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Ökumenischer Jahresempfang
Deutsche in Glaubensfragen gleichgültiger

Der Religions- und Kultursoziologe Detlef Pollack | Foto: epd-bild/Universität Münster/Brigitte Heeke
  • Der Religions- und Kultursoziologe Detlef Pollack
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Magdeburg (epd). Nach Ansicht des Religions- und Kultursoziologen Detlef Pollack erleben die Kirchen in Deutschland derzeit nicht nur einen dramatischen Vertrauensverlust, auch die Glaubensbindung gehe deutlich zurück. „Immer mehr Menschen glauben an ein höheres Wesen statt an einen personalen Gott“, sagte Pollack am Dienstagabend in Magdeburg beim Ökumenischen Jahresempfang der Kirchen in Sachsen-Anhalt.

So habe die Kirchenmitgliedschaftsuntersuchung im vergangenen Jahr gezeigt, dass sich die Kirchenbindung bei Katholiken und Protestanten gleichermaßen abgeschwächt hat. Nur noch rund 20 Prozent der Katholiken in Deutschland hätten Vertrauen in die eigene Kirche. 1984 seien es noch mehr als 60 Prozent gewesen.

Den wachsenden Tendenzen zur Säkularisierung könnten die Kirchen aus eigener Kraft nichts entgegensetzen, sagte Pollack, der als Professor an der Universität Münster unterrichtet: „Die Kirchen sind nicht Herren über ihr eigenes Schicksal.“ Sie seien säkularen Tendenzen weitgehend ausgeliefert. Hinzu komme, dass auch der Gottesglaube zurückgehe. Auch unter den Kirchenmitgliedern glaube nur eine Minderheit zwischen 30 und 40 Prozent an einen persönlichen Gott.

Pollack zufolge steht die Bevölkerung den Religionen mehrheitlich offen gegenüber. Dies gelte jedoch nicht für den Islam, der mehrheitlich als Bedrohung empfunden werde. Für mehr als acht von zehn Deutschen mache der Wahrheitsgehalt zwischen den Religionen inzwischen keinen Unterschied mehr.

Pollack empfahl den Kirchen, „moralisch ein wenig abzurüsten“. Sie seien nicht mehr Vermittler eines universalen Weltbildes, könnten aber begleiten und Halt geben, für einen respektvollen Umgang der Mitmenschen einstehen sowie Räume für Stille und Gebet zur Verfügung stellen.

Auch Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Reiner Haseloff (CDU) wies auf die Bedeutung eines gemeinsamen Wertekodex in der Gesellschaft hin, der auch eine politische Bedeutung habe. Die Wahlergebnisse vom vergangenen Sonntag hätten gezeigt, dass die politische Mitte derzeit keine Mehrheit habe.

Der Magdeburger katholische Bischof Gerhard Feige sagte, die Kirchen müssten immer wieder in den Dialog mit der Gesellschaft treten. Dazu gehöre, Krisen und Herausforderungen, auch die eigenen, wahrzunehmen und anzugehen. Die Kirchen müssten sich für Gerechtigkeit und Barmherzigkeit, Anstand und Respekt einsetzen. „Unser christlicher Glaube tröstet nicht nur in den Unvollkommenheiten des Lebens, sondern drängt und ermutigt uns auch, anderen Menschen in ihren vielfachen Bedürfnissen und Nöten beizustehen“, sagte Feige.

Hintergrund 

Viele katholische Bistümer und evangelische Landeskirchen erhalten aus historischen Gründen regelmäßig Geld von Bundesländern. Die meisten dieser sogenannten Staatsleistungen gehen zurück auf das Jahr 1803: Damals wurden zahlreiche Kirchengüter auf der rechten Rheinseite enteignet und verstaatlicht. Nutznießer waren deutsche Reichsfürsten, die damit für Gebietsverluste an Frankreich auf der linken Rheinseite entschädigt wurden. Diese rechtswidrige Enteignung war eine der größten Vermögensumschichtungen der deutschen Geschichte. Die Fürsten verpflichteten sich im Gegenzug, den Kirchen regelmäßige Unterhaltszahlungen zum Bestreiten ihrer Aufgaben zu leisten.

Diese "altrechtlichen" Staatsleistungen umfassen Geld- oder Sachmittel, in manchen Fällen aber auch die Übernahme der Besoldung von Bischöfen, Domherren und Zuschüssen zu Pfarrergehältern. Diese Dotationen wurden später von den deutschen Ländern übernommen, teils in pauschalierter, vereinfachter Form. Seit der Wiedervereinigung 1990 erhalten auch die Kirchen in Ostdeutschland wieder diese Zahlungen; die DDR war diesen Verpflichtungen nur vereinzelt nachgekommen.

Für die beiden großen Kirchen zusammen machen diese Staatsleistungen jährlich etwa 600 Millionen Euro aus; davon gehen rund 60 Prozent an die evangelischen Landeskirchen. Von diesen historisch bedingten Zahlungen, die von den Steuerzahlern aufgebracht werden, zu unterscheiden ist das Recht der Kirchen, von ihren Mitgliedern Beiträge ("Kirchensteuern") zu erheben. Diese werden über die staatlichen Finanzämter eingetrieben, wofür die Kirchen Gebühren zahlen.

Die Weimarer Reichsverfassung von 1919 bestimmte in Artikel 138, dass die Staatsleistungen durch Landesgesetze "abgelöst werden" sollen. Die Grundsätze hierfür muss die Bundesebene festlegen. Das Grundgesetz übernahm 1949 in Artikel 140 diese Verpflichtung. Die Kirchen stehen einer möglichen Ablösung aufgeschlossen gegenüber.

Die Ampel-Koalition strebt ein Grundsätzegesetz an, das die Rahmenbedingungen für eine Ablösung schaffen soll. Darüber sind Bund, Länder und Kirchen im Gespräch. Die Ministerpräsidenten hatten dem Vorhaben aufgrund der Kosten zunächst aber eine Absage erteilt, da es um Ablösesummen in zweistelliger Milliardenhöhe geht.

(kna)

Autor:

Oliver Gierens

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