wie der Herr Tausend besiegt wurde
Leberecht Gottlieb (96)
96. Kapitel, dass uns zeigt, wie der böse Herr Tausend durch die List des damals noch recht jungen Pfarrers Leberecht Gottlieb hatte besiegt werden können.
„Das Werk Tausends“ knüpfte Leberecht nun bei der Erzählung des vorvorigen Abends an, „begann mit einem großartigen Jubiläum zum Thema Luther und seiner sogenannten Reformation. Viele Projekte fanden statt. Projekte, Projekte, Projekte … Jedes einzelne für sich unnachahmbar, anspruchsvoll und alle zusammen sehr, sehr gut. Auch für euch, ihr Lieben, war etwas dabei, denn ich erzähle es euch ja eben jetzt. Die europäischen Nationen scharten sich um die strahlende Perle des abendländischen Christentums - Wittenbergs Schlosskirche und das Schwarze Kloster von Martin und Käthe Luther. Niemand konnte die große Entwicklung aufhalten, die damals in den Tagen nach dem von Bruder Zehn für Leberecht stellvertretend ausgesprochnes Passwort „Nein“ anhob.
Keiner wird das, was wir im Folgenden berichten, leicht verstehen können. Alle aber taten so, als sei das, was damals geschah, völlig verständlich. Jedoch nach den zehn großartigen Jahren der Events und Projekte klingelte es eines Abends wieder. An Leberechts Pfarrhaustür. Ein Herr im grünen Lodenmantel bettelte diesmal nicht, sondern forderte Einlass. Bruder Tausend tritt gebietend in das Büro des im Begriff nach Italien abreisen wollenden Leberecht. Es ist November 2017 - und der ganze Lutherhype war - Gott sei Dank - vorüber. Frisch und munter wie am ersten Tag im Lodenmantel steht der Böse da und eröffnet seine Rechnung. Bruder Zehn, der das Passwort unwissend verraten hatte, weilt seit geraumer Zeit bereits unter den Sternen am Himmelszelt.
Es folgt ein schwieriger Dialog des Pfarrers Leberecht Gottlieb und dem Herrn Tausend, der nun die Seele Leberichs fordert. Leberecht weiß überhaupt nicht, worum es geht, denn Bruder Zehn hat ihm bei der Schlüsselübergabe den stellvertretend abgeschlossenen Teufelspakt ängstlich verschwiegen und mit keinem einzigen Wort davon erzählt. Da Leberecht sich jetzt auf gar kein Gespräch einlässt, sondern seinen Bus pünktlich besteigen will, der ihn zum Flieger nach Italien bringen wird, wirft er den Herrn Tausend kurzerhand und doch diplomatisch aus dem Pfarrhaus hinaus - ruft sicherheitshalber die Polizei, die auch erscheint und den Herrn Tausend in Gewahrsam nimmt. „Wir sehen uns wieder, Herr Pfarrer!” ruft Tausend dem Davoneilenden aus dem Polizeiauto höhnisch nach. „Schon bald - am Vesuv!” Und dann lacht er wieder sein hässliches Lachen.
Leberecht schüttelt das alles ab. Der Italienaufenthalt steht an - wie hat er sich auf diese zwei Wochen gefreut. Da will er sich doch nicht stören lassen - von diesem unverschämten Kerl, der irgendetwas faselt von Rechner und Passwort zum Rechner. Vorsichtshalber hat sich Leberecht das Gerät auch in das Handgepäck gesteckt. Ein brandneues iPad Air von Apple. Den wird er auch im Urlaub brauchen. Denn es ist nicht gut, dass der Mensch allein sei. Die Hinreise ins Land, wo die Zitronen blühen, geht ohne Zwischenfall voran und vollendet sich an der Rezeption eines kleinen Hotels am Fuße des Vulkans, aus dem es mäßig raucht. Ja, – und dann ist da noch Bruder Zehn, der seit einigen Jahren unter die Sterne Versetzte. Er winkt mit sorgenvollem Gesicht aus dem Bild der Zephyriden dem Urlauber auf die Erde zu. Leberecht kann den Vollendeten aber nicht sehen, denn der Glanz der kampanischen Sonne überstrahlt alle Sterne. Zwölfuhrmittags. Zudem verdeckt der Dampf aus dem Krater der vulkanischen Schmiede den Himmel komplett. Tief unten im Krater rot und orange. Schwefelwasserstoffgestank.
