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das Interview
Altes und Neues von Leberecht Gottlieb (40)

Ein Kapitel, während dessen Dauer wir mit Heisenberg und Gottlieb unter einer dünnen Graphenfolie stecken und Unglaubliches über Erich Przywara und Martin Luther hören. 

Leberecht extemporiert eine fantastische Geschichte. Die ist so unglaublich verworren - aber hat bei aller Verworrenheit doch einen feinen inneren Sinn. Das Gegenteil von Klarheit sei die Genauigkeit, hatte Heisenberg einmal genial formuliert. Für ihn ist die Story absolut unverständlich - aber genau nur diese Unverständlichkeit eben wird es sein, dass aus dem höheren Unsinn Tieferes entstehen kann und die beiden Reisenden aus der dunklen Höhlenwelt zu etwas hin transportiert … ja, wohin eigentlich? Und wie müsste dieses „Etwas” denn beschaffen sein ... Hier also die Erzählung Leberecht Gottliebs:

Es ist bekannt und jeder weiß, dass der Name jenes Jesuiten und genialen römisch-katholischen Philosophen Erich Przywara nicht leicht auszusprechen und das von ihm Geschriebene kaum zu begreifen ist. Erstens müssten fünf Konsonanten unsere Lippen formen, ehe der Vokal A sich vom Erklingen des stimmhaft alveolaren Vibranten - genannt auch Zungen-R - unterbrochen wiederholt. Und dann müsste auch jener Denkfigur - Analogia Entis genannt - kompetent nachgesonnen werden. Der Mann mit schwierigem Namen und dem besonderen Denk-Hobby hatte jedenfalls ein Gesuch nach Versetzung in die Hölle eingereicht. Das haben nicht viele verstanden, nicht viele gewagt zu hinterfragen - ähnlich der Scheu seinem Namen gegenüber, scheuten sich die Engel davor, über das Versetzungsgesuch des Gelehrten öffentliche Äußerungen verlautbaren zu lassen. Ein erfahrener Vertreter ihrer fünften Hierarchie war schließlich damit beauftragt worden, den Fall diskret zu erledigen. Das im Folgenden dargebotene Gespräch trug sich tatsächlich so, wie hier von mir referiert, zu - die Akashachronik hat es gespeichert und der Dialog ist im Bestand der mir, Leberecht Gottlieb, komplett übermittelten BigData vorhanden, so dass es jetzt mitgeteilt werden kann:

Engel: Herr Przywara, warum wollen Sie denn aus dem Himmel von uns fort?

Przywara: Nun, ich meine, hier oben alles gesehen zu haben.

Engel: Aber der Himmel ist größer als Sie denken, eigentlich wissen Sie das doch selber. Als ehemaliger Gelehrter der Jesuiten?

Przywara: Mit Verlaub - danke für das Kompliment. Aber ich bin! immer noch Gelehrter. Ich trage aber einigermaßen dahingehend Bedenken, dass die Apokatastasis Panton bisher auch nicht ansatzweise stattfand - noch nicht einmal in den theoretischen Plaungsentwürfen der Himmlischen Kongregation für die Wiedereinholung der Weltgeschichte. Damit bin ich nicht zufrieden. Bin jedenfalls schon recht lange hier oben und möchte mich nun um die Verheißungen des alten Kirchenvaters Origenes selber kümmern.

Engel: Und da wollen Sie nach fünfzig Jahren nun gleich in die Hölle?

Przywara: … haben Sie eine andere Idee?

Engel: Sie könnten ja weiter in den Primzahlen studieren. Da ist nach oben noch alles offen. Etwa ab den Mersenneschen Zahl von 217-1 wird es richtig interessant.


Przywara: Nö, - ich möchte in die Hölle, damit die Apokatastasis angebahnt werden kann.


Engel: Das haben schon ganz andere als Sie versucht zu beschleunigen … Origenes, Kusanus. Aber ich gebe zu, seit der Luther dort unten ist, tut sich tatsächlich nicht mehr viel in diese Richtung.


Przywara: Nun - das soll mich wenig kümmern. Ich habe an meiner Geheimwaffe noch etwas herumgeschraubt - die kennt der Ketzer aus Wittenberg noch gar nicht. Die alte A.E. ist hier oben im Himmel noch einmal spezifiziert und überarbeitet worden.

Engel: Sie meinen Ihre Analogia Entis?

Przywara: Genau. Die neue himmlische Version verhält sich zur alten irdischen Variante etwa so, wie die Wasserstoffbombe Edward Tellers zum Grabstock oder Faustkeil von Dudu und Dodo.

Engel: Klingt interessant. Was haben sie denn verändert?

Przywara: Die logischen Dichtungen zwischen den einzelnen Begriffen sind einerseits stabiler, andererseits aber auch durchlässiger geworden. Nun kann wirklich keine Ähnlichkeit mehr entweichen - bzw. keine Unähnlichkeit mehr eindringen. Ich habe die Anlalogia Entis derart verbessert, dass sogar immer mehr der restlichen Unähnlichkeit entweicht - andererseits aber die noch verbliebenen Ähnlichkeitspartikel durch die feinen Äonenfilter - aus Engelshaar - diffundieren können.

Engel: Wie haben Sie denn das hinbekommen?

Przywara: Man darf im Umfeld der Haarfilter einfach bestimmte Sachen nur - seeeehr - langsam aussprechen, andere hinwieder extrem rasch und schnell. Zusätzlich haben wir ein paar neue Begriffe eingeführt, welche logisch unzweideutige Mehrdeutigkeiten generieren. Beim Versuch, dieselben im schlechten Sinne zu verstehen, lösen sich die Unähnlichkeiten sofort auf. Beim Versuch, sie positiv im Sinne der Origenischen Recapitulatio zu begreifen, generiert sich aus dem Nullvakuum eine Mehrheit an Sinn, die die Waage nach oben schnellen lässt. Der berühmte Finger Gabriels, das kennen Sie ja.

Engel: Schnellen - ist das nicht gefährlich?

Przywara: Ich habe übertrieben: Steigen ist der angemessenere Begriff.

Engel: Kompliment. Was sagt der HERR dazu?

Przywara: Er hat es nicht abgewiesen - und wir meinen, ein leichtes Nicken bemerkt zu haben.

Engel: Ja nun - Herr Przywara, dann eben gute Reise hinab zu den infernalischen Schlünden. Da wir aber nicht wissen, ob das Ganze klappt, und Sie da unten jemals selig wieder rauskommen, müssen wir noch ein paar Formalitäten klären, Herr Przywara.

Przywara: Die wären?

Engel: Ich habe hier einen Fragebogen mitgebracht, der von der Kongregation entwickelt worden ist. Qualitätsmanagement. Das lässt sich nun nicht vermeiden, Herr Przywara. Setzen Sie sich doch bitte neben mich auf diese Wolke, es dauert nur 45 Minuten alter ehrlich irdischer Zeit. Sie können ankreuzen. Es geht von 0 für JA AUF JEDEN FALL bis 7 UNTER KEINEN UMSTÄNDEN. Der Fragebogen ist völlig anonymisiert, sobald Sie durch sind und ich Ihre Daten im Anschluss in unser Programm e-Celöstis 2.0 eingepflegt habe, haue ich mir auf die Nasenwurzel und vergesse das Ganze wieder ganz schnell. Ich bin ja - wie Sie wissen - der „Engel des guten Vergessens“. Anselm Grün hat mich so genannt.

Przywara: Alles klar, fangen wir an.

