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EKD-Ratsvorsitzende
Kurschus: Wir sollten andere nicht belehren

EKD-Ratsvorsitzende Annette Kurschus | Foto:  epd-bild/Jens Schulze
  • EKD-Ratsvorsitzende Annette Kurschus
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Die Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Annette Kurschus, blickt kurz vor ihrem 60. Geburtstag dankbar, aber auch nachdenklich zurück. «Ich kann nicht von mir behaupten, dass ich mich von Jugend an konsequent für den Schutz der Umwelt engagiert hätte», sagt die Theologin im Gespräch mit Corinna Buschow und Karsten Frerichs. Die Aktionen der «Letzten Generation» sieht sie kritisch.

epd: Frau Kurschus, Sie werden am 14. Februar 60 Jahre alt. Welche Bedeutung hat das für Sie?
Annette Kurschus: Ich gebe zu: Die Zahl 60 gibt mir zu denken, das ist ein bisschen Seniorenalter [lacht]. Aber mein Gefühl sagt mir, ich bin jetzt eigentlich mittendrin und freue mich auf die Aufgaben, die vor mir liegen. Bei mir stellt sich eine Menge Dankbarkeit ein.

Empfinden Sie die kirchlichen Ämter und die damit verbundene zeitliche Beanspruchung nicht manchmal auch als belastend?
Natürlich hat das immer zwei Seiten. Ich liebe meine Kirche, will mich für sie engagieren und gewinne sehr viel durch bereichernde Begegnungen und Erlebnisse. Damit sind aber auch Verluste verbunden.

Zum Beispiel?
Musik hat in meinem Leben immer eine große Rolle gespielt. Aber regelmäßig eine Chor- oder Orchesterprobe zu besuchen, das ist zurzeit einfach nicht drin. Und das fehlt mir.

Sie gehören zu der Generation, der viele junge Menschen vorwerfen, auf ihre Kosten zu leben, was Ressourcenverbrauch und Klimaschutz angeht. Fühlen Sie sich schuldig?
Schuldig ist ein Tick zu viel, aber ich spüre Verantwortung. Mir war schon lange bewusst, dass es mit unserem Lebensstil nicht so weitergehen kann, weil er die gesamte Schöpfung extrem belastet und ausbeutet. Aber ich habe das - ehrlich gesagt - beiseitegeschoben. Ich kann nicht von mir behaupten, dass ich mich von Jugend an konsequent für den Schutz der Umwelt engagiert hätte.
Das Verantwortungsgefühl ist bei mir erst in den letzten Jahren kontinuierlich gewachsen. Insofern ist «schuldig» womöglich doch nicht das falsche Wort.

Würde sich eine heute 20-jährige Annette Kurschus der «Letzten Generation» anschließen?
Den Zielen ja, aber die konkreten Aktionen des Protests sehe ich kritisch. Das wäre vermutlich auch als 20-Jährige so gewesen. Sich auf der Straße festzukleben und Kunstwerke zu verunstalten: Das schafft eine Menge Unmut und negative Aufmerksamkeit. Es lenkt von den wichtigen Zielen ab, und das schadet dem Klimaschutz eher.

Und als Theologin, könnten Sie mit der Betitelung «Letzte Generation» leben?
Nein. «Letzte Generation» klingt apokalyptisch, widerspricht jeder Hoffnungstheologie. Und ich halte es auch für eine Form von Hybris, von sich zu behaupten, man gehöre zu den Letzten, die noch etwas tun können. Zugleich verstehe und unterstreiche ich ausdrücklich das Signal, das in der Bezeichnung steckt: Jetzt muss gehandelt werden, und zwar sofort, es ist höchste Zeit, wir dürfen nichts mehr aufschieben.

Was tun Sie persönlich für Umwelt und Klima?
Ich versuche, möglichst wenig Strom zu verbrauchen, überlege bei jeder Fahrt, ob ich statt des Autos das Fahrrad oder die Bahn nehmen kann, und fliege so selten wie möglich. Ich ernähre mich fast ausschließlich vegetarisch und achte auf Regionales und Saisonales.

Die EKD-Synode hat ein Tempolimit fürs Führungspersonal der Kirche beschlossen, konkret eine Selbstverpflichtung von 80 Kilometern pro Stunde auf Landstraßen und 100 auf Autobahnen. Halten sie sich daran?
Ja, die Synode hat so beschlossen, und da wird natürlich auch auf mich geschaut. Tempo 100 finde ich aber persönlich zu scharf.

Sie haben sich selbst in der Synode kritisch geäußert, warnten vor einem moralisierenden Auftreten der Kirche. Tatsächlich wurde die Tempolimit-Entscheidung scharf kritisiert. Hat der Beschluss der evangelischen Kirche geschadet?
In seiner Zuspitzung hat er stark die öffentliche Aufmerksamkeit gebunden, wodurch andere Themen der Synode in den Hintergrund getreten sind. Das war nicht glücklich. Aber es ist klar, dass ein Tempolimit eine enorme Reduzierung des CO2-Ausstoßes mit sich bringt. Ich stehe ohne Wenn und Aber dahinter, dass wir uns kirchlicherseits beim Klimaschutz engagieren. In jedem Falle macht der Ton die Musik. Und da ist mir wichtig, dass wir nicht andere belehren, sondern zuallererst bei uns selber anfangen. Darauf habe ich bei der Synode hingewiesen.

