Mobilität von allen Seiten
Torgau war zu Luthers Zeiten politisches Machtzentrum und gilt damit als Amme der Reformation. So gab es in diesem Jahr auch in der sächsischen Stadt viele Veranstaltungen. Über das außergewöhnliche Jahr sprach Pfarrerin Christiane Schmidt mit Katja Schmidtke.
Welche Bilanz des Reformationsjahres ziehen Sie für Torgau?
Schmidt: Es war ein stürmisches Jahr, in jeder Hinsicht. Die Andacht zur Kirchweih mussten wir in die Alte Superintendentur verlegen, weil das Landratsamt den Schlosshof wegen des Sturmtiefs gesperrt hatte. Auch inhaltlich ist viel passiert. Ich ziehe ein positives Fazit. Viele Anmeldungen von Reise- und Gemeindegruppen liegen vor, die durch unsere Kirchen geführt werden möchten oder bei Kantor Ekkehard Saretz eine musikalische Andacht feiern möchten. Wir feiern Gottesdienst mit vielen Gästen. Es hat sich viel getan in der Stadt: Die Lutherin-Stube ist neu, das Spalatin- und Johann-Walter-Museum hat eröffnet, im Schloss gibt es neue Dauer- und Sonderausstellungen. Wir haben wirklich keinen Grund zu meckern. Natürlich sind hier keine Massen von Menschen gekommen, das hätte uns auch wirklich überrascht.
Sie schauen also nicht neidisch nach Wittenberg?
Schmidt: Nein, überhaupt nicht. Wir freuen uns über das, was hier passiert ist und haben keinen Anlass zu Konkurrenzdenken. Im Gegenteil, es bestehen sehr freundschaftliche Kontakte nach Wittenberg. Was uns eher zu schaffen macht, ist, dass wir wegen der unterschiedlichen Grenzen von Land und Landeskirche zwischen den Stühlen sitzen. Politisch gehören wir zu Dresden, kirchlich zu Magdeburg. Inzwischen ist der Beauftragte der evangelischen Landeskirchen beim Freistaat Sachsen öfter zu Gast.
Und wir blicken auf Kommendes: 2018 ist Torgau Ausrichter des Tages der Sachsen, 2019 feiern wir 475 Jahre Schlosskapelle und 2022 haben wir die Landesgartenschau in der Stadt.
Und was bleibt von 2017?
Schmidt: Das Memorandum von Friedrich Schorlemmer und Christian Wolff, aber auch die Podiumsdebatte Anfang Oktober mit Landesbischöfin Ilse Junkermann und der Ostbeauftragten der Bundesregierung Iris Gleicke zeigen den Weg. Wir müssen uns fragen: Wie geht es weiter mit unserer Kirche nach 2017? Wie können wir bei den Menschen sein und was können wir leisten angesichts sinkender Mitarbeiterzahlen? Wir sind durch die Verhältnisse bei uns im Kirchenkreis zu diesen Fragen gezwungen. Sie führen uns aber zurück zu Luthers Prämissen. Wir dürfen uns trotz aller Jubiläen nicht mit Events verzetteln. Feste sind schön und gut, aber sie binden Kraft und Geld. Feste können andere besser ausrichten als wir. Wir müssen uns um den geistlichen Alltag kümmern, um das Leben in den Gemeinden, wir müssen ansprechbare Seelsorger sein. Gerade nach der Bundestagswahl. Die Ratlosigkeit angesichts der AfD-Wahlergebnisse ist groß. Da müssen wir miteinander ins Gespräch kommen.
Wie ist denn die Stimmung in der Torgauer Gemeinde?
Schmidt: Es hat uns gut getan, dass in diesem Jahr so viele Menschen zu uns gekommen sind und mit uns Gottesdienst gefeiert haben. Ob es im Inneren etwas bewegt hat, das vermag ich nicht zu sagen. Von einem geistlichen Aufbruch zu reden, wäre wohl zu viel. Deutlich spüren die Menschen aber die Diskrepanz zwischen dem Jubiläum und den Stellenkürzungen vor Ort. Viele machen sich große Sorgen, wie es weitergeht.
Wie kann es denn weitergehen? Welche Ideen gibt es?
Schmidt: Wir haben in der Region zwei Kolleginnen im Entsendungsdienst, die neue Wege beschreiten. Das ist sehr befruchtend, auch für mich selbst. Ich denke, künftig werden die Hauptamtlichen in einer Region enger zusammenarbeiten. Wir werden Teams bilden. Dennoch wird das bei einigen Gemeindegliedern das diffuse Gefühl verstärken, dass sich die Kirche aus der Fläche zurückzieht und der Pfarrer, die Pfarrerin nicht mehr zu sehen ist. Was soll ich sagen? Sicher ist nicht in jeder Kirche an jedem Sonntag Gottesdienst, aber bestimmt in der Nähe. Frau Gleicke mahnte bei unserem Diskussionsabend, dass es eine Bring- und Holschuld gebe. Kirche von morgen erfordert Mobilität von allen Seiten. Ich bin trotz aller Herausforderungen frohen Mutes und denke oft an Altbischof Noacks Worte: Wir (Hauptamtliche) müssen die Kirche nicht retten, das macht der liebe Gott schon selbst.
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