache, kein Schmerz, keine Freude möglich wäre. Er ist der Leib im Modus der Widerständigkeit, das „Da-Sein im Druckfeld“. Der Tod ist dann nicht das Ende, sondern der Prozess der energetischen Umwandlung. Er entspricht dem physikalischen Übergang zwischen Aggregatzuständen – etwa der Sublimation, bei der etwas ohne Verflüssigung vom festen in den gasförmigen Zustand übergeht. Das bedeutet: Es gibt keine Zwischenform, keinen „schleichenden Zerfall“. Sondern: eine plötzliche Transduktion –von Körper zu Sphäre, von Masse zu Bedeutung, von Materie zu Leuchtspur.

Der Auferstehungsleib wäre dann der gasförmige oder sphärische Zustand – nicht mehr lokal, nicht mehr definierbar, aber dennoch wirklich. Er ist: nicht Interface zwischen Ich und Welt sondern: Schnittstelle zwischen Ursprung (Gott) und Spur (Gemeintheit) er ist nicht mehr sichtbar, aber in Wirkung gegenwärtig nicht mehr begrenzt, aber voller Formgedächtnis Man könnte sagen: Der Auferstehungsleib ist nicht das, was lebt – sondern das, was Leben erinnert - in einer metarealen Weise. Metareal ist dabei die Steigerung dessen, was wir gern als real bezeichnen …

Vielleicht kann man das Ganze auch mit der folgenden (zugegebenermaßen recht krassen) Geschichte besser verdeutlichen. Eine Kurzgeschichte im Stil Ernest Hemingways.

„Er hieß Jürgen. War groß. Mager. Rauchte filterlos. Seit zwölf Jahren bei den Ruhelosen. So nannte er sie. Die, die gekommen waren, um zu bleiben. Bestattungsdienst, Ortsteil Hohlstein. Hinterhof. Kühlraum, Waschraum, Vorbereitungsraum.

An diesem Tag war es eine Frau. Nicht alt. Mitte fünfzig. Die Augen geschlossen, aber nicht gewaltsam. Manche kriegen diesen Zug um den Mund. Sie nicht. Rüdiger zog die Gummischürze fest. Warmes Wasser. Seifenlauge. Laken. Die Kollegin war krank. Er war allein. Er legte die Hand auf den Brustkorb. So wie man’s gelernt hatte: nicht zu fest, nicht zu zart. Keine Ehrfurcht, aber Genauigkeit. Dann das Tuch, die Bewegungen. Waschen, drehen, trocknen. Und dann war da das. Das Ding, das keinen Namen hatte. Es war kein Licht. Es war kein Geruch. Es war einfach da. Etwas blieb. Nicht Haut. Nicht Wärme. Es war wie … Erinnerung, aber nicht seine. Etwas, das wusste, dass sie gemeint war. Nicht in der Art, wie Leute gemeint sind. Sondern auf eine Weise, die niemand mehr zurücknehmen konnte. Er fror. Und schwitzte. Gleichzeitig. Sein Herz machte einen Satz, dann nichts. Kein Schock. Kein Drama. Nur: Stillstand. Die Hände zitterten nicht. Aber er wagte nicht, sie wieder zu berühren. Sie war tot. Sicher. Aber nicht weg. Sie hatte keine Sprache mehr. Aber etwas in ihr – oder um sie – sagte: Ich war. Ich bin. Ich bleibe. Er setzte sich auf den Hocker neben dem Stahltisch. Atmete durch die Nase aus. Langsam. Noch einmal. Und dann dachte er an den Scheiß aus dem Konfirmandenunterricht. An Emmaus. An das Brotbrechen. Und daran, dass Jesus immer verschwand, sobald sie ihn erkannten. Er erkannte nichts. Aber er wusste: Wenn es einen Körper gibt, der vergeht, dann gibt es vielleicht auch einen, der bleibt. Nicht sichtbar. Aber gültig. Er stand auf. Wickelte sie in das weiße Tuch. Band zu. Stellte die Bahre zurück an die Wand. Dann ging er hinaus, zündete sich eine Zigarette an und weinte nicht."

Irgendwo genau an dieser Stelle liegt die theologische Pointe: Dass wir diesen Zustand nicht denken, nicht fassen, nicht beschreiben können – ist nicht ein Argument dagegen, sondern der stärkste Hinweis dafür. Denn: Alles, was wir verstehen, gehört zur Ordnung der Welt. Der Auferstehungsleib entzieht sich dieser Ordnung. Er ist jenseits der Verfügbarkeit, jenseits der physikalischen Erfassung. Er steht an der Grenze dessen, was gedacht werden kann. So wie Lichtgeschwindigkeit nicht überschritten werden kann, so kann dieser Leib nicht verstanden, nur geglaubt oder erfahren werden – in einem Moment, in dem die Welt sich nicht mehr erklärt, sondern offenbart.

Autor:

Matthias Schollmeyer

Webseite von Matthias Schollmeyer

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