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EKD-Ratsvorsitzende tritt zurück
Mit Gott und mir im Reinen

Annette Kurschus ist am 20. November in Bielefeld vor die Presse getreten und hat ihren Rücktritt bekanntgegeben und begründet.  | Foto: epd-bild/Detlef Heese
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  • Annette Kurschus ist am 20. November in Bielefeld vor die Presse getreten und hat ihren Rücktritt bekanntgegeben und begründet.
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Rücktritt: Annette Kurschus ist von ihren Ämtern als EKD-Ratsvorsitzende und Präses (leitende Geistliche) der westfälischen Kirche zurückgetreten. Sie reagierte damit auf Vorwürfe gegen sie wegen des Umgangs mit einem Fall sexualisierter Gewalt in ihrem ehemaligen Kirchenkreis. Ihre Erklärung im Wortlaut.

Die Evangelische Kirche von Westfalen und die Evangelische Kirche in Deutschland sind seit Jahren Mittelpunkt meines Lebens. Nicht nur meine Tage, auch mein ganzes Denken und Handeln sind davon bestimmt. Daran hat sich nichts geändert.

Was sich geändert hat: In den letzten Tagen haben sich Ereignisse überschlagen. Aus einem zunächst rein lokalen und regionalen Vorgang wurde ein Fall von bundesweiter Bedeutung gemacht. Inzwischen hat sich die Lage derart zugespitzt, dass es für mich