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Vor 100 Jahren
Aufruf zu einer neuen Reformation

Wer nur Lobeshymnen auf Luther erwartet hatte, sah sich am Reformationstag 1923 in der Herderkirche Weimar getäuscht.

Von Sebastian Kranich

Pfarrer Paul Erich Sturm rief im Gottesdienst zu „einer neuen Reformation“ auf. Völlig zu Recht, so Sturm, denn Luther habe gezeigt, „daß Reformationen nicht nur erlaubt, sondern bisweilen sogar notwendig sind.“

Zuvor hatte er sein „Institut für Weltreligion“ gegründet – in Hochdorf, ländlich abgeschieden und nah an Weimar. Es sollte dafür wirken, „die großen Religionen in sich zu reformieren, beziehungsweise das neu reformierte Christentum zur Weltreligion zu erheben.“ Diesen weitgespannten Anspruch suchte Sturm durch eine philosophische wie künstlerische Transformation zu verwirklichen. Konfession war ihm ein Graus: „Der konfessionelle Mensch erlebt Gott im Bücherstaub, der religiöse im – Blütenstaub.“ An Luther lobte er den Künstler und Propheten. Der Reformator sei „ein ästhetisches und ein ethisches Willensgenie“ gewesen, „aber kein philosophisches Genie.“ Doch nur ein solches könne der Religion eine neue Form geben.

These vier zu „einer neuen Reformation“ lautete: „Fromm sein heißt nicht, an Gott glauben oder Gott vertrauen, sondern viel mehr als das: Gott schauen.“

Lebenslang arbeitete Sturm an einer Religionsphilosophie im Gefolge von Friedrich Schleiermacher, Rudolf Otto und Friedrich Nietzsche, in dessen Nachfolge er sich sah. Vieles am Denken Sturms mag uns heute fremd oder auch befremdlich scheinen. Manches ist auch schlicht veraltet, wie das Bashing des Apostel Paulus: „Die Gedanken des erleuchteten Jesus stehen turmhoch über den Ausführungen des mit ihm verglichenen kleinwinzigen Paulus, der diesen gar nicht zu verstehen imstande war.“ Anderes jedoch bleibt interessant, besonders das, was auf interreligiösen Dialog und interreligiöse Verständigung verweist.

Die Ambitionen von Paul Sturm waren weit gespannt. Doch blieb er ein Einzelkämpfer. Der Mäzen des „Instituts für Weltreligion“ wurde durch die Inflation um sein Geld und sein Mäzenatentum gebracht. Rufe als Pfarrer nach Gera, Berlin und an den Dom zu Bremen lehnte Sturm ab. Die Versuche von Elisabeth Förster-Nietzsche, ihn auf einen Nietzsche-Lehrstuhl an der Universität Jena zu bringen, hatten keinen Erfolg. 1928 ging Sturm als Pfarrer nach Ulla, 1949 nach Jena. Lakonisch schreibt er über sich:

Es schuf mich Gott mit heißen Gluten /
Und mit dem Lichte der Vernunft, /
Doch leider nicht nach den Statuten /
Der Fakultäten und der Zunft.

Der Autor ist Direktor der Evangelischen Akademie Thüringen und Vorsitzender der Gesellschaft für Thüringische Kirchengeschichte. 

Autor:

Online-Redaktion

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