Engel: Erste Frage: „Meine Arbeit erfordert es, schnell zu arbeiten“ Null bis Sieben. Was meinen Sie, Herr Przywara?

Przywara: Gar nichts. Denker denken langsam, sonst ist es ja kein Denken. Und hier oben ist ja eine Ewigkeit Zeit. Sieben. Oder was? Wie war das noch mal?

Engel: Sieben. Zweite Frage: „Meine Arbeit überfordert mich stark“ Null bis Sieben.

Przywara: Blöde Frage, was soll das sein, Überforderung?

… Während nun der Engel des Vergessens mit dem Vater der Superwaffe Analogia Entis 2.0 den Fragebogen durchnimmt, sei kurz erläutert, wie diese Geschichte weiter verlief, denn wir haben nicht soviel Zeit, uns 45 Jahre lang mit dem Fragebogen des himmlischen Qualitätsmanagements zu befassen. Also - Erich Przywara wird tatsächlich aus dem Himmel entlassen, mit einem Transitvisum durch die sieben Spähren hinab bis in den neunten Höllenkreis versetzt. Dort wird er durch geschickte Worte und Äquivocationen das Eis zum Schmelzen bringen. Die Sünder Judas, Brutus und Cassius kommen frei und schwimmen auf dem getauten Eiswasser der Hölle empor. Sie bekennen am Fliegenpilztor zur Helle ihre Sünden - und es wird ihnen Vergebung zuteil. Sie erhalten damit Zutritt zu den Himmlischen Gefilden und werden mit der Pflege der Uralt-Stammdaten der im Himmel bereits vor der Zeitrechnung aufgenommenen Seelen beauftragt. Sie evaluieren die englischen Projekte zur Gleichstellung von Büßern und Büßerinnen und versehen diese Aufgabe sehr gewissenhaft. Sie erhalten Lob von höchster Stelle. Sie bereiten zuerst die Übernahme der gesamten höllischen Abgründe in den Himmel vor und erledigen die Planungsarbeiten für die Renaturierung der freigewordenen höllischen Bezirke in ein modernes Erlebnispark-Center.
Przywara für seinen Teil bleibt vorerst noch im Inferno. Er sucht den letzten verbliebenen Insassen der Hölle - das ist der Ketzer Martin Luther, welcher mit den anderen Sündern nicht mit zum Himmel aufgedrungen ist, weil er ebenfalls die Hölle reformieren wollte, aber nicht merkt, dass dieses bereits geschehen ist. Bei der Suche nach Luther dringt der Jesuit Przywara bis in die entlegensten Gefilde der höllischen Sphären vor und klaubt dort auch die allerletzten Unähnlichkeiten von den metaphysischen Unendlichkeitsmembranen ab. Przywara atmet diese Unähnlichkeiten unter Zuhilfenahme existentialistischer Begrifflichkeiten vorsichtig an, so dass diese sich zur Ehre Gottes wie Hauchbilder in sogenannte Unsichtbarerchen verwandeln. Unsichtbarerchen sind Schein-Wesen, die ununterbrochen im pentatonischem Singsang frohlocken.

Aber von Luther war weit und breit keine Spur. Wo mag er stecken? Przywara wird ihn schon auffinden. Notfalls neu erfinden. Denn - die Jesuiten sind schlaue Leute. Deshalb bittet Przywara die Unsichtbarerchen: „Ein feste Burg ist unser Gott“ anzustimmen. Er selbst verkleidet sich nach der Art eines Journalisten. Gerade als er sich den falschen Dreitagebart festgeklebt und sehr vernachlässigte durchgeschwitzte Kleidung angelegt hat, erscheint der ehemalige Reformator in einer Höllenkluftspalte und ruft: „Das ist das Lied der Unsrigen!” Es ergibt sich nun ein Gespräch zwischen dem als Journalisten verkleideten Gelehrten Przywara und dem Erzreformator aus Eisleben/Wittenberg:

Erich Przywara: Danke Herr Dr. Luther, dass Sie Zeit für mich finden.

Martin Luther: Keine Titel bitte, wer hier unten eintritt, lässt alle Hoffnung fahren, dass akademische Grade sich als hilfreich erweisen.

Erich Przywara: Immer noch der alte zornige Mann?

Martin Luther: Nicht zornig - realistisch.

Erich Przywara: Gestatten Sie, dass ich mich kurz vorstelle. Ich heiße Heinrich Meier und bin Journalist oben auf der alten Erde. Ich bin abgesandt, nach Ihnen zu schauen und ein paar Fragen zu stellen. Die erste wäre, was machen Sie hier den ganzen Tag?

Martin Luther: Was heißt denn Tag? Es gibt nur Dämmerungen verschiedenen Ausmaßes. Man liest hier unten viel. Liest, liest und liest - denkt, denkt und denkt. Weil man nichts mehr vergessen kann, ist es möglich, ein enormes Arbeitspensum zu bewältigen. Schade, sage ich immer, dass mein Freund Philipp Melanchthon das nicht erleben kann.

Erich Przywara: Wieso? Ist der nicht da?

Martin Luther: Nein. Der ist im Himmel zusammen mit Reuchlin, Erasmus, Przywara und Müntzer. Wer hätte das gedacht … Gerade der Müntzer.

Erich Przywara: Wir wollen, lieber Herr Luther, unseren Zuhörerinnen und Zuhörern in Nah und Fern draußen an den Rundfunkapparaten nicht verhehlen …

Martin Luther: Es gab noch nie was zu verhehlen …

Erich Przywara: … nicht verhehlen, dass wir hier unten tatsächlich in der Hölle sind.

Martin Luther: Genau. In der Hölle. Hier gibt es eine Ewigkeit Zeit und alles, was jemals geschrieben, oder auch nur gedacht worden ist, wird hier aufbewahrt. Von uns, den Insassen - bzw. mir dem letzten Insassen. Es ist hier recht leer geworden seit einiger Zeit. Die Leute sind alle ausgetreten oder weggetreten. Weiß auch nicht wohin. Abstimmung mit den Füßen.

Erich Przywara: Wie sind Sie denn nun eigentlich hierher gekommen. Erzählen Sie mal. Die Leute oben auf der Erde wähnen Sie nämlich im Himmel. Irgendwo im Ballbecken zusammen mit Paulus, Petrus und Augustinus.

Martin Luther: Na, - da sag ich nur Folgendes: Solange die Gerechten im Ballbassin noch wissen, dass ich hier unten den Teufel geben muss, mag es gut sein. Und - von den Leuten, von denen Sie sprachen, habe ich noch nie etwas gehalten. Ja, - wie ich hierher gekommen bin, das ist eine lange Geschichte. Ich will Sie nicht vortragen müssen zum abertausendundmillionsten Male.

Erich Przywara: Das würde aber unsere Hörerinnen und Hörer …

Martin Luther: Hören Sie auf mit dem Genderquatsch: Es heißt Hörer - und fertig.

Erich Przywara: … sehr interessieren.

Martin Luther: Mich interessiert es zum Beispiel nicht mehr. Ich bin nun mal in der Hölle und preise Quott und lobe ihn, wie seinerzeit der Prophet Jona im Wanst des Wals.

Erich Przywara: Sie sprechen das Wort Gott so seltsam aus. Wie „Kwott“. Was ist das?

Martin Luther: Das würde uns jetzt zu weit führen. Bis tief hinein in die Theologiegeschichte und darüber hinaus. Für Sie nur diese Andeutung: Kwott wird mit „Q“ geschrieben und nimmt damit den Anklang des lateinischen Nomens QUAESTIO auf.

