UND WAS HAT DAS MIT DEM GLAUBEN ZU TUN (Teil 5)
Leberecht Gottlieb (92)
92. Kapitel, in welchem Leberecht Gottlieb von der Rückreise des Diakons Uschmanns nach Europa berichtet und verspricht, uns im Kapitel 93 endlich, endlich darüber aufklären zu wollen, was der lange sechsteilige Bericht aus Indien mit seinem Glauben zu tun habe ...
Der Morgen war angebrochen und ein paar Zuhörer hatten sich bereits am Orte des neuerlich bald zu erwartenden Vortrags eingefunden, um sich die besten Plätze neben Ibn Jesus zu sichern, denn dieser übersetzte jenen seit Tagen von Leberecht in deutscher Sprache zum Besten gegebenen Bericht der Reise des Zahnaer Diakons Uschmann nach Indien und wieder zurück. Ibn Jesus übertrug alles von ihm Verstandene in das heimische Idiom der Jildim Hakochabim, das wohl eine Mischung von arabisierendem Jiddisch und okzitanischem Französisch darstellte, wie Leberecht im Laufe der Zeit bemerken zu können glaubte. Er warf sich also in Positur, rückte mit seinem SmartPhone ein wenig mehr in den Schatten des Zeltes und begann mit wohltönender Stimme den Schluss des Uschmannschen Itinerars vorzutragen:
"Ich blieb noch einige Zeit bei meinem Lehrer Ravi Subrahmanya in Madras und beeilte mich, die Übersetzung des Buches „Ludus domos planetarum et signorum Dravidorum“ schleunigst fertig zu stellen, was mir schließlich nach drei Monaten auch gelang, denn Ravi Subrahmanya gab mir täglich Lob und Anerkennung, was mich in meinem Ehrgeiz und Eifer sehr beflügelte. Jeden Morgen kam der indische Weise nachzuschauen, wie weit ich in meinem Werk fortgekommen - und stattete mich mit wertvollen Hinweisen aus, wo ich alleine mir nicht recht zu helfen gewusst. Schließlich hatten wir aber die etwa achthundert Seiten zusammen und brachten dieselben zu einem Buchbinder, welcher am Tempel der Jünger Budhas sein Handwerk in einem kleinen Straßenladen ausübte. Dieser Mann, ein gewisser Saathe Jildasaaj, staunte nicht schlecht über die vielen mit allerlei Charakteren verzierten Seiten, verneigte sich immer wieder vor uns, küsste die Blätter mit den Lippen seines Mundes und machte sich bald darauf auch wacker daran, mein Werk mit Nadel und feinen Lederfäden zu heften und dann in Ziegenhaut einzuschlagen, wobei die beiden äußeren Buchseiten allerlei Verzierungen erhalten sollten, welche teils von Halbedelstein waren, teils aus schimmernden Metallprägungen bestanden. Am folgenden Tage trug er uns das Büchlein zu, verlangte etwa 30 Rupien - ich gab ihm 40, darüber er sich ausgenommen erfreut zeigte.