Hat die Kirche ein Kommunikationsproblem?
Wir halten in der Gesellschaft die Hoffnung wach. Die Botschaft, die wir in die Welt tragen, hilft Menschen zum Leben und zum Sterben. Sie erlaubt, schuldig zu werden und zu scheitern - und dennoch wieder aufzuatmen und aufzustehen. Das scheint mir gerade angesichts der aktuellen Erfahrungen von Verletzlichkeit und Endlichkeit unverzichtbar. Mich beschäftigt, wie wir bekannter und attraktiver machen können, was wir zu sagen haben.

Was steht dem im Wege?
Möglicherweise ist es der kritische Blick auf die Institution, der Menschen davon abhält, offen für die Inhalte zu sein.

Ist nicht auch die Vielstimmigkeit in der evangelischen Kirche Teil des Problems? Ganz konkret gefragt: Wie steht die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) zu Waffenlieferungen an die Ukraine?
Die evangelische Kirche unterstützt alles, was dem Frieden dient und Leben schützt. Wir stehen an der Seite der Angegriffenen.
Die brauchen alle Unterstützung, auch indem wir diejenigen aufnehmen, die aus der Ukraine flüchten.
Die Frage der Lieferung von Waffen führt Christen zwangsläufig in ein Dilemma, denn Jesus setzt eindeutig auf den Verzicht von Gewalt.
Zugleich würde Jesus wohl auch sagen: Ihr müsst euch an die Seite derer stellen, deren Leben bedroht ist. Da streiten also zwei wichtige Anliegen miteinander. Die streiten auch in den allermeisten Christen selbst. Ich halte das in dieser Frage für eine unausweichliche und zwingend nötige Mehrstimmigkeit. Die meisten in unserer Kirche tragen die Lieferung von Waffen notgedrungen mit, wenn auch mit blutendem Herzen und starken Skrupeln.

Bald wird Deutschland Kampfpanzer an die Ukraine abgeben, und auch der Wunsch nach Kampfjets steht im Raum. Beunruhigt Sie das?
Ja, das wird mir zunehmend unheimlich. Wir haben immer betont: Die Verteidigung muss Ziel der Waffenlieferungen sein, Angriffswaffen stellen das infrage. Ich befürchte, das könnte nun immer weiter eskalieren.

Sie haben in einer Predigt am Reformationstag gesagt: «Verachtet Verhandlungen nicht.» Das erntete teils scharfe Kritik, weil es als Abkehr von der Solidarität mit den Menschen in der Ukraine verstanden wurde. Wie haben Sie das erlebt?
Die überaus harsche Kritik fand ich überzogen. Im Nachhinein ist mir deutlich: «Verhandlungen» kann missverstanden werden im Sinne von «rechtsverbindliche Friedensverhandlungen». Die habe ich in meiner Predigt nicht gemeint, mir ging es darum, dass die Gesprächskanäle und die Brücken zwischen Menschen nicht abbrechen dürfen.

Zu einem anderen Thema: Der Bundestag berät über eine Regulierung des assistierten Suizids als Form der Sterbehilfe. Welche gesetzliche Regelung befürworten Sie?
Aus evangelischer Sicht ist klar: Ein Suizid darf keine reguläre Option neben anderen sein. Das Recht des Menschen auf Selbstbestimmung und der unbedingte Schutz des Lebens dürfen nicht gegeneinander ausgespielt werden, weder am Anfang noch am Ende des Lebens. Menschen in absoluten Grenzsituationen zur Seite zu stehen, muss für uns im Mittelpunkt stehen. Und dabei dürfen wir auch jene nicht alleine lassen, die sich nichts als den eigenen Tod wünschen.
Es gibt Extremsituationen, in denen ein Mensch keinen anderen Ausweg mehr sieht als den Suizid. Der Suizid darf aber nie zu einem wählbaren Angebot werden.
Umgekehrt dürfen wir einen Suizidwunsch nicht verdammen und kriminalisieren. Vielmehr müssen wir alles tun, was in unserer Möglichkeit steht, damit Menschen nicht in eine solche Situation geraten.

Kann es unter dieser Maßgabe sein, dass sich Sterbehilfe letzten Endes in einem juristischen Sinne nicht befriedigend wird regeln lassen?
Ich bin keine Juristin, aber mir scheint, dass dies so ist. Ich kann mir keine gesetzliche Regelung vorstellen, die dieser vielschichtigen existenziellen Frage in jeder Hinsicht gerecht wird.
Das hat wohl damit zu tun, dass unser Leben und Sterben im Letzten ein Geheimnis bleibt.

In der Ampel-Koalition gibt es auch Druck, die Regelung zum Schwangerschaftsabbruch aus dem Strafgesetzbuch zu streichen. Besorgt Sie das?
Es ist gut, dass darüber noch einmal intensiv debattiert wird. Seitens der EKD sind wir bereit, in den angekündigten Kommissionen mitzuarbeiten und unsere Sicht einzubringen. Der Schutz des Lebens ist das klare Ziel. Allerdings geht es bei diesem Thema immer um zwei Leben. Das noch ungeborene Leben des Kindes ist unbedingt schützenswert. Doch es kann und darf nicht geschützt werden gegen das Leben der werdenden Mutter.

Erfüllt das die jetzige Regelung, nach der Abtreibung verboten, unter engen Voraussetzungen aber straffrei ist?
In der aktuellen Debatte geht es in meinen Augen beinahe ausschließlich um das Selbstbestimmungsrecht der schwangeren Frau. Da kommt mir das werdende Leben, das in Gottes liebender Hand steht, zu kurz. Trotzdem muss die jetzige Regelung sehr genau daraufhin überprüft werden, ob sie die schwangere Frau und ihre Rechte ausreichend berücksichtigt.

(epd)

Autor:

Katja Schmidtke

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