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Corona und Kairos
Von Willi Wild
Die Kolleginnen in der Redaktion haben mir zum Geburtstag ein beziehungsreiches Buch geschenkt. Der Titel lässt Spielraum für Interpretationen: "Herr, schenk mir Geduld, aber bitte sofort".
Ja, Geduld gehört nicht zu meinen Stärken. Ich rege mich auf, wenn der Start der Fußballbundesliga nach dem Lockdown wichtiger ist als der Beginn des Schulunterrichts. Dann beschleicht mich das Gefühl, dass die wirkliche Entlastung von Familien und die Bildung unseres Nachwuchses am Tabellenende stehen. Es ärgert mich, wenn Biergärten öffnen können, aber Gemeindefeste abgesagt oder verschoben werden. Oft geht es mir nicht schnell genug. Der Stau, der sich nicht auflöst, auf der Autobahn oder der an der Supermarktkasse.
Von Ungeduld lesen wir bereits am Anfang der Bibel. Adam und Eva haben ihre Geduldsprobe nicht bestanden. Die Folgen sind bekannt. Das Wartenkönnen ist eine Kulturtechnik, die erlernbar ist, meinen Psychologen. Ich kenne das, wenn ich erst mal eine Nacht darüber schlafe, bevor ich reagiere. Selbstkontrolle ist der Schlüssel. Das wusste schon der russische Schriftsteller Leo Tolstoi: "Alles nimmt ein gutes Ende für den, der warten kann."
In dem eingangs erwähnten Buch geht es übrigens um den "Kairos", ein religiös-philosophischer Begriff für den günstigen Zeitpunkt einer Entscheidung. In der Bibel wird der "Kairos" im theologischen Sinn verwendet. Er verbirgt sich auch in der Bitte des Vaterunsers "Dein Wille geschehe". Gott allein kennt Zeit und Stunde, und er will auch mich leiten zum rechten "Kairos", trotz und manchmal auch mit meiner Ungeduld. Wenn das nächste Mal der Zug Verspätung hat, könnte ich doch mal versuchen, statt zu schimpfen ein Vaterunser zu sprechen.
Autor:Online-Redaktion |
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