Das Übrige ist schnell erzählt - Ravi Subrahmanya brachte mich in höchsteigener Person zu meinem Schiffe, das ein niederländischer Gewürzkaufmann angeworben hatte. Ich war von den Freunden, die mir in den Monaten meiner Übersetzungstätigkeit bei Ravi Subrahmanya bekannt geworden, mit zahlreichen Leckereien beschenkt worden, hatte Decken gegen die Kälte und frisches Ingwerwasser gegen die zu erwartenden Ungezieferplagen empfangen, empfahl mich am 7. Mai 1756 Gott und seinen guten Engeln und stach am selben Tage noch in See, um die Heimreise nach Zahna anzutreten. Wie aber sollte ich mich geirrt haben, wenn ich doch annahm, dass die Reise mich bald an mein Ziel bringen würde, denn unser Schiff startete zwar zu Madras im Golf von Bengalen, führte südlich um Ceylon herum, im Arabischen Meer aber attackierten uns jedoch Piraten und wir wurden auf kleineren Schiffen direkt in das Rote Meer transportiert, um auf den verschiedensten anrainenden Sklavenmärkten als Arbeitskräfte feilgeboten zu werden. Das war ein Gejammer und Geschrei, vor allem bei den Frauenzimmern, die natürlich besonders berechtigt Furcht hatten, in einem der fürchterlichen muslimischen Haremspalästen für den Rest ihres Lebens den Gelüsten irgendwelcher gottirrer Peiniger ausgesetzt zu bleiben. Ich jedoch, der unbedeutende Diakonus Johann Christian Uschmann, im Thüringischen Groß-Monra geboren und für den Pfarrdienst im sächsischen Zahna an der Zahna avisiert gewesen, hatte Dank himmlischen Eingreifens Glück, wie seinerzeit Jakobs Sohn Joseph in Ägyptenland. Nach ein par harten Tagen, da ich in Kairo gefänglich eingezogen düstere Kerkererlebnisse auszuhalten hatte, von denen später mehr zu berichten sein wird, gelangte ich auf sonderbarlichste Weise in das Kontor einer abessinischen Gewürzhändlerin namens Mesa Zemenia, deren Vorfahren Thomaschristen gewesen waren. Diese Frau hatte mich - ohne dass es mir bewusst geworden war - auf dem Markte erworben, denn sie brauchte einen Schreiber und hatte sich sagen lassen, dass da ein Sklave angeboten würde, der irgendein Buch bei sich trug mit der Titelei: Ludus domos planetarum et signorum Dravidorum. Der lateinischen Charaktere mächtig, wenn auch nicht der deutschen Zunge, zeigte sie ihr lebhaftes Interesse an dem Besitzer solch eines Büchleins an - und hatte etliche Piaster aufgewandt, mich Armen von den irrgläubigen muslimischen Sklaventreibern zu erstehen. Zwei derbe Büttel führten mich, in ihrer Mitte gehend, fort - und so kam ich in ein Landhaus, wo mir meine Besitzerin in einem schön getäfelten Raum gegenübersaß, ein wenig verschleiert, wie die Ortssitte es vorgibt und den Weibern allda strengstens befielt.
Sie wolle, sagte sie, mir die Freiheit schenken, wenn ich ihr das Buch Ludus domos planetarum et signorum Dravidorum ließe. Und wolle mich sogar noch über die gefährlichen Landschaften des Heiligen Palästina bis an die Grenzen zu jenem Erdteil, das Europa genannt werde, geleiten lassen, damit ich den Weg in meine Heimat fände und nicht vorher ausgeraubt oder gar getötet würde. Da ich jedoch das Büchlein selber behalten, auf das Angebot des in mich dringenden Weibes aber selbstverständlich eingehen wollte, machte ich Mesa Zemenia den Vorschlag, das Buch extra für sie erneut abzuschreiben und das neue Exemplar ihr zu überlassen. Worauf sie auch willig einging; mir ein Schreibzimmer mit Feder, Dinte und feinstem Papier zur persönlichen Verfügung stellte, nebst zwei Haussklavinnen, die mir jederzeit alle Wünsche sollten zu erfüllen suchen - was sie auch taten. Etwa drei Monate blieb ich dort bei ihr - und erinnerte mich an Odysseus und Kirke, denn Mesa Zemenia lief täglich herbei, mich bei der Arbeit zu beobachten, was für den Fortgang der Arbeit teils verzögernde, teils beschleunigende Folgen hatte, denn wir waren gut im Gespräch über diese und jene Sachverhalte aus der Welt des Geistes - und auch über dies und das von allem Anderen …
Als ich das Buch zum zweiten Male abgeschrieben und es bei einem ägyptischen Buchbinder, an dessen Namen ich mich jedoch nicht mehr besinnen kann, in Leinenbrokat hatte fassen lassen, kam der Abschied von dem schönen Weibe, das mich vor dem sicheren Tode freigekauft. Es war ein tränenreicher Abschied, denn sie mochte mich inzwischen wohl lieb gewonnen haben - jedoch war der Altersunterschied zwischen uns beiden enorm - bei etwa dreißig langen Jahren. Nichts desto trotz erinnerte mich das Ganze an die fatale Begebenheit der Dido mit ihrem Aeneas, wovon der Italiener Vergil so herzanrührend berichtet.
