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Aufarbeitung noch lange nicht abgeschlossen
Glocken für Hitler

Die NS-Glocken aus den Kirchen in Maua (KK Jena) und Tambach-Dietharz (KK Waltershausen-Ohrdruf) im Lutherhaus Eisenach | Foto: Lutherhaus Eisenach/Anna-Lena Thamm
  • Die NS-Glocken aus den Kirchen in Maua (KK Jena) und Tambach-Dietharz (KK Waltershausen-Ohrdruf) im Lutherhaus Eisenach
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Dass Glocken keine neutralen Gegenstände, nüchternen technischen Geräte oder bloße Klangkörper sind, wurde spätestens 2019 durch die Aufregung um die sogenannten Nazi-Glocken deutlich. Die EKM veranlasste schließlich, Glocken mit nationalsozialistischer Zier fortan nicht mehr zu läuten.

Von Jochen Birkenmeier

Fast alle bekannten Exemplare dieser berüchtigten NS-Glocken auf dem Gebiet der mitteldeutschen Landeskirche stammen aus Apolda. Gegossen von der renommiertesten Gießerei der Stadt, der Firma „Franz Schilling Söhne“. Doch auch nicht-kirchliche, ja sogar kirchenfeindliche Glocken wurden hier geschaffen, etwa für die aufwändigen Glockenspiele in den trutzigen Türmen der „NS-Ordensburgen“ im pommerschen Krössinsee und im bayerischen Sonthofen.

Die Architektur dieser Nazi-Kaderschmieden erinnerte an die Kirchtürme der Vergangenheit. Ihre Glocken riefen aber nicht mehr zum Gottesdienst, sondern zur Errichtung eines brutalen "arischen" Weltreichs, in dem die christlichen Kirchen „abfaulen“ sollten „wie ein brandiges Glied“ – wie Adolf Hitler dies in vertraulicher Runde formulierte. Die Glockenzier auf ihren kirchlichen Vorbildern huldigte derweil dem „Christus der Deutschen“ oder – mit Hakenkreuz geschmückt – gleich ganz dem "Führer".

Welche Verantwortung die Glockengießereien für die Gestaltung und Verwendung ihrer Werke tragen, bedarf einer historisch-fachlichen, aber auch einer ethischen Diskussion. Kann man die Schuld wirklich nur auf die Auftraggeber der Glocken schieben? Gab es keine Alternative zur Unterstützung eines verbrecherischen Regimes?

Ansätze zur Reflexion lieferte die Tagung „Braunes Erbe“, die von der Evangelischen Akademie Thüringen im vergangenen Jahr veranstaltet wurde. In den Vorträgen und Diskussionen wurde damals deutlich, dass die Aufarbeitung noch lange nicht abgeschlossen ist und der Mitwirkung aller ehemals Verantwortlichen bedarf. Ein geplanter EKM-Fachtag zum Umgang mit historisch belastetem Erbe musste aber in diesem Frühjahr wegen mangelnder Nachfrage abgesagt werden.

Die Stadt Apolda begeht derweil ihre Festwoche zu „300 Jahren Glockenguss“ ohne eine einzige Veranstaltung zu problematischen Kapiteln der Vergangenheit in ihr Festprogramm aufzunehmen. Dass man zugleich stolz darauf ist, dass Apoldaer Glocken auch in Windhoek läuten, der Hauptstadt der ehemaligen Kolonie Deutsch-Südwestafrika, lässt erahnen, dass man von einer ernst gemeinten historischen Aufarbeitung noch weit entfernt ist.

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