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die Heiligkeit der Arbeit
ein Pamphlet für Joseph am 1. Mai

Als der östliche Teil unseres Vaterlandes an die Sowjetunion verloren gegangen war, hatten die Genossen mit traumwandlerischer Sicherheit über Nacht recht schnell eine Art neuer Religion erfunden. In völligem Unverständnis des Nietzscheanischen Übermenschengedankens versuchten die Genossen, das Bild einer "Allseitig entwickelten sozialistischen Persönlichkeit" als Orientierungsidee in den Raum zu stellen. Krippe, Kindergarten, Hort und Schule, Werkhöfe und Jugendorganisationen von DSF bis GST sollten dazu beitragen, dass sich „der Mensch neuen Typus” aus der für zu Ende gegangen erklärten bürgerlichen Gesellschaft heraus kämpfe, wie seinerzeit die ersten Quastenflosser aus dem Urmeer an das Festland gedrun gen waren. Indes - auch wenn man lauthals verkündete, ohne Gott und Sonnenschein die Ernten einfahren zu wollen, ganz ohne Religion ging die Chose nicht. So gab es in der ehemaligen SBZ und späteren DDR auch jene Maiwallfahrten (vulgo: Demonstrationen), an welche zu erinnern Zweck dieses kleinen - fast verspäteten - Pamphlets sein soll.

Nein, nein - nicht zum Gnadenbild einer Marie oder ihres Mannes, welcher den kleinen Gott Jesus großziehen durfte - des Heiligen Josephs - ging die Fahrt. Sondern mit Verpflegungsbeuteln ausgestattet musste die Jugend der POS und EOS, blaue Tüchlein im Genick und ebensofarbige Hemden über der Brust, am schmucklosen Chorgestühl der auf Straßen und Plätzen errichteten Tribünen vorbei marschieren. Sie sollten aber nicht selber das alte „Ave Caesar - morituri salutant te“ anstimmen, das wäre zu riskant gewesen. Deshalb erst wandelte sich nach 40 Jahren Unrechtsstaat der fremdbefohlene Ruf aus vieltausend Kehlen zum heute hie und da immer noch aufflackernden „Wir sind das Volk” - was auch immer das bedeuten will. 

Nein, man musste nicht selber schreien - sondern einer schrie für alle - aus krächzenden Lautsprecheranlagen trug die Stimme Ernst Buschs, dessen erste Rolle beim Kieler Stadttheater (laut WIKIPEDIA) die des Ministranten in  Cavalleria Rusticana gewesen sein soll, jene roten Lieder vor, welche es im Internet bei youtube immer noch zu erlauschen gibt - wie übrigens andere Stimmen aus jener Zeit ebenfalls. „Ich trage eine Fahne, und diese Fahne ist rot, es ist die Arbeiterfahne, die Vater trug durch die Not” „Wohin auch das Auge blicket / Moor und Heide nur rings- um”, „Spaniens Himmel breitet seine Sterne, über unsre Schützengräben aus” und „Auf auf zum Kampf zum Kampf” sind nur einige davon. Es war egal, ob da früher andere Variationen dieser Liedtexte in irgendwelchen Heftchen gestanden oder deren Melodien zu andersfarbigen Stiefeln schon gesungen worden waren - der 4/4 Takt macht bekanntlich alle und alles gleich. Text plus 4/4-Takt gerinnt zur Ideologie. Und zwar sofort. (Warum singen eigentlich die heutigen Klimakleber*innen nicht? Weil sie es nicht können? Das Pech der letzten Generation ist vielleicht, dass sie nicht singen kann ... Irgendwie scheint es ihr ausgetrieben oder weggeimpft worden zu sein, wie den Generationen vor ihnen der prophetische Taumel eingeimpft.

Also - um zum Wesentlichen zurückzukommen - zum Heiligen Joseph, der der Schutzheilige wirklich ehrlicher Arbeit ist, ging nicht die Fahrt, sondern nur an Leuten vorbei, die sich von der Last aller Arbeit freigemacht und auf der Tribüne höher gestiegen waren, weil sie klug vorzugeben wussten, sie trügen schwer an einer Arbeit, welche Verantwortung heißt. Nachdem die Demonstrationen dann absolviert waren - die Monstranz im Namen noch dabei (Atheisten ernähren sich bis auf den heutigen Tag immer noch von den Verbrennungsrückständen der einen heiligen und katholischen Kirche) - zog man sich in Wirtshäuser und Gaststuben zurück - bzw. nach Hause oder zum Schrebergarten. Am 7. Oktober gab es eine ähnliche Prozession, auch dieser Tag ist deshalb bis heute irgendwie verbrannt.

Aber der erste Mai ist nicht verbrannt. Er gehört Joseph, dem Arbeiter, der einen kleinen Gott großziehen durfte - wir sagten es schon und wiederholen es nur deshalb, weil wir ahnen, dass diese Arbeit des Arbeiters Joseph nicht einfach gewesen ist. Gibt es Lieder zum Tag des Heiligen Joseph? Ja - gibt es. Wenige. Zum Beispiel: „Heiliger Joseph, wir singen für dich” Darin heißt es: „Du hast Gottes Sohn behütet.“ Das, was Gottes Bild untrüglich wiedergibt, sollte man behüten wollen: Den Sohn Gottes. Man muss ja gar nicht einmal daran glauben - aber das Bild davon behüten. Wo das Bild zerstört wird, schwindet das, wofür es steht.

Die mutwilligen Attacken, welche heutzutage gegen das wahre Bild des Menschen von solchen Leuten geritten werden, die uns nicht mehr genau wissen lassen wollen, ob wir Mann oder Weib seien, können der Kirche eigentlich nichts anhaben, wenn sie denn bei ihrer Mitte bleiben würde. Auch die als Impfung getarnten Manipulationen am menschlichen Erbgut können von ihr nur als blasphemische Erweiterungen des alten Problems wahrgenommen werden: Das Bild des Menschen, der zum Ebenbilde Gottes geschaffen worden ist, soll ausgelöscht werden, um selber umso besser (das heißt also: schlechter) den Ton angeben zu können. Der Heilige Joseph würde sich abwenden und sagen: "Ich habe euch durchschaut. Dafür habe ich den Sohn Gottes nicht großgezogen." Und das ist ein hilfreiches Wort.

Autor:

Matthias Schollmeyer

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