Erich Przywara: Ich habe das kleine Latinum mal abgelegt - quaestio, hieß das nicht „Frage“

Martin Luther: Genau. Quaestio, quaestionis, quaestioni, quaestionem.
Im Deutschen verballhornt zu „verquast“. Die Sache mit Gott - Jörg Zink ist übrigens auch hier unten, das nur nebenbei - ist eine ziemlich eindeutig kompliziert verquaste Angelegenheit. Ich dachte mir in einer besonders schönen Morgendämmerung, dass sich diese Tatsache auch im Namen abspiegeln sollte. Aber, da wir ja meistens nur Latein sprechen - also nicht dieses barbarische Mönchslatein, sondern richtig ciceronisches - sagen wir QUAEUS zu DEUS. Id est Quott zu Gott. Haben Sie mich?

Erich Przywara: Aha. Latein als Amtssprache der Hölle? Wie geht das? Können Sie das denn sprechen, die Leute hier unten?

Martin Luther: Sagen Sie bitte nicht Leute. Leute gibt es auf den Planeten da draußen. Hier sind wir Insassen. Das ist ein schöneres Wort. Aber, wie ich schon sagte - ich bin der einzige hier unten. Die anderen sind - womöglich doch irgendwie auf den Läuterungsberg entwichen.

Erich Przywara: Insassen …

Martin Luther: Genau. Insassen - die meisten hier unten waren gebildet und lernten das Latein - weil sie ja tot sind - ziemlich schnell. Es gab ein paar - na, sagen wir mal bildungsferne Männer und Frauen, die mussten es erst unter Qualen erlernen. Ich hab dabei geholfen! Die fingen an mit miseror, miseraris, miseratur und so weiter. Dann amo, amas, amat etc. Schließlich das andere alles auch noch - studere eben. Es ist am Anfang eine Tortour. Aber - Latein muss sein.

Erich Przywara: Faszinierend … Und, wie sind Sie persönlich denn nun in die Hölle gekommen?

Martin Luther: Wie alle, die hier unten sind oder unten waren, habe ich irgendwann einmal auf dem Planeten auch große Fehler gemacht. Das hing mit der sogenannten Reformation zusammen, die im 16. Jahrhundert stattgefunden hat, wie Sie sicher aus dem Schulunterricht noch erinnern. Dafür muss man in der Hölle büßen - oder im Fegefeuer es abbrennen lassen, bis es weg ist. Sozusagen die Scharten auswetzen. Und das dauert. Ich für meinen Teil muss hier den Aristoteles lesen - und, das kommt erschwerend hinzu - auch verstehen. Und noch mehr. Ich muss mir diesen Griechen solange zu eigen machen, bis ich ihn richtig gut finde. Das ist die Aufgabe, die mir Quott für hier unten anvertraut hat. Ich habe das Pensum auf einen kleinen Zettel geschrieben und den Zettel in meinen Rocksaum eingenäht. Ich habe einen guten Kumpel - den Pascal. Sie werden ihn kennen. Er hat mir den Tipp mit dem Zettel gegeben, aber er ist schon lange fort auf den Läuterungsberg, wie Dante das Fegefeuer nannte.

Erich Przywara: Das ist interessant. Ich sehe hier übrigens keine Frauen. Wo sind die?

Martin Luther: Dort wo sie hingehören. Vor dem Spiegel. (lacht)

Erich Przywara: Ist das nicht ein bisschen frauenfeindlich?

Martin Luther: Ach, hören Sie mir doch auf. Frauenfeindlich. Haben Sie noch alle? Das ist ein Kompliment! Die schminkten sich und putzten sich, bis sie aussahen wie die Engeln. Sie kamen zu uns in die Bibliothek und wir wählten die Schönste der jeweiligen Dämmerung. Dann gab es Abendbrot - oder Frühstück? - hier ist ja keine Zeit - und danach ging alles wieder von vorne los. Wir lasen, sie kämmten. Jede ist mal die Allerschönste gewesen. Und jeder von uns auch mal der Allerdümmste. Das alte Spiel eben. So erfüllten wir unsere Schicksale. Es machte dann doch hin und wieder ziemlich viel Spaß. Glauben Sie nur. Vergessen Sie nicht - hier ist die Hölle.

Erich Przywara: …

Martin Luther: Ja - wir hatten auch richtig Spaß hier unten. Keine Sorge. Wir haben es uns auch hübsch machen können. Ich las meistens aus meinen Tischreden vor und sang die Erdbeerlieder des Franzosen Villon, indem ich mir gestattete, mich selbst auf der Laute zu begleiten.

Erich Przywara: Faszinierend, aber Villon hat doch erst viel später …

Martin Luther: Zum anderen bereiteten wir hier unten auch die Reformation der Hölle vor, - und des Himmels gleich mit. Was aus den Planeten würde, das kümmert uns nicht so sehr. Aber wir rechnen aus, wieviel Einheiten Sween aus dem Gnadenschatz der Kirche für jede einzelne Seele in welcher Frequenz abgerufen werden kann, damit schließlich alle das ewige Heil erlangen.

Erich Przywara: Alle?

Martin Luther: Alle. Was denn sonst? Wenn schon denn schon. Wir machen ganze Arbeit.

Erich Przywara: Herr Dr. Luther. Was ist denn „Sween“?

Martin Luther: Bitte einfach Luther ohne Titel. Sween ist die sphärisch genormte Maßeinheit für die Heilszueignung pro Seele. Wobei auch die entwickelten Menschenähnlichen besonders der Art Pongo pygmaeus pygmaeus mit in den Genuss der Annahme ihres Bewusstseins bei Quott kommen sollen. Das haben die Veganer so durchgesetzt. Ist gut, kann so bleiben. Der riesige Gnadenschatz der Kirche gäbe sogar noch viel mehr her

(es erschallt ein Glockensignal).

Martin Luther: Sie wollen mich für die nächste Ewigkeit nun entschuldigen, Herr … ?

Erich Przywara: Meier
Martin Luther: Herr Meier. Ich werde Sie in Zukunft Meierius nennen. Das klingt eleganter. Ich muss jetzt zum Stundengebet. Die Terz. Kommen Sie doch mit? Das Ganze dauert hier unten etwa drei Tage planetarischer Zeit. Oder sie fahren zwischenzeitlich wieder auf. Dort rechtsrum gehts zum Limbus. Cerberus halten Sie einfach diesen Zettel hin. Er kann lesen und lässt sie auffahren zum Planeten, wenn er liest, das wir miteinander verkehren. Grüßen Sie ihn von Martin. Sagen Sie ja nicht von Dr. Luther. Namedropping kann er nicht leiden. „Da beißet er Euch in Arsch.“

Erich Przywara: Jetzt reden Sie ja wie der alte Luther aus der Kinderfibel. Man soll dem Volk …

Martin Luther: Ich werd Ihnen gleich was auf´s Maul hauen. Wir waren hier unten gebildete Insassen. Und wenn Sie mich weiter interviewen wollen, dann müssen Sie akzeptieren, dass wir das Mittelalter längst hinter uns und abgelegt haben. Wir sind sprachlich ziemlich fit. Also nichts für ungut. Zeigen Sie den Zettel - dann kommen Sie ans Ziel.

Erich Przywara: Danke Herr Dr. Luther.

