Soziales
Experte: Landbevölkerung fühlt sich zunehmend abgehängt
Seit Jahresbeginn sorgen bundesweite Bauernproteste für Schlagzeilen. Doch auch viele Mittelständler beteiligen sich an den Demonstrationen. Der Unmut über die Bundesregierung scheint auf dem Land besonders groß zu sein. Lukas Haffert, Politikwissenschaftler an der Universität Genf, erläutert im Gespräch mit Stefanie Unbehauen, woran das liegt.
Herr Haffert, die aktuellen Bauernproteste in Deutschland haben einen großen Rückhalt innerhalb der Bevölkerung. Es scheint, als ob es hier nicht nur um einen einzelnen Berufsstand ginge, sondern sich besonders die ländliche Bevölkerung zur Wehr setzt. Haben Sie den Eindruck, dass die Diskrepanz zwischen Stadt und Land wächst?
Lukas Haffert: Die Diskrepanz wächst tatsächlich. Dabei geht es nicht in erster Linie um das Wohlstandsniveau - vielen ländlichen Regionen, vor allem in Westdeutschland, geht es ökonomisch sehr gut. Vielmehr geht es um die Frage, wie der Wohlstand erwirtschaftet wird. Noch in der Industrie, also oft energieintensiv und durch Exporte? Oder vor allem durch wissensintensive Dienstleistungen, die in Bildungseinrichtungen, Beratungstätigkeiten oder der Kultur erbracht werden? Zudem geht es sehr stark um Anerkennung, etwa bei der Frage von Lebensstilen: Welche Lebensstile sind mit einem gesellschaftlichen Statusgewinn verbunden und welche mit einem Statusverlust?
Wie drücken sich diese unterschiedlichen Lebensstile aktuell in Wahlen aus?
Die Gleichung: «Das Land wählt AfD» ist zu einfach. Das gilt für Ostdeutschland, aber im Westen ist die Lage komplizierter. So ist die AfD beispielsweise 2022 in Schleswig-Holstein, einem sehr ländlichen Bundesland, aus dem Landtag geflogen. Was hingegen stimmt:
In Städten, zumal Universitätsstädten, hat die AfD nur wenig Unterstützung. Der eigentliche Repräsentant des Stadt-Land-Gegensatzes sind insofern die Grünen: Sie haben ihre Hochburgen überall in Deutschland in Universitätsstädten und sind auf dem Land sehr schwach.
Welche Rolle spielen hierbei Werte und Prägungen?
Eine sehr große. Wenn man Menschen etwa danach fragt, durch welche Eigenschaften sich Menschen wie sie auszeichnen, dann betonen Landbewohnerinnen und Landbewohner häufig Werte wie «Bodenständigkeit» und «harte Arbeit». Das kommt auch in den aktuellen Bauernprotesten ganz unmittelbar zum Ausdruck. In den Städten hingegen spielen Werte wie «Weltoffenheit» und «Selbstverwirklichung» eine viel größere Rolle.
Viele junge Menschen ziehen für ihr Studium oder ihre Ausbildung in die Stadt. Welche Auswirkungen hat diese Entwicklung auf Dörfer?
Der Wegzug junger Menschen bedeutet natürlich, dass die Bevölkerung überaltert. Da hat auch Corona zu keiner dauerhaften Gegenbewegung geführt. Besonders frustriert davon sind aber nicht die Alten, sondern die Jungen - vor allem die jungen Männer -, die zurückbleiben. In einer Studie konnten wir kürzlich zeigen, dass der Stadt-Land-Unterschied in den politischen Einstellungen bei jungen Menschen viel ausgeprägter ist als bei Älteren.
Welche Lösung sehen Sie, um die Diskrepanz zwischen Stadt- und Landbevölkerung langfristig wieder zu schmälern?
Zunächst einmal: Man muss ja gar nicht jeden Unterschied verringern. Eigentlich ist unser politisches System, etwa durch den starken Föderalismus, ganz gut darauf vorbereitet, geografische Unterschiede zu verarbeiten. Will man die politischen Gegensätze abmildern, wäre es wichtig, nicht nur über materielle Fragen wie die Qualität der Infrastruktur, schnelles Internet, oder Krankenhausschließungen zu sprechen. Das sind natürlich wichtige Faktoren, aber mindestens ebenso wichtig sind Repräsentation und symbolische Anerkennung.
Symbolische Anerkennung?
Ja, etwa indem eine städtische Biografie weniger als Norm gilt. Das ist eine Aufgabe für die Politik, aber auch für die Medien.
In der öffentlichen Debatte wird der ländliche Raum oft viel zu wenig differenziert dargestellt - in gewisser Weise tragen die Bauernproteste selbst auch dazu bei, indem sie die unpassende Gleichsetzung von Land mit Landwirtschaft befördern.
Was könnte hiergegen konkret getan werden?
Ein wichtiger Befund in der Forschung ist, dass Landbewohnerinnen und Landbewohner nur wenig Vertrauen darin haben, politisch etwas bewirken zu können. Städter sind da optimistischer.
Ein erster Schritt, etwas an dieser wahrgenommenen Repräsentationslücke zu ändern, wäre es, mehr authentische Vertreter des Landes in die Parlamente zu bringen. Auch sollte der Staat vor Ort als wahrnehmbar und beeinflussbar erscheinen, etwa indem man Landkreise nicht zu immer größeren Einheiten zusammenlegt. Und schließlich wäre es wichtig, dass Lokalzeitungen erhalten bleiben, die mit einer explizit regionalen Perspektive über die Bundespolitik berichten.
Autor:Online-Redaktion |
1 Kommentar
Sie möchten kommentieren?
Sie möchten zur Diskussion beitragen? Melden Sie sich an, um Kommentare zu verfassen.