Am nächsten Morgen - bereits recht frühe - besteigt Leberecht den rauchenden Berg, dessen Schlot hinab in die Tiefe führt, in welche Hölderlin seinen Hyperion sich stürzen lässt. Der Pfarrer will heute nach den Sandalen Hyperions suchen, die da eigentlich noch herum stehen müssten.
Und da erschallt, ihr könnt es euch denken, auch schon von des Kraters Rand fröhlich ein „Grüß Gott“ und mit ein paar sicheren Schritten entsteigt Tausend dem Abgrund, steht bald in voller Größe Leberecht gegenüber und reicht ihm die Rechte. Gottlieb nimmt sie nicht, sondern verschränkt beide Arme vor der Brust. Da ist er ja schon wieder - dieser … Und nun ahnt auch Leberecht, wen er da vor sich hat. Er speit deshalb angewidert in den Schwefelkies. Das Predigerseminar hat ihn gelehrt, dass man Mächten der Finsternis mit deutlicher Körpersprache begegnen muss. „Oh, oh, oh – aber Herr Pfarrer“ höhnt der böse Tausend. „Ihr als Mann Gottes und ein so schlechtes Benehmen! Aber die Zeit der großen zwanzig Jahre ist nun um und vorbei. Wir haben unseren Teil geliefert – und jetzt seid Ihr dran, Euren Teil abzubezahlen. Die Seele, die Ihr verspracht, ist fällig.“
Leberecht überlegt, was man in solch einer ernsten Situation noch tun könnte. Den Teufel einfach zurück in die Hölle stoßen? Ab nach da drunten, wo die Lava kocht und die Felsbrocken rumpeln! Nein, – da kam Tausend ja eben her. Heute nicht im Lodenmantel, sondern im beeindruckenden Outfit eines Bodybuilders. Über und über tätowiert mit Darks und Orks und anderem Scheußelzeug. Das Besondere und Faszinierende an diesen Tätowierungen ist nun, dass sie sich alle, zwar nur träge – aber eben doch, bewegen und dabei ihre Gestalt änderten. Sie wanderten auf dem ölglänzenden Körper Satans umher. Zugegeben, das sieht recht beeindruckend aus. Die Bilder scheinen Episoden aus dem Leben Gottliebs darzustellen. Er sieht sich selbst, als Knaben zum Beispiel, auf der Orgelbank sitzen und Tonleitern üben. Schulbänke erblickt er, über deren dunkles Holz sich Köpfe beugten, alles wird hier gezeigt. Sein ganzes bis dato gelebtes Leben sieht Leberecht Gottlieb auf der eklen Haut des Vulkanbewohners umherwandern. Wie ist das möglich?
Tausend brüllt den Verwunderten lachend an: „Was siehst Du, Menschenskind?“ schreit er. Gottlieb antwortet nicht, sondern betet, dass irgendein Gott ihm hier oben gegen den von da unten beispringen möge. Sollte er versuchen, durch List und falsche Versprechungen etwas Zeit zu gewinnen? Ein Jahr oder sogar zwei? Es ist, als ob Tausend die Gedanken des Verzweifelten lesen könne, genauso wie Gottlieb sein Leben auf der Haut des Bodybuilders abgebildet sieht. „Keine zusätzliche Zeit mehr. Jetzt, Leberecht, ist der Tag des Heils!“ wiehert Satan.
Gottlieb ist 69 Jahre alt oder jung. Eines der Kinder des benachbarten Gemeindepädagogen hat, als er hörte, dass der alte Pfarrer wieder nach Italien reisen wollen, seine Zündplätzchenpistole vorbeigebracht und mit ernster Mine dem Touristen bedeutet: „Hier, damit Du auch eine Waffe hast bei deiner gefährlichen Reise!“ Genauso sagte er leise - doch bestimmt. Jetzt, eben wo er diese Szene erinnert, sieht Leberecht, wie sich auch diese rührende Begebenheit auf der Hautoberfläche des Teufels deutlich abkonterfeit.
