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Zum Tod von Jürgen Moltmann
«Herold eines neuen Protestantismus»

Foto:  epd-bild/Fritz Stark

Alle Zukunftsprognosen sind unsicher geworden, heißt es in einem der letzten Bücher von Jürgen Moltmann: «Jetzt kommt es auf die Hoffnung an.» Der Glaube an eine bessere und gerechtere Welt war das Lebensthema des Theologen - bis zuletzt.

Von Stephan Cezanne (epd)

Jürgen Moltmann zählt zu den großen Theologen der jüngeren Kirchengeschichte. Er baute Brücken zwischen christlicher Frömmigkeit und einer revolutionären Hoffnung auf eine solidarische und friedliche Welt. Damit prägte er das Denken ganzer Pfarrergenerationen - und von Christen weltweit. Als «großen Lehrer der Kirche» würdigte ihn einmal der frühere Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland, Heinrich Bedford-Strohm. Am Montag starb der Ausnahmegelehrte im Alter von 98 Jahren in Tübingen, wie seine Familie mitteilte.

Bis zuletzt meldete sich Jürgen Moltmann zu aktuellen politischen Themen zu Wort. So regte er Ende 2021 ein jährliches Gedenken für Corona-Tote an. Sollten die Zehntausenden von Toten «nicht zu einem Volkstrauertag in jedem Jahr führen?», erklärte er: «Wir gedenken doch auch der Kriegstoten.»

Der am 8. April 1926 in Hamburg geborene Sohn einer kirchenfernen Lehrerfamilie war zunächst Professor für Dogmengeschichte an der Kirchlichen Hochschule Wuppertal, ehe er 1963 nach Bonn berufen wurde. Von 1967 bis zu seiner Emeritierung 1994 lehrte er in Tübingen. Moltmann war mit der 2016 verstorbenen, international renommierten feministischen Theologin Elisabeth Moltmann-Wendel verheiratet. Beide hatten vier Kinder.

Jürgen Moltmann wird durch den Zweiten Weltkrieg tief geprägt. Als junger Luftwaffenhelfer bei der Alster-Flakbatterie erlebt er das Bombeninferno mit Feuersturm, das im Juli 1943 über Hamburg hergeht.
Ein Schulfreund wird dabei neben ihm zerrissen. Mit 19 Jahren kommt er in britische Kriegsgefangenschaft. Dort beschäftigt er sich intensiv mit religiösen Fragen.

Sein Erstlingswerk «Theologie der Hoffnung» von 1964 galt damals als Aufbruch in der Theologie. In den USA wurde er nach dem Erscheinen als «Herold eines neuen Protestantismus» gerühmt, wie es in einem «Spiegel»-Artikel Ende der 1960er Jahre hieß: Moltmann propagiere ein umstürzlerisches, gesellschaftsänderndes Christentum. 

Dagegen argwöhnte die Schweizer Theologielegende Karl Barth (1886-1968), mit seiner Theologie der Hoffnung habe Moltmann das legendäre «Prinzip Hoffnung» - Hauptwerk des neomarxistischen Philosophen Ernst Bloch - christlich «getauft».

Man dürfe Moltmann nicht auf seine «Theologie der Hoffnung» reduzieren, geben Experten zu bedenken. In «Der gekreuzigte Gott» von 1972 entfaltet er eine Theologie nach Auschwitz und fragt nach der Bedeutung des Todes Jesu für die Gegenwart. Zwischen 1980 und 1995 legt er die Kernthemen christlicher Theologie in fünf Bänden neu aus: die Lehre von Gott, der Schöpfung, von Jesus Christus, vom Heiligen Geist (Pneumatologie) sowie der Lehre von den letzten Dingen im Leben jedes Menschen, der ganzen Welt und des Kosmos (Eschatologie).

Zentrales Thema von Moltmanns Denken ist schon früh die globale ökologische Krise. Die Herausforderung der Klimakrise durchzieht auch sein Spätwerk «Politische Theologie in der modernen Welt» (2021) wie ein roter Faden, so einmal der evangelische Sozialethiker Jörg Hübner. Moltmann fordere darin eine «grüne Reformation», eine «Sympathie aller Dinge», eine «neue ökologische Anthropologie», eine «Liebe zur Erde» mit all ihren Kreaturen.

Mit über 90 Jahren dachte Moltmann neu über Tod und Auferstehung nach. Nach dem Tod seiner geliebten Frau Elisabeth «hat sich sein Dasein radikal verändert», heißt es im Schweizer Kirchenportal «ref.ch». Damit sei das Thema für ihn auch zum persönlichen Problem geworden. In seinem 2020 erschienenen Buch «Auferstanden in das ewige Leben: Über das Sterben und Erwachen einer lebendigen Seele» verband er theologische Überlegungen mit persönlichen Gedanken und Erfahrungen.

Moltmann steht in einer Reihe mit großen theologischen Denkern wie Wolfhart Pannenberg (1928-2014), Johann Baptist Metz (1928-2019), Hans Küng (1928-2021) und Eberhard Jüngel (1934-2021). «Hundert Jahre alt möchte ich nicht mehr werden», bekannte er noch auf der Feier seines 95. Geburtstages: «Aber wir leben in die Auferstehung hinein, nicht in den Tod.»

Autor:

Online-Redaktion

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