Martin Luther: (im Abgehen halblaut) Er kann es nicht lassen, der Idiot. Diese Journalisten sind wirklich …

Der Rest des Satzes geht im Freudengeheul des Cerberus unter, als Herr Meyer alias Erich Przywara ihm an der Grenze zum Limbus den Zettel vorzeigt.

Nach drei Tagen treffen die beiden, Meier-Przywara und Luther erneut in der Hölle zusammen. Und das war es, was sie beredeten:

Martin Luther: Dieser lustige Rundfunkheini ist noch nicht wieder zurück. Was mache ich bloß, habe heute viel zu schaffen. Die gesamte Reformation muss neu durchdacht werden. Nicht, dass wir dieselben Fehler von damals hier unten etwa wiederholen. Jetzt geht’s gewiss auch um viel mehr. Die Hölle und der Himmel sollen zusammengeführt werden … Ach - da kommt er ja doch, der Herr Meier. Ich will mich zusammenreißen. Grüß Quott, Meierius.

Erich Przywara: Ja, Bruder Luther. Grüß Gott, entschuldigen Sie, - ich scheue mich irgendwie, Grüß Quott zu sagen! Ist das nicht außerdem ein recht katholischer Gruß?

Martin Luther: Sie haben eben gerade selber „Grüß Quott!“ gesagt. Sie haben also genau das gesagt, wovor sie sich scheuen … Ist Ihnen das nicht aufgefallen? Außerdem, warum nennen Sie mich Bruder und reden mich mit Sie an. Wenn wir Brüder wären - hieße es Du. Man sollte auf die Sprache achten. Ich zumindest habe das immer versucht. Oben rum und unten rum.

Erich Przywara: Ach Gott - nun! Ja - aber ich habe den Gruß nicht wirklich, sondern nur metasprachlich gebraucht …

Martin Luther: Keine faulen Ausreden. Außerdem missbrauchten Sie völlig gedankenlos nun noch zusätzlich den Namen des HERRN, indem sie eine affektive Interjektion mit dem Namen des HERRN transportierten. Wenn Sie mal hier unten landen werden, dann ahnen Sie sicher schon ihre Aufgabe?

Erich Przywara: Das zweite Gebot?

Martin Luther: Genau.

Erich Przywara: Wie war das Stundengebet? Und was meinen Sie mit „unten herum?”

Martin Luther: Wieder Sie. Also kein Bruder … Dreht sich draußen der Planet noch?

Erich Przywara: Ja, - sicher …

Martin Luther: Gar nicht sicher. Wenn das Gebet in der Hölle erstirbt, dann hören die Planeten da draußen auf, sich zu drehen. Wir erhalten hier unten mit unseren Gesängen sozusagen die Rotation der Dinge. Die Terz war o.k. Ich finde allerdings die Komplet am besten. Danach kann man gut schlafen. Schlaf ist wichtig.

Erich Przywara: Zweifellos … Wie ist es hier in der Hölle - das meinen Sie sicher mit „unten herum”?

Martin Luther: Wir haben oben bei der Reformation gearbeitet, da macht uns das hier unten in der Hölle nicht so viel aus.

Erich Przywara: Sie wissen, dass dieser Satz von Arno Schmidt ist? Er hat gesagt: „Uns allen wird einmal die Hölle leicht werden, denn wir haben bei Greiff gearbeitet.“ Wobei er die Greiffwerke in Greifenberg meinte, da hat er schuften müssen. 

Martin Luther: Also ein verbales Plagiat?  

Erich Przywara: Ja, - hm.

Martin Luther: Was, - hm?

Erich Przywara: Herr Dr. Luther - woran arbeiten Sie gerade, wenn Sie nicht an der Reformation arbeiten?

Martin Luther: Das ist eine saudumme Frage. Wissen Sie denn überhaupt, was das bedeutet, etwas zu re-formieren? Also etwas, was völlig deformiert ist, wieder in die ursprüngliche Form zurück zu zwingen? Da hinten im dritten Kreis der Hölle, ja - schauen Sie nur genau hin - da lagen die Fettleibigen. Dante hat das alles sehr schön beschrieben. Ehe die wieder auf Normalmaß waren, da vergingen schon einige Äonen. Und! Ehe sie eine aus dem Ruder gelaufene Institution in der Form verändern … das können Sie sich gar nicht vorstellen, Mann!

Erich Przywara: Und Sie sagten, dass auch der Himmel mit zur Disposition steht?

Martin Luther: Sehen Sie mal, - bei Licht und Dunkelheit besehen - existieren weder Hölle noch Himmel. Das sind alles gedankliche Konstruktionen, die sich in der Realität eingeschliffen haben, ohne die wir nun aber nicht mehr auskommen. Genauso wie diese blöde Vorstellung von einer irgendwo existierenden Wahrheit, die jeder erkennen könne, deshalb müsse - aber weil das nicht ginge, dieselbe dann offenbart werden müsse und auch würde, - wovor man dann Ehrfurcht haben soll. Das ist ziemlicher Schwachsinn.

Erich Przywara: Ach - es gibt gar keine Wahrheit?

Martin Luther: Wo denken Sie hin, das wäre ja noch schöner … Wahrheit. Was ist Wahrheit?

Erich Przywara: Hat das nicht auch Pilatus gefragt?

Martin Luther: Johannes hat es so aufgeschrieben. Wer war dabei?

Erich Przywara: Es steht in der Bibel.

Martin Luther: Sola scriptura - ha, ha, ha …

Erich Przywara: Ich bin erstaunt.

Martin Luther: Ich auch. Immer wieder.

Erich Przywara: Wie wollen sie denn nun die Hölle reformieren?

Martin Luther: Indem wir zeitgleich mit ihr auch besonders den Himmel einer Reformation unterziehen. Und das hat mit der Wahrheit zu tun, die noch nicht existiert. Wir schaffen Himmel und Hölle zugleich ab - damit entsteht eine Art neuer Wahrheitsbegriff, mit Hilfe dessen wir uns dann weiter durch die Weiten des Alls, oder des Nichts, je nach dem Sie das sehen wollen, bewegen werden.

Erich Przywara: Ein ehrgeiziger Plan.

Martin Luther: Was heißt ehrgeizig. Es bleibt uns nichts anderes übrig. Es liegt sozusagen auf der Hand.

Erich Przywara: Auf der Hand …

Martin Luther: Wiederholen Sie doch nicht immer die letzten Worte von dem, was ich rede. Das ist sehr lästig. Sie bringen mich damit fast durcheinander.

Erich Przywara: Ich habe das so gelernt. Man sagt einfach noch mal, was der andere gesagt hat. Dann fühlt sich der andere abgeholt.

Martin Luther: Abgeholt?

Erich Przywara: Genau. Abgeholt.

Martin Luther: Abgeholt …

Erich Przywara: Abgeholt.

Martin Luther: Merken Sie nicht selber, wie blöd das klingt?

Erich Przywara: …

Martin Luther: Das mit der Wahrheit hat Johannes in das Jesusverhör eingemischt, um damit zu sagen, dass es keine abstrakte Wahrheit gibt, sondern sie sich von Fall zu Fall selbst entstehen lässt. Sie ist, was sie sein wird. Sie wird sein, was sie war. Sie ereignet sich. Das ist die Übersetzung des hebräischen Tetragramms, wenn Sie wissen, was ich meine.

Erich Przywara: Lernt heute jedes Kind im RU. Im evangelischen Religionsunterricht.

Martin Luther: Gibts noch anderen?

Erich Przywara: Ja, - zum Beispiel islamischen.

Martin Luther: Unglaublich. Dafür habe ich nicht gekämpft.