Der Böse reckt sich und wächst ins Riesenhafte. „Leberecht!“ rief er donnernd „aus ist es mit Dir! Deine Seele, merkst Du es, zeichnet sich mit allem, was Dir lieb und teuer ist, in mich ein, auf mir ab und von Dir fort. Bald wirst Du ich sein und ich werde Du sein. Kein Unterschied mehr. Alles ist Eins.“ Dann wieder das scheußliche Lachen. Gottlieb staunt, obwohl ihn schaudert. So also lief das ab: Er hatte bisher immer gedacht, der Teufel fordere die Seele von einem. Man gab sie ihm dann natürlich nicht. Infolgedessen tötete der Böse zuerst notgedrungen den Leib, nahm danach die aus dem verendenden Kadaver flüchtende Seele in seine schlimmen ungepflegten Finger und flöge mit der Beute hinnieder zu den Gründen des Tartaros. Aber so war das gar nicht. Nicht der nahm die Seele, sondern man gab sie ihm als Bildprogramm selber unter die ölig glänzende Haut, freilich – ohne es recht zu wollen. Das war wirklich genial eingefädelt – und schlimm zugleich.
Gottlieb sah nach Norden in Richtung der fernen Alpen. Sah nach Nordeuropa hinüber, wo seine Heimat lag. Sah die uralten Dome und Kirchen und – sah die neuen Münster und Kathedralen, deren Kreuze die Ausbreitung des Christentums all over the world bezeichneten. Er sah die Universitätsgründungen, die neu dazugekommen waren in jenen großartigen zwanzig letzten Jahren unter Tausends Ägide. Millionen Christen hatte das Abendland ja hinzugewonnen. Schwarze, gelbe, braune und schneeweiße. Alle, alle waren gekommen und hatten sich taufen lassen. So groß war die Angst jedes Einzelnen vor irgendetwas großem Allgemeinen gewesen. Und weil sie alle etwas gesucht hatten, was die Rettung sein könnte, waren sie wieder auf die Kirche verfallen. Und die hatte dieses Mal den Kairos nicht verschlafen. Die Taufglocken hörten gar nicht mehr auf zu läuten. Kirchliche Versandstellen mussten bedauernd mitteilen, dass Urkunden, Abzeichen, Anhängsel und Kerzen aus wären. Der Konfirmandenunterricht war fast nicht mehr zu bewerkstelligen. Zu viele Anmeldungen. Kurzerhand wurde er in die Schulen zurückverlegt. Die immer sorgsam beschworene Trennung zwischen Kirche und Staat wurde vorübergehend ausgesetzt. Es kamen alle, alle, alle. Auch die Minderbemittelten traten irgendwie herzu. Das Christentum, immer schon eigentlich nur die Religion der Gebildeten, – es musste sich über Nacht und Tag neu erfinden. Es galt jetzt, auch den Ungebildeten die Mysterien nahe zu bringen, was nur dadurch gelang, dass die Geheimnisse aufgelöst und rationalistisch wegerklärt wurden. Und genau d a s war auch das Ziel des Herrn Tausend gewesen. Kultur und Boxkampf, Porno-Events und Gottesdienste, Sakrament und Finanztricksereien begannen, erst unmerklich, dann aber immer mehr, sich miteinander untrennbar zu vermischen und strahlende Amalgame zu bilden. Die Leute prügelten sich um einen Platz am Tisch des HERRN. Und konnten gar nicht genug Kollekte geben! Ein riesiges Konjunkturprogramm der allgemeinen Beteiligung pulsierte orgasmisch durch das alte Europa. Andere als christliche Heiligtümer wurden kurzerhand mit Zustimmung des gesamten Volkes abgerissen und geschreddert. Das Schreddermaterial wurde als Unterbau für eine breite Straße hin zum neuen Petersdom der Evangelikalen genutzt, dessen Prachtbau aus schimmerndem Marmor auf grüner Wiese errichtet worden war. Eine Fünfzighektarfläche unweit Weimars im Thüringer Land. Zehntausend Buchen waren dafür gefällt worden. Deren Holz wurde kammergetrocknet für den Dachstuhl genutzt. Ja, – so war es wirklich gewesen. Die Kraft Tausends hatte dieses alles ermöglicht. Innerhalb kürzester Zeit war die Kirche wieder zu dem geworden, was sie in Zeiten der großen Investitur gewesen war. Saladins einer Ring hatte alles gewonnen. Die anderen beiden Ringe galten nichts mehr. Tausend hatte es geschafft, Lessings große Fabel ad absurdum zu führen. Alles das war ausgegangen von Leberecht Gottliebs Amtsstube irgendwo im unbedeutenden Sachsen Anhalt. Und war durch “Bruder” Tausend so klug eingefädelt worden, dass es keine Rettung mehr gab. Die Pforten der Hölle schienen die Kirche Jesu Christi dadurch doch überwunden zu haben, indem die Kirche mit der Hölle unwissentlich im Bunde gewesen war. Respekt. Bedauerlicherweise sollte der Pfarrer Leberecht Gottlieb dafür jetzt seine Seele verlieren, oder hatte er sie schon verloren, weil sie sich auf der Haut des Bösen fortwährend einzeichnete? Der Abgrund brodelte, gurgelte schlürfend und verbreitete einen pestilenzartigen Gestank.
