Rede an Sturmwind und Meer
Gertrud von Le Fort
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- hochgeladen von Matthias Schollmeyer
„Ich bin der Herr, der die Urflut erregt, so dass ihre Wellen wüten. Herr der himmlischen Heerschar - so lautet der Name. Ich habe mein Wort deinem Mund eingelegt - und unter dem Schatten, dem Bild meiner Hände, bist du geborgen. Ausbreit’ ich die Himmel - und gründe die Erde von Neuem …”
Ein schöner Text, der uns für den heutigen Sonntag aus dem Alten Testament angeboten wird (Jesaia 51,15). Es geht um das Phänomen des Wortes, das göttlicher Natur ist und dem menschlichen Mund eingelegt wird. Spricht der Mensch, dann spricht also eigentlich Gott. Diese und ähnliche Vorstellungen gehen durch die Weltgeschichte. Am deutlichsten wird der Gedanke, dass die kleine Kraft des Wortes das Große im All steuert, in den Wandlungsworten der römisch-katholischen Messfeier. Der Priester spricht die Formel: "Hoc est corpus meum" - und die Substanzen von kreatürlichem Brot und Wein nehmen metakreatürlichen Charakter an, - der Fachbegriff hierzu lautet Transsubstantiation. Mit dieser Vorstellung tauchen wir in die Nanowelt der theologisch-philosophischen Abenteuer ein.
Sturmstillung - das ist heute der Predigttext. Jesus sagt etwas - und das Meer steht still. Was eigentlich hat Jesus da gesagt, als er dem Meer etwas sagte? Was sprach er für Worte zum Wettersturm Hiobs dort auf dem galiläischen Meer? Hat er dem Kosmos Vokale gesungen. Das A, E, I, O und das Uhhhh … Er sang mit dem heulenden Wind und beschwor das unbändige Meer bis hinab auf die Stille seines Spiegelbildes. Das war eine Ausnahme? War es - jawohl. Es war Übertreibung. Die Kraft des Kleinen steuerte einmal das Größte. Geht denn das?
Wenn wir lesen, dass Jesus hinten in ihrem Schifflein auf einem Kissen schläft, dann erinnern wir uns natürlich, dass im Hebräischen das Wort für Schiff und für das, was wir ICH nennen, ein und dasselbe Wort ist. Ania oder Ani (אני). Jesus schläft also nicht auf irgendeinem historisch längst verrotteten Kissen in einem schiffbrüchigen Kahn, sondern in jedem von uns, gleich hinter der Bewusstheit - auf dem Kissen des Urvertrauens. Und es ist klar, dass dieses Schifflein zugleich auch seine Kirche ist, die sich durch die Salzflut der Zeit bisher recht wacker gehalten hat und hoffentlich noch weiter halten wird, wenn sie nicht durch törichte Kapitäne (und Kapitäninnen!) auf Grund oder in die Klippen gesteuert wird..
Kann man denn aber mit dem Wind, den Wogen und den Naturgewalten überhaupt kommunizieren? Die Kirche müsste es eigentlich noch können. Gertrud von Le Fort hat uns mit ihren „Hymnen an die Kirche” ein gutes Beispiel dafür gegeben. Die Hymnen an die Kirche entstanden im Jahr 1924 und sollten als „Zwiegespräch“ zwischen der „nach Gott verlangenden Seele des Menschen“ und „der Stimme der Kirche” verstanden werden.
Die Stimme der Kirche spricht:
Ich habe noch Blumen aus der Wildnis im Arme,
habe noch Tau in meinen Haaren aus Tälern der Menschenfrühe.
Ich habe noch Gebete, denen die Flur lauscht,
ich weiss noch, wie man Gewitter fromm macht und das Wasser segnet.
Ich trage noch im Schosse die Geheimnisse der Wüste,
ich trage noch auf meinem Haupt das edle Gespinst grauer Denker.
Denn ich bin Mutter aller Kinder dieser Erde,
was schmähst du mich, Welt, dass ich gross bin wie mein himmlischer Vater?
Siehe, in mir knien Völker, die lange dahin sind,
und aus meiner Seele leuchten nach dem Ew'gen viele Heiden!
Ich war heimlich in den Tempeln ihrer Götter,
ich war dunkel in den Sprüchen all ihrer Weisen.
Ich war auf den Türmen ihrer Sternsucher,
ich war bei den einsamen Frauen, auf die der Geist fiel.
Ich war die Sehnsucht aller Zeiten, ich war das Licht aller Zeiten.
Ich bin ihr grosses Zusammen, ich bin ihr ewiges Einig.
Ich bin auf der Strasse aller ihrer Strassen:
Auf mir ziehen die Jahrtausende zu Gott!
Wenn die Kirche mit solchen Worte den Himmel zum Sprechen brächte, würde man dann auf dem wogenden Meer ihrer Stimme nicht wieder Gehör schenken wollen?
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