Erich Przywara: Er ist sehr nötig.

Martin Luther: Herr, hilf.

Erich Przywara: Ja.

Martin Luther: Johannes hat also erkannt, dass die Reformation aller Grundaufstellungen erkenntnistheoretischer Axiome irgendwann auf der Tagesordnung stehen würde. Er hat diese Aufgabe in das Evangelium sicherheitshalber schon mal mit reingemogelt. Versteckt natürlich nur, aber immerhin. Dort hat dieses Script (oder Mem) Jahrhunderte, was sage ich - inzwischen zwei Jahrtausende geschlummert. Als Schläferzelle am Busen des Platonismus, von dessen altem Brande wir Heutigen immer noch alles Feuer nehmen, wenn wir welches brauchen.

Erich Przywara: Das war jetzt wieder ein Plagiat. Nietzsche hat das nämlich längst gewusst und auch gesagt: „Doch man wird es begriffen haben, worauf ich hinaus will, nämlich daß es immer noch ein metaphysischer Glaube ist, auf dem unser Glaube an die Wissenschaft ruht – daß auch wir Erkennenden von heute, wir Gottlosen und Antimetaphysiker, auch unser Feuer noch von dem Brande nehmen, den ein jahrtausendealter Glaube entzündet hat, jener Christen-Glaube, der auch der Glaube Platos war, daß Gott die Wahrheit ist, daß die Wahrheit göttlich ist …“

Martin Luther: Ja, den langen Supersatz kenne ich. Der Fritz hat immer sehr auf mich geschimpft, weil sein Vater ihn mit mir gequält hat. Es geht noch weiter: „Aber wie, wenn dies gerade immer mehr unglaubwürdig wird, wenn nichts sich mehr als göttlich erweist, es sei denn der Irrtum, die Blindheit, die Lüge – wenn Gott selbst sich als unsre längste Lüge erweist?“

Erich Przywara: Woher kennen Sie Nietzsche?

Martin Luther: Alle Großen kennen einander. Wissen müssen Sie Folgendes - es gibt hier keine Zeit. Deshalb kennen wir schlichtweg alles und alle. Und alle da oben auf dem Planeten kennen uns, - im Traum, im Schmerz und im Leid und in den manischen Phasen. Denn in diesen Zuständen gibt es keine Zeit. In diesen Zuständen sind alle von allen besessen. Deshalb schreibt ein Späterer das, was ein Früherer bereits längst gedacht hat. Deshalb sagt ein Früherer das, was erst später bei Ihnen als Schwingung an das Ohr trifft. Genau das ist ja die Fröhlichkeit der Wissenschaft.

Erich Przywara: Ich bin fasziniert.

Martin Luther: Warum denn? Oder dachten Sie, wir waren im 16. Jahrhundert so doof wie Ihr heute? Nein - anders doof waren wir. Jetzt sind wir klug.

Erich Przywara: Johannes hat also sagen wollen, dass es keine Wahrheit gibt?

Martin Luther: Nein - er ahnte nur jenes Problem, welches Quott uns Menschen dadurch aufgetischt hat, dass er uns ein Affenhirn gab, welches auch heute immer noch nach dem größten gemeinsamen Vielfachen aller denkbaren Analogien suchen muss. Erst ist es der Monotheos gewesen. Dann sind es lange die guten alten lieben natürlichen Zahlen gewesen. Heute wissen wir, dass auch sie aus sehr dünnem Eis geschmolzen sind …

Erich Przywara: Das klingt eher poetisch als …

Martin Luther: Na - nun bin ich aber gespannt.

Erich Przywara: Als wissenschaftlich?

Martin Luther: …

Erich Przywara: Habe ich was Falsches gesagt?

Martin Luther: Noch schlimmer …

Erich Przywara: Also zurück zur Wahrheit.

Martin Luther: Zurück zu dem Gnostiker Johannes. Wir haben ihn im Schwarzen Kloster gern gelesen. Vor allem Philipp. Ein gewisser Nonnos von Panopolis hat im 6. Jahrhundert das Johannesevangelium in Hexameter übertragen und dabei seine eigene Theologie, er war einer der letzten gebildeten Heiden, hinein gezaubert. Er lässt uns lesen, wie Jesus sich zu der Pilatusfrage „Was soll denn das sein - Wahrheit?" geäußert hat. Hier: Schauen Sie. Lesen Sie.

Erich Przywara: Wo kommt denn dieses Büchlein auf einmal her? So eine schicke Ausgabe. Aha - Bibliothek der Antike. Aufbauverlag DDR. Berlin und Weimar 1985. Unbezahlbar inzwischen.

Martin Luther: Wir haben hier unten die ganze Reihe. Freilich, - die Sachen sind stark abgegriffen. Wir benutzen sie für unsere reformatorischen Absichten. Lesen Sie das rosa Gemarkerte. Na los!

Erich Przywara:

Daraufhin stellte Pilatus dem Herrn
noch einmal die Frage:
„Bist du also ein König?“
Und Jesus entgegnete: Freilich,
dazu bin ich geboren
und dazu bin ich gekommen,
ewig den Menschen beglückende
lautere Wahrheit zu künden.
Jeder, der fest sich entschloss,
das Joch der Wahrheit zu tragen,
hört die untrügliche Botschaft,
die ich verkünde!“
Pilatus wurde von Staunen ergriffen,
beantwortet selbst seine Frage:
‚Joch! Das bedeutet die Wahrheit!’
Und eilig stand er vom Richterthron auf …“

Martin Luther: Nun, da haben Sie es. Die Wahrheit ist ein Joch, mit dem man die Dinge sozusagen auf zwei Schultern verteilt wegtragen kann. Himmel und Hölle z.B. Aber in den Eimern, die an beiden Seiten des Jochs herunterbaumeln, da ist dasselbe klare Wasser drin. Denken Sie drüber nach. Ich muss, - nein will! zur Sext. Es ist nämlich fast Mittag. Der Tag ist seiner Höhe nah. Erzählen sie dem Cerberus an der Pforte von dem, was ich ihnen gerade eben erzählt habe. Denn dabei schläft er sofort ein - und sie können hinauf zu den Leuten. Laudetur Iesus Christus.

Erich Przywara: Äh …

Martin Luther: Es heißt: In saecula saeculorum. Amen.

Erich Przywara: Amen.

Während Luther die Sext des Stundengebets liest, singt und zelebriert, macht sich Przywara-Meier seine Gedanken:

Erich Przywara: Der Herr Doktor ist vom Stundengebet noch nicht zurück. Mir bleibt nichts übrig - als zu warten. Ich schaue mich ein wenig um. Wie aufgeräumt hier alles ist. Nun - ja. Das sind sicher schon die ersten Folgen der neuen Reformation. Was man nicht mehr braucht, weg damit. Ab in die Hölle. Ach nein - wo ich solches eben sage, erinnere ich mich daran, dass das ja nicht geht. Wohin mit dem Höllendreck? In die Hölle - das geht ja nicht. Oh, oh - eine schwierige Sache. Aber der Dr. Luther wird es schon schaffen. Einst hat er die Kirche gespalten. Nun will er die Hölle mit dem Himmel wieder vereinen. Da hinten kommt er übrigens schon. Die Sext ist vorbei. Bis zur Non haben wir wieder etwas Zeit. Grüß Gott, Herr Luther. Doktor Luther …

Martin Luther: Grüß Quott, bester Meierius.