“Mehr Beute als meine einzige Seele fährt Tausend nicht ein? Nur die Seele eines elenden evangelischen Pfarrers?” denkt Gottlieb. Auch diese Frage zeichnete sich in der olivbraungrünen Schwarte des Ungetüms ab. „Nur eine Seele?“ lacht Tausend. „Wer eine hat, der hat alle! Die Seele ist der Stuhl Gottes. Wer aus einem einzigen Sitz stinkt, weil er drauf sitzt, hat bald das ganze Kino mit allen Sitzen in seiner Gewalt!“ Derart spottete Tausend. Pause. Dann weiter. „Habt Ihr nicht gut gefeiert? Wer hat das alles organisiert? Ich. Von wem kamen die Ideen? Von mir. Wer zahlte die Spesen? Tausend. Darf ich Euch erinnern? Alle die großen und kleinen Projekte? Erinnere Dich, Menschenskind … Und nun zählte Tausend einige derjenigen Projekte auf, die so viel bewirkt hatten und für die Gottlieb sich eigentlich immer geschämt hatte.
DREIDINGE BRAUCH DIE KIRCHE
LUTHER, MELANCHTHON,CRANACHMIT 2017 HAT MAN NOCH TRÄUME
HIER STEHE ICH, WAS WOLLT IHR ANDERS?
WEIB, WEIN, FURZ, GESANG - EIN LEBEN LANG
MARTIN UND KÄTHE - GENDER UND TENDER
NIE MEHR ALLEIN - KIRCHE, TRITT EIN.
VON LUTHER LERNE IMMER GERNE
AUF DIE PLÄTZE - HERZ STATT HETZE
Tausend grölt herum: „Alles meine genialischen Plots. Für Euch habe ich mich Tag um Tag und auch nachts krumm gelegt. Pro vobis! Habt ihr Euch nicht alle trefflich amüsiert und sozialisiert? Sind nicht sogar die Orientalen zu Euch übergelaufen, nachdem der schwarze Stein in Mekka verschwunden war – aufgenommen in die Himmel, wie wir mit GoogleEarth beweisen konnten? Sind nicht die Beschnittenen zu Euch übergetreten, als auch dem letzten der Chassidim klar geworden, dass ihr Messias auf dem Tempelberg im Jahr 2017 wirklich erschienen war und sich dabei als der wiedergekommene Christus zu erkennen gegeben hatte? Haben nicht die Buddhisten ihr Nirvana mit süßen Marienbildern ausgetauscht? Und als die Hindus die Christen als höchste Kaste noch über die der Bramanen zu verehren begonnen? Hattet Ihr da nicht laut triumphiert? Haben nicht die Atheisten der anstrengenden Skepsis den Abschied gegeben und reuig nach dem Katechismus verlangt? Begriffen nicht irgendwann endlich auch die Shintoopriester und Konfuzianer den Leberecht von Aquin? Haben nicht die schwarzen Voodoopriesterinnen ihre Nadelpüppchen kreischend verbrannt und sind samt und sonders Baptisten und Pfingstler geworden? Ist dieses nicht alles geschehen? Und allein durch meine Kraft? Antworte und rede, Menschenskind. Tue Deinen Mund auf, tritt hervor und führe Streit gegen mich, wenn es sich anders verhält.“
Gottlieb war ganz blass geworden. Selber hatte er das schon oft vermutet. Die immer schlimmer gewordenen Kampagnen seiner Kirche mussten ja mit der dunklen Kraft aus dem Abgrund zu tun gehabt haben. Alle diese Banner und kribbelbunten Fahnen, die man jetzt überall sehen musste. Besonders auch der fürchterliche Spruch IMPFEN IST NÄCHSTENLIEBE, dem so viele zum Opfer gefallen waren, weil sie daran geglaubt hatten. Aber - gab es denn wirklich keine Möglichkeit zu entfliehen, keinen Kniff, alles rückgängig zu machen? Der Teufel war sonst doch immer durch einen Trick besiegt worden - mit etwas, woran der Böse nicht gedacht und womit er nicht gerechnet hatte? Und die Märchen lügen bekanntlich genauso wenig, wie die Bibel nicht nicht Recht hat!