So zog ich also, von einer Gruppe schwergewappneter Diener begleitet, über Jerusalem in das Gebiet von Trapezunt, was für mich einen großen Umweg bedeutete, aber jene Begleiter mussten in der Hauptstatt des an die Sarazenen leider verloren gegangenen ehemaligen Kaiserreichs irgendwelche Geschäfte für meine abessinische Gönnerin erledigen. Nunmehr hatte ich alleine weiterzureisen, konnte mir aber mit dem Gelde der Mesa Zemenia eine kundige Begleitung anheuern. Von dem herrlichen Trapezunt aus kamen wir über den Bosporus an der griechischen Küste entlang fahrend in das Habsburger Land nach Wien. Von dort nun auch bald nach der Stadt Kaiser Karl des Vierten an der Moldau, anschließend zum Schlosse unseres guten Königs August III. des Gerechten am Elbestrom und schließlich erreichte ich, nachdem meine Begleiter sich wieder heimwärts gewandt, endlich Zahna, allwo ich das Buch „Ludus domos planetarum et signorum Dravidorum” meinem Superintendens Jahn zu Füßen legte.
Der Wirbel um den Jyotishi, von dem Valentin Urban mir geschrieben, hatte sich inzwischen längst gelegt. Denn der Sprengelpropst und sein Dekan, welche beide meinen Vorgesetzten Jahn so elendliglichst bedrängt, waren gemeinsam in das Kirchenpräsidialamt nach Dresden abberufen worden und taten daselbst für irgendetwas irgendeinen Dienst. An ihre verwaiste Stelle war der famose Johann Friedrich Tiedemann gerückt, Theologe und Orientalist, der als Professor der Theologie an den Universitäten Göttingens und Wittenbergs lehrte. Er war ein Experte für die hebräische Sprache und anderes mehr - besonders aber erstreckte sich sein Interesse auch auf das ferne Indien, so dass Jahn ihm würde viel helfen können bei der weiteren Ausspinnung von geistigen Verbindungen zu den fernen Verehrern Parabaravastus in Madras - was er dann auch getan hat.
Nun aber will ich den Leser artig bitten, davon abzusehen, mich tadeln zu wollen. Denn von jetzt ab muss ich einige Jahre überspringen und summarisch nur kurz andeuten, was weiter geschehen ist. Jahn starb - bzw. wurde entrückt. Ich selbst fand den Beklagenswerten eines Abends mit dem aufgeschlagenen Buche Ludus domos planetarum et signorum Dravidorum auf den Knien beim Abendglockenton in seinem Sessel sitzen und weitgeöffneter Augen zu dem beim Brand der Stadt 1719 malträtierten Kirchturme hinauf blicken, als ob dort eine Erscheinung zu gewärtigen wäre. Außer, dass auf dem Kreuz des Turmes ein paar Dohlen saßen, die sich auch von dem heftigen Geläut des aus dem Brand hervorgegangenen geschmolzenen Metalls nunmehr neu gegossenen Glocke in nichts beirren ließen, war für irdische Augen weiteres jedoch unsichtbar. So wurde also ich - Christian Uschmann - im Jahre 1760 in Zahna der Superintendens und lebte mit meinem Weib Juliana Louyse Mauritia geborene Eckin, das ich drei Jahre vorher geehelicht, bereits einige Zeit und von den Zahnaern sehr geschätzt und umsorgt im dortigen Diakonat am Kirchplatze. Soweit, so gut. Die Zeit ging dahin, uns wurden Kinder geboren und ich las oft in dem mitgebrachten Buche, das wir immer noch nicht aus der Hand gegeben, denn die fordernde Familie Ponickau zählte bereits nicht mehr unter die Lebenden. So hatte ich die ganze Reise eigentlich ganz umsonst gemacht - aber auch wieder nicht. Denn nichts ist umsonst in unserem Leben, wovon ich im zweiten Teil meines Berichts Weiteres dartun will.
Als Leberecht geendet hatte, brauste Beifall auf. Die Zuhörerschaft war sich nun darin ganz sicher, dass man von den teils unglaubwürdigen Schilderungen der Reise tatsächlich endlich genug gehört und jetzt unabweislich die Conclusio Omnium kommen müsse, welche darüber Auskunft erteilen würde, was das Berichtete alles mit dem Glauben zu tun habe ...
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alles andere von LÖeberecht Gottlieb hier
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