Erich Przywara: Erlauben Sie, dass ich Ihnen wieder ein paar Fragen stelle? - Was halten Sie im Blick auf eine gelingende Reformation für besonders wichtig. Was muss man unbedingt gleich anpacken?

Martin Luther: Erlauben Sie mir, dass ich in Bildern spreche?

Erich Przywara: Gewiss, gewiss, - das wird unseren Hörerinnen und Hörern gefallen!

Martin Luther: Nun gut! Wer kennt das nicht. Da ist man bei guten Freunden zu Besuch. Man isst, trinkt, lacht und spielt. Dann, man ist ja Mensch und kein Engel - welche als ewige Wesen der Verstoffwechselung des Genossenen nicht unterworfen sind - fragt man nach dem stillen Ort. Er wird gezeigt, man sucht ihn auf, erledigt das Nötige und betätigt die Spülung. Wasser Marsch. Aber - ein paar Streifen sind dann doch noch zu sehen. Man nimmt die Bürste, die für solche Aktionen in einer verchromten Halterung bereit steht - und schreitet zur Tat. Jedoch, man ist ein vorsichtiger Zeitgenosse. Zuerst die Brille hochgeklappt. Nicht die eigene zum Sehen, sondern die Klobrille. Oh - was muss man da erblicken - offenbar wurde diese Brille zwar oben abgewischt. Aber unten herum. Das kalte Grausen packt uns. Hier, auf diesem Ring haben wir eben gerade sorglos noch gesessen? Und - das sollen unsere Freunde sein? Wir lassen die Brille entsetzt fallen. Wir kehren zurück an den Kartentisch. Bringen mühsam das Spiel zu Ende. Entschuldigen uns aus irgendeinem Grund - gehen davon. Und kehren nie wieder zurück. Noch jahrelang haben wir damit zu tun, den Schock zu verarbeiten. Das will dann aber doch nicht gelingen. Zu schlimm war, was wir gesehen hatten. Die Freunde mailen uns ein paarmal hinterher. Wir antworten nicht. Wir kündigen Ihnen auch die Facebookfreundschaft nicht, sondern löschen unsere Accounts…

Erich Przywara: Warum erzählen Sie das, Herr Dr. Luther? Und - haben Sie denn damals schon Klobrillen gehabt und Wasserspülung? Damals, - im 16. Jahrhundert? Und Facebook?

Martin Luther: Damals nicht, - aber heute. Es geht nicht um Vergangenheit, lieber Meierius. Es geht immer um die Gegenwart. Jetzt! Begreifen Sie es endlich - auch schon damals ging es mir immer nur um die Gegenwart. Nur ihretwegen haben wir uns zurück zu den Quellen aufgemacht. Nicht als zu einer besonderen Variante der Vergangenheit, sondern als zu dem immerdar sprudelnden Born der sich erneuernden Gegenwart. WCs? Na klar - folgen Sie einfach den grünen Schildern in den Gängen hier bei uns in der Hölle. WC steht drauf. Da gelangen Sie zu den besagten Orten. Klappen Sie die Brillen hoch. Bei uns alles in bester Ordnung. Da finden Sie nichts, aber auch gar nichts, was Sie beunruhigen könnte.

Erich Przywara: Warum erzählen Sie uns das? Was hat das WC mit der Theologie und der Reformation zu tun?

Martin Luther: Man muss der Theologie unter die Klobrille geschaut haben, um beurteilen zu können, wie ernsthaft sie ausgearbeitet worden ist. ‚An ihren Kloaken werdet ihr sie erkennen!‘ soll ein gewisser Russe, den man Lenin nannte, gesagt haben. Und die Hölle ist die Kloake der Theologie. Von hieraus zeugten sich je alle inhaltlich fehlerhaften Gedankenketten fort - in aller Unbarmherzigkeit. Von hier unten geht eine große Kraft aus. Diese wirkt auf Politik, Kirche, persönliches Leben, Ethik, Wirtschaft, Finanzwesen - was haben wir denn noch so alles?

Erich Przywara: Kultur?

Martin Luther: Kultur, Theater, Literatur, Medizin, Militärwesen - ja: Bis hinein in die ehelichen Schlafzimmer streckt die Hölle ihre eiskalt glühenden Fangarme aus. Wir müssen ihr nicht nur unter den Deckel schauen. Sondern auch unter die Brille! Verstehen Sie?

Erich Przywara: Ich ahne, wovon Sie zu reden versuchen …

Martin Luther: … na dann ist ja fast alles gut.

Erich Przywara: Was meinen Sie denn, Herr Dr. Luther. Warum ist es unter den Brillen so schmutzig?

Martin Luther: Weil keiner dort hinzulangen sich getraut, wo die Eumel sitzen.

Erich Przywara: Eumel?

Martin Luther: Eumel - widerliche Bakterien sagt man wohl heute? Bazillen, Zecken, Widersacher, Viren und Superviren, Erreger, Kakerlaken, Viehzeug, Geschmeiß oder Parasiten.

Erich Przywara: Die sitzen unter der Klobrille?

L: Die sitzen überall da, wo man nicht hinschaut und nicht putzt. Da fliehen sie hin - und von daher steuern sie entgegen dem Sinn. Sie vermehren sich im Schmutz und springen von dort aus über. Auf und in die geordnete Welt. Man muss besonders der Theologie unter die Klobrille scheuen. Dort, wo sie sich nicht zu putzen getrauen, die Denker.

Erich Przywara: Und Denkerinnen! Ein wahrhaft starkes Bild.

Martin Luther: Denkerinnen - was soll das sein? Unglaublich stark.

Erich Przywara: Haben Sie das schon veröffentlicht?

Martin Luther: Aus der Hölle kann man nichts mehr veröffentlichen. Sie ist ja der Ort unter der Klobrille der Welt.

Erich Przywara: Ach so …

Martin Luther: Na, was dachten Sie denn!

Erich Przywara: Darüber habe ich noch nie nachgedacht.

L: So, so!

Erich Przywara: Wenn ich ehrlich bin, dachte ich ja bis vor einigen Tagen gar nicht, dass es eine Hölle überhaupt gibt!

Martin Luther: Und den Himmel?

Erich Przywara: … soll ich wahrhaftig sein?

Martin Luther: Ich bitte darum.

Erich Przywara: Auch nicht.

Martin Luther: Das vermutete ich bereits. Und deshalb sind Sie hierher gewiesen worden?Damit ich Ihnen erkläre, dass alles, was unterhalb der Brille ist, Hölle zu nennen wäre. Das oberhalb wird als Himmel bezeichnet. Dazwischen - das soll die Welt sein, wo wir drauf sitzen und uns unsere Gedanken machen. Oder auch nicht.

Erich Przywara: Ein wahrlich starkes Bild.

Martin Luther: Vergessen Sie es. Du sollst Dir kein Bildnis machen. Weder von dem was oberhalb ist, noch was unterhalb ist.

Erich Przywara: Ich erinnere mich. Vergessen …

Martin Luther: Nur eins müssen Sie sich merken: Man muss der Theologie unter die Klobrille schauen. Da darf man sich nicht vor gruseln. Aber - ich will zur Non. Wir sehen uns nach drei Tagen wieder. Bitte dort den Ausgang zu nehmen. Mit dem dreiköpfigen Hund kommen Sie ja wohl schon zurecht?

Erich Przywara: Wir sind dabei, uns einander anzugefreunden.