Was für eine vertrackte Situation: Leberecht am Rande des Vulkans. Zusammen mit ihm der böse Herr Tausend, dessen Haut inzwischen vollständig mit Bildern erfüllt ist, die sich alle miteinander und ineinander verschlungen haben und ein beeindruckend bewegliches Gesamtkunstwerk erzeugen. Gottlieb betrachtet diese dynamische Schreckensikonie gebannt. Ihm ist, als ob es seine Seele stetig hinüberzöge in das, was sie betrachtete. Da war nur ein einziger leerer Fleck auf dieser teuflischen Oberfläche, wo noch kein Bild zu sehen ist. Bloß eine verschwommene Zahl. Und als Gottlieb genauer hinschaut, - siehe, da sieht er auf der Teufelshaut eine angebissene Apfelfrucht. Sie trägt die Zahl 666. Zugleich fühlt Gottlieb in seiner langsam erkaltenden Rechten das iPad von Apple. Apfel und Apple. Ist das ein Zufall? Wie wild winkt Bruder Zehn Leberecht lächelnd vom Himmel herab zu, aber Sonne und Qualm verhindern, das der Bedrohte seinen entrückten Verbündeten sehen kann. Aber er hat wirklich einen Verbündeten. Bruder Zehn, der alte Emeritus am Himmel - der hilft. Selig ist, wer glaubt und doch nichts sieht!
„Nein“ denkt Leberecht – und mit diesem Wort fällt ihm nun doch noch etwas ein. Dieses mächtigste aller Worte, das Wort „Nein“, ist ja seit Menschengedenken das Passwort. Und Lebrechts Signatur! „In diesem Zeichen wirst Du siegen.” Hatte nicht schon Konstantin an der milesischen Brücke mit einem einfachen Pictogramm alles gewonnen? Konnte man nicht mit einem Audiogramm heute Ähnliches gewinnen? Kann nicht ein deutliches “Nein” vielleicht alles noch retten? „Ja, – lieber Bruder Teufel!“ hebt Gottlieb nun an und will schon zu reden fortfahren, da wird er vom Gebrüll Tausends, der jetzt alle Manieren völlig verloren zu haben scheint, unterbrochen: „Nein, nennet mich nicht lieber Bruder, denn das bin ich ganz gewiss nicht. Ich bin der Satan, Dein Feind und der böse Gast!“ Leberecht verbessert sich: „Gut, lieber böser Teufel. Ich weiß, dass Doktor Faustus mit seinem Blute unterschrieben hat. Damals kam zwischen ihm und Euch tatsächlich ein Kontrakt zustande. Ich aber habe nie etwas unterschrieben. Zwischen mir und Euch gibt es gar keinen Vertrag!“
Da lächelt der Böse maliziös und entgegnet: „Eure Vertretung, der Bruder Leichtzehn, der Euch aus dem Sternbild der Zephyriden immerdar zuzuwinken versucht (und er drohte mit der Linken nach oben), hat für Euch das Passwort eingegeben. Das reicht völlig aus. Den Blutsudel führen wir schon längst nicht mehr durch. Nutzername und Passwort sind ewig und endgiltiglich. Zehn kennt Euer Kennwort und hat es für Tausend eingegeben, an jenem Tage. Er hat für Euch Gewalt und Unterschrift ausgeübt. Ihr seid mein, Leberecht - und damit sind alle mein Pacta sunt servanda! Keine faulen Ausflüchte. Vertrag ist Vertrag. Eure Seele gegen Tausends Kirchenprojekte in zwanzig Jahren. Hin oder her. Hin ging es schon, – jetzt heißt es einmal her.“ Und er streckte seine fürchterlich behaarte Tatze nach Leberecht aus, um ihn mit sich in den vulkanischen Schlund zu reißen. Der aber klappt den Apfelrechner auf und zeigt auf den Baum des Lebens, in dem sich eine Schlange räkelt – da, wo die Früchte prangen. Eine Frucht ist dort mit der Zahl 666 drauf. „Ich soll also mit dem gesprochenen Passwort unterschrieben haben? Kennt Ihr denn das Wort meiner Unterschrift, so saget es her. Leset es nur vor. Dann will ich Euch folgen, wohin es auch immer geht.“
