Das Prophetische (Teil 2)
STEFAN GEORGE ALS PROPHET

- Stefan George
- hochgeladen von Matthias Schollmeyer
DER WIDERCHRIST (Stefan George)
Dort kommt er vom berge · dort steht er im hain!
Wir sahen es selber · er wandelt in wein
Das wasser und spricht mit den toten.‹
O könntet ihr hören mein lachen bei nacht:
Nun schlug meine stunde · nun füllt sich das garn ·
Nun strömen die fische zum hamen.
Die weisen die toren – toll wälzt sich das volk ·
Entwurzelt die bäume · zerklittert das korn ·
Macht bahn für den zug des Erstandnen.
Kein werk ist des himmels das ich euch nicht tu.
Ein haarbreit nur fehlt und ihr merkt nicht den trug
Mit euren geschlagenen sinnen.
Ich schaff euch für alles was selten und schwer
Das Leichte · ein ding das wie gold ist aus lehm ·
Wie duft ist und saft ist und würze –
Und was sich der grosse profet nicht getraut:
Die kunst ohne roden und säen und baun
Zu saugen gespeicherte kräfte.
Der Fürst des Geziefers verbreitet sein reich ·
Kein schatz der ihm mangelt · kein glück das ihm weicht ..
Zu grund mit dem rest der empörer!
Ihr jauchzet · entzückt von dem teuflischen schein ·
Verprasset was blieb von dem früheren seim
Und fühlt erst die not vor dem ende.
Dann hängt ihr die zunge am trocknenden trog ·
Irrt ratlos wie vieh durch den brennenden hof ..
Und schrecklich erschallt die posaune.
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Was für ein gewaltiger Text. Schon der Titel kommt mit der Aura biblischen Ernstes aufgeladen daher. Und die Sprache ist gehämmert, geschleudert, geschwärzt. Das ist keine sanfte Prophetie – das ist ein Anti-Evangelium in der Maske des Lichts. Georges Gedicht ist nicht einfach nur prophetisch – es ist apokalyptisch. Es spricht mit der Stimme eines falschen Messias. Bei dem handelt es sich um den Doppelgänger des Christus, um eine Spiegelgestalt, die mit denselben Zeichen auftritt:
„Wandelt in Wein das Wasser und spricht mit den Toten.“
Aber dann geschieht die Umkehrung. Nicht Hoffnung bringt er, sondern weidet sich an dem eigenen Spott:
„O könntet ihr hören mein Lachen bei Nacht“
Ein Triumph des Zerstörers. Hier redet einer, der alle Zeichen des Heils nachahmt, aber sie verkehrt: Gold aus Lehm, Leichtigkeit ohne Mühe, Genuss ohne Wachstum „Die Kunst ohne roden und säen und baun.“
George hat hier den Verführer, den Antichristen, auf fast dämonisch-intelligente Weise in sich selbst hinein sprechen lassen. Wir hören dem Selbstgespräch des Antichristen zu. So ist ein Text entstanden, der einen schaudern lässt, weil viel Wahrheit über menschliche Verführbarkeit ausgesprochen wird.
Das Gedicht ist ein Zerrspiegel messianisch-prophetischer Sachlagen. Es klingt fast wie aus der Offenbarung des Johannes, aber eben umgekrempelt in das Gegenteil. Der falsche Erlöser wird gefeiert. Der gibt alles, aber nährt nicht. Er verheißt alles, aber raubt die Substanz. Und dann kommt unweigerlich – der Zusammenbruch:
„Dann hängt ihr die Zunge am trocknenden Trog …
Und schrecklich erschallt die Posaune.“
Dieser letzte Vers ist die Abrechnung. Das Endgericht. Nicht mehr Täuschung – sondern Wahrheit. Aber es ist zu spät.
Rein formal ist das Gedicht ein Meisterstück rhythmischer Wucht. Diese Dreierstrukturen, diese Aufzählungen. Kein sanfter Fluss – sondern Donnerschläge, die in Zeilen daher wogen. Schon die ersten Verse sind unerträglich eindrücklich:
„Dort kommt er vom berge · dort steht er im hain!
Wir sahen es selber …“
Wie aus einer Volksrede, einem apokalyptischen Flugblatt. Man hört den Atem des Wahns – der den Mantel der Wahrheit sich umgehängt hat. Ein prophetisches Gedicht – ja. Aber auch nein - nicht tröstlich. Jedoch treffen wir hier auf einen Text, der warnt. Der erschüttert. Und der zeigt, wie nahe sich Wahrheit und Täuschung, Licht und Dunkel manchmal kommen.
George hat mit seinem Text eine Maske geschaffen, die man nicht mehr loswird, wenn man sie einmal gesehen hat. Poesie, die einen innerlich aufrichten und vernichten kann – beides zugleich ist das Prophetische. Ähnlich wie bei Jeremia. Nur noch ein paar Grad härter gebrannt …
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