Martin Luther: Wie schön Sie das gesagt haben. Laudetur …

R: In saeculo …

Wiederum nach drei Tagen wenden wir uns Przywara-Meier zu, der als investigativer Journalist Luther in der Hölle aufsucht. Aus welchem Grund? Gleich werden wir es erfahren:

Erich Przywara: Dieses Mal bin ich gar nicht aufgestiegen. Ich habe mich mit dem Cerberus unterhalten. Parallel zur Dreieinigkeit Gottes hat der drei Köpfe. Manchmal spricht er mit allen dreien zugleich ein und dasselbe Wort. Manchmal mit nur einem Kopf, oder mit zweien. Manchmal redet er mit sich selbst - hintereinander im Trialog. Dann singt (oder besser jault) er - immer sehr anspruchsvoll polyphon. Das klingt anrührend. Er gehört übrigens nicht zu den Wirbeltieren, er ist sozusagen prokreatürlich. Eine Art Zwischenwesen halb Engel und halb Tier. Noch vor dem dritten Tag entstanden - irgendwann in den letzten Sekunden des zweiten. Auch über ihn, klagt er, hieße es bisher nicht, er sei gut. In den Genuss der Gutheißung kämen alle Kreaturen - nur nicht die des zweiten Tages. Der Unterschied zwischen oben und unten nicht - und er auch nicht, der dreibehauptete Cerberus. Er würde gern von seiner Aufgabe erlöst werden und etwas anderes machen, hat er mir verraten. Denn seine Aufgabe sei, alle Einlassbegehrenden zwar zuzulassen, aber niemanden wieder fort. Das ist kein leichter Job. Er mache nur sehr, sehr selten Ausnahmen. Kürzlich allerdings wieder eine - Margot Honecker. Ihr kennt die böse Hexe aus dem ehemaligen DDR-Bildungsministerium. Er, der Cerberus, bemerkte nun lakonisch (aber nur mit dem Maul des mittleren Kopfes und verhalten), Margot habe damals schon die Aufnahme in einem Pfarrhaus gehabt und trotzdem nix dazu gelernt. Dann, in Chile, ist auch nicht viel passiert. Sie sei, sagt er, jetzt definitiv eben im Himmel gelandet. Das müsse für sie die Hölle sein. Von dort aus gibt sie den auf der Erde (er sagte Planeten) noch lebenden Bewohnern ein großes schönes sehr schlechtes Beispiel. So hätte alles dann doch noch einen tieferen Sinn. - Ach, da kommt ja der Doktor, der nicht Doktor genannt sein will. Guten Tag Herr Doktor … Laudetur Iesus Christus.

Martin Luther: In saeculo saeculorum, lieber Meierius. Setzen wir uns an die Styx?

Erich Przywara: Meinetwegen. Gern.

Martin Luther: Gibt es Neues von der lieben alten Erdplanetin?

Erich Przywara: Erdplanetin - habe ich noch nie gehört.

Martin Luther: Ist mir auch eben erst eingefallen. So sagten die Feministinnen im sechsten Kreis. Sie erfanden noch schlimmere Wörter. So kindisch …

Erich Przywara: Wenn ich ehrlich bin - ich bin gar nicht aufgestiegen. Ich habe ausgiebig mit dem Cerberus geschwatzt.

Martin Luther: Ja, - der ist ein guter Unterhalter. Das nahm er sich während einer Weiterbildung an. Früher hat er die Leute, die wieder hoch wollten, grimmig weggebissen. Dann aber unterhielt er sich á lá Tausendundeinenacht mit den Fortwollenden, bis sie schließlich dableiben wollen. Es ist ja nur ein kurzer Schmerz, nicht wieder zu den Menschen gelangen zu können. Nach vierzig Jahren ist das vorbei und jeder findet hier unten eine ansprechende Aufgabe. Man hat hier keine Sorgen mit dem Essen und so, man kann nicht mehr sterben, weil man schon gestorben ist - hier ist es so, als ob es ganz selbstverständlich ein bedingungsloses Höchsteinkommen gibt. Und man kann sich alles noch mal ansehen, und zwar so, wie es wirklich war. Das ist schon nicht schlecht. Niemand wird seines Glaubens wegen attackiert oder geköpft, verhöhnt bzw. beruflich benachteiligt. Hier wissen alle, dass Glauben nur immer eine persönliche Spielart ein und desselben platonischen Grundirrtums darstellt, den es langsam aber sicher auszumerzen gilt. Der letzte Superschlupfwinkel der Riesenkakerlake - wir wissen zumindest schon, wo er etwa liegt. Das ist hier unten alles also sehr entspannt. In der Non singen wir davon. Alle diese schönen Gesänge vom Nachmittag und vom Honigopfer. Nietzsche war früher unser Dirigent, und Wagner musste auf einem schneeweißen Yamahaflügel korrepetieren. Cosima durfte Nietzschen immer ein frisches Quellwasser vorsetzen, aus der Lethe. Dann sangen wir solange, bis er Kopfschmerzen bekommen hat. Sie wissen ja, auf der Erde hat er immer Kopfschmerzen gehabt. Hier unten waren die aber definitiv weg. Aber auch Nietzsche, Cosima und Richard sind nun weg. Ich bin der Einzige Getreue der alten Hölle. Meine Aufgabe ist in der nächsten „Zeit", mit Ihnen zu reden. Fragen Sie - ich bin bereit.

Erich Przywara: Wie lange haben wir „Zeit?"

Martin Luther: Bis zur Vesper - bis zum großen Magnificat. Kommen Sie doch einfach mit. Das Magnificat mochte der Röckener nicht. Das leitete ich selber. Und jetzt sowieso. Sie setzen sich auf irgendeinen der unendlich freien Plätze. Das fällt gar nicht auf.

Erich Przywara: Wenn das geht?

Martin Luther: Wenn ich´s doch sage!

Erich Przywara: Herr … Herr Luther …

Martin Luther: Sagen sie doch einfach Martin.

Erich Przywara: Herr … Martin, auf der Erde denken sich die Leute das Verhältnis zwischen Himmel und Erde aber ganz anders, nicht wahr - das wissen Sie schon?

Martin Luther: Klar, habe ja selber viel dummes Zeug in meinen Katechismus geschrieben, was mir heute recht leid tut. Die armen Konfirmanden. Aber - was will man machen? Da hat man immer diesen Hang zum System. Aus dem Hang wird dann Zwang. Andere machen später daraus Bekenntnisschriften - und schon ist es passiert. Ach - der Systemzwang macht die besten Absichten kaputt, wenn Sie verstehen, was ich meine. Wie lautet übrigens Ihr Vornahme?

Erich Przywara: Äh - äh … Benedikt.

Martin Luther: Wie sind Sie denn zu dem gekommen?

Erich Przywara: Meine Eltern eben …

Martin Luther: ... na klasse. Benedikte hatten wir hier auch schon. Mehrere. Die bemühten sich, habe ich beobachtet, in allem einen guten Sinn zu finden. Das ist manchmal - nicht gut. Besonders beim Gucken unter die Klobrillen. Die sagten dann etwa (und glaubten das auch!), der Schmutz sei eigentlich eine feine Sache. Weil - nun die Begründung dieses Irrsinns, er nur das Gute im Modus seiner Abwesenheit existierend sei. Und so weiter. Das sind so Neuscholastiker. Welte, Rahner, Ogiermann, Przywara (das ist mein persönlicher Feind) und noch viele andere. Diese Benedictewichte werden nur noch von den Dominikanern getoppt.

Erich Przywara: Ich bin nur ein normaler, sozusagen profaner Benedict.