Und Gottlieb hält dem Teufelsvieh den Apple-Rechner unter die Nase. Der tippt mit dem schwarzverhornten Krallennagel dessen, was bei Menschen ein Zeigefinger ist, auf die Zahl 666. Die Frucht öffnet sich und eine Stimme erschallt: „Kennst Du das Passwort?“ – „Ja“ sagt der Böse und muss sofort hören, dass das nicht das rechte Wort ist. Gottlieb klappt den Rechner zu und lacht. „Noch einmal aufmachen!“ schnaubt der Geprellte. Ach, – wie oft wird in den nächsten Minuten der Rechner aufgeklappt – und wieder zugeschlagen. Der Baum erscheint viele Male, immer ertönt die Frage: „Kennst Du das Passwort?“ Tausendmal ruft Tausend Namen und Worte, die alle nicht passen. Der Teufel probiert es immer wieder: „Gottlieb“ – falsch. Er ruft „Kirche!“ Falsch. Er ruft und ruft alle Worte, die er kennt. Er ruft sogar zum Schluss, weil er denkt, dass müsse das Passwort nun wirklich sein, den Namen seines verhassten Bruders: „Jesus Christus - der Herr!“ Auch das ist nicht das Passwort. Bei der ganzen Passwortaktion ist das Bilderspiel auf der Haut des Ungeheuers immer schwächer geworden. Jetzt sind die Motive ganz verschwunden. Und die Macht des Bösen ist damit gebrochen. Leberecht meint leichthin: „Da Ihr ja meine Unterschrift nicht vorweisen könnt und indem Ihr mein Passwort nicht kennt, bin ich Euch nicht Rechenschaft schuldig.“
Oh weh … Allen, die das lesen, tut der Bruder Tausend nun fast schon leid. Kann es denn sein, dass man so geprellt wird? Wir fragen uns, warum denn der Böse nicht einfach „Nein“ gerufen hat, als der Apfel-Rechne fragte: „Kennst Du das Wort?“ Warum sagt der größte Verneiner aller Zeiten an der richtigen Stelle nicht einfach “Nein”, wenn das doch die Lösung ist? Und warum verspielt er mit dem Nicht-Nein alles das, was er vorher so schlau eingeführt hatte? Jeder weiß doch: Immer ist, wenn es mit dem Teufel zugeht, das Wort NEIN die alternativlose Lösungsformel. Nein, nein und nochmals nein.
Was sollen wir noch berichten? Unter Absonderung von Schwefeldünsten und Methangasen, mit Funken, Donner, Fluch und Schimpfen, mit fürchterlichen Schweißausdünstungen und unter Ausrufung vieler hässlicher Verse stürzt sich der Herr Tausend hinab in die alte Schmiedewerkstatt seiner vulkanischen Großmutter. Daraufhin verschwanden schlagartig alle neuen Kirchen, die vor zehn Jahren noch Tempel, Synagogen und Moscheen gewesen waren. Restlos verschwanden sie von der Oberfläche des Erdkreises – bzw. sie wurden (allerdings dauerte das Jahre) wieder zu dem, was sie vorher gewesen waren: Tempel, Synagogen und Moscheen. Die Anzahl der Kirchenmitglieder blieb erst einmal einigermaßen gleich. Nur, – die Leute zahlten bald keine Kirchensteuer mehr, es ging wieder bergab mit der sichtbaren Kirche. Aber erstmal reichte der Schwung noch für lange, lange Zeit. Und das war gut. Die tausend Projekte der vergangenen beiden Dekaden standen urplötzlich in völliger Blöße mitten im luftigen Raum – und da der Geist mit ihnen anfing zu spielen, fielen sie entweder in sich selbst zusammen wie Kartenhäuser, oder sie lösten sich im Nichts rückstandslos auf. Einiges aber war auf fruchtbares Land gefallen – und das trug Frucht. Vielfältig. Das soll hier nicht verschwiegen werden. Moralisatio Carissimi – Worauf es ankommt ist oft ein einziges Wort. Und das lautet eben manchmal „Ja” - aber oft auch „Nein“. Dieses reflektierte große „Nein” ist zwar selten – aber hin und wieder dann doch – viel mächtiger als manch unbedachtes „Ja und Amen”.
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