Martin Luther: Da Sie mich ja nun Martin nennen, werde ich Sie auch mit Ihrem Vornamen anreden, Benedict. Wie haben denn Ihre Leute oben auf der Erde zu Ihnen gesagt? Ihre Freunde?

Erich Przywara: Ich hatte wenige.

Martin Luther: Und die wenigen?

Erich Przywara: Haben mich immer mit dem Nachnamen angesprochen.

Martin Luther: Na da … Bededict Meier. Wie das auch klingt. Gar nicht.

Erich Przywara: Ja nun - also die Leute denken, dass es einen Himmel gibt und eine Erde und dazwischen ist ein großer garstiger Graben, über den niemand hin oder her kann, auch wenn er es wolle.

Martin Luther: Ja - Lukas hat sich das so ausgedacht. Aber er war Arzt und wollte auf diese Weise eine generelle Warnung an alle durchgeben, damit die Leute gesund leben. Ist natürlich nur begrenzt richtig. Denn Sie sehen ja, lieber Benedict, dass der Cerberus sich bestechen oder einschläfern lässt. Margot Honecker hat er sogar in den Himmel verstoßen, weil - die war wirklich von … aber nihil nisi bene de mortuis.

Erich Przywara: Nur Gutes über die Toten?

Martin Luther: Genau.

Erich Przywara: Es gibt also einen Weg von hüben nach drüben?

Martin Luther: Und auch einen von drüben nach hüben. Das Besondere ist, dass diese beiden Wege nicht derselbe sind. Es sind wirklich zwei unterschiedliche.

Erich Przywara: Das klingt interessant. Welcher Art sind denn diese beiden Wege?

Martin Luther: Lazarus ist z.B. doch noch einmal aus dem Himmel auf die Erde zurück. Von ihm haben wir das Lazarusevangelium in die Hände gelegt bekommen. Er ist auch heute noch manchmal oben auf der Planetin und lässt es sich nicht nehmen, die Spielart der Frohen Botschaft, die er für das Wort Gottes hält, dort zu verbreiten. Er läuft als lebendiger Mann seit Jahrhunderten in den Fesseln von Raum und Zeit umher, obwohl er es hätte anders haben können. Manchmal kam er zu uns, um sich hier unten trösten zu lassen. Mit diesem Trost geht er dann wieder nach oben. Er wird nie wieder in den Himmel eingelassen werden, weil Vater Abraham so richtig sauer auf ihn ist, er durfte nämlich eigentlich nicht weg und ist heimlich fort gemacht. Republikflucht.

Erich Przywara: Abraham? Sauer worüber?

Martin Luther: Na, dass der arme selige Lazarus das Glück des Himmels verschmäht hat, und wieder zurück ist. Zu den Sterblichen! Ich sage immer nur: „Helfersyndrom.“

Erich Przywara: Ach so. Lazarusevangelium, nie davon gehört.

Martin Luther: Die Papisten im Vatikan haben auch alles unternommen, diese kleine Schrift sich nicht verbreiten zu lassen.

Erich Przywara: Aha.

Martin Luther: Den anderen Weg kennen Sie ja selber, Benedict. Sie können in die Hölle kommen, wann sie wollen - und wieder gehen. Wenn sie wollen. Sie müssen nur ein bisschen findig sein. Des Cerberus wegen. Freilich, - wenn sie tot sind, dann müssen sie erst mal hierher. Wir - also ich und Midas und Rhadamanthys, entscheiden dann, ob wir Sie lieber überreden, bei uns zu bleiben, oder ob wir Sie zum Himmel schicken, weil Sie uns nicht helfen können, die Hölle zu reformieren. Etwa, weil Sie keinen Mumm haben, oder keine toten Sprachen beherrschen, oder sich nicht für Theologie, Philosophie und Mathematik interessieren. Die Musik nicht zu vergessen.

Erich Przywara:Wie haben Sie sich denn im Blick auf mich nun entschieden, Martin?

L: Weiß ich noch nicht. Midas sagt Ja - Rhadamanthys sagt Nein. Ich würde es davon abhängig machen, wie Sie jetzt bei der Vesper singen. Es ist nämlich soweit. Hier auf diesem Blatt können Sie den Text lesen. Na, - nehmen Sie schon. Weil Sie kein Katholik sind wie ich, sondern sicherlich nur Protestant, dürften Sie die Worte wahrscheinlich nicht aus dem FF hersagen können. Geschweige denn singen.

Erich Przywara:

„Magnificat anima mea Dominum /
et exsultavit spiritus meus /
in Deo salutari meo. /
Quia respexit /
humilitatem ancillae suae …“

Martin Luther: Und so weiter. Genau. Sputen wir uns. Aber gelassen. Nicht dass wir noch zu spät kommen. Aus Minuten sind hier unter Umständen nicht selten schon Jahre geworden! Und dann werfen wir einmal einen Blick in die sogenannte Zukunft. Abgemacht?

Erich Przywara: Geht das denn?

L: Es ist ja ein Zukunftsstück, an dem wir hier unten, wenn nichts Anderes passiert, alle schrieben. Was man hier schreibt, und wenn man daran glaubt, geht es irgendwann in die Schleifen der Realität ein. Das ist ganz einfach, wenn man glaubt. Sola fide sozusagen … Dahinten kommt übrigens der alte Kurt Globnich. Staatsbürgerkundelehrer im Osten Deutschlands. Und Katholik wie ich. Erlauben Sie bitte, Benedict, dass ich Ihnen den Herrn Globnich vorstelle. Kurt Globnich - das ist Herr Benedict Meier, Benedict - das ist Herr Kurt Globnich. Die Frau an seiner Seite ist mir noch nicht vorgestellt worden.

Erich Przywara schaut im Kreis herum. Keiner war zu erblicken - außer ihm selbst und Luther. Da zieht der Reformator aus der Hosentasche ältliche Papiere hervor, die sich als Exemplar des Mitteldeutschen Beobachters herausstellen - einer Zeitung aus den dreißiger Jahren des 21. Jahrhunderts. Luther blättert und auf der Seite mit den Literaturrezensionen tippt er auf eine Anzeige. Dann sagt er:

Martin Luther: Hier - lesen Sie das. Eine unglaubliche Geschichte, die von Kurt Globnich handelt und seinem Hund, dem Cerberus.

„Es reicht” schreit Werner Heisenberg, reißt sich und Leberecht die Graphenplane vom Leib - und da stehen sie plötzlich in der ehemaligen Plötmitzer Pfarre der alten Gottliebs. Das heißt - recht betrachtet liegt Leberecht Gottlieb eigentlich nur ganz allein auf seinem Kanapee. Es ist auch nicht die Pfarre, sondern das Altenpflegeheim. Und ihn wundert nicht schlecht dieser Traum, der da gerade ausgeträumt worden war. Ihm war, als ob er selbst in Gegenwart Heisenbergs Vorträgen von Erich Przywara und Luther gelauscht hätte. Völlig konfuses Zeug war das gewesen. Und um Gottes Willen - das schöne Plaid von Irene war hinab auf den Fußboden geglitten. Der alte Pfarrer steht mühsam auf, ihn friert, denn die Heizung ist abgedreht. Der hohen Kosten wegen, die das Verbrennen der wertvollen aus Sibirien stammenden Ressource Gas seit einiger Zeit verschlingt. Auch das Haus Abendsonnenharmonie muss sparen ...

--- ANDERES VON LEBERECHT GOTTLIEB HIER

Autor:

Matthias Schollmeyer

Webseite von Matthias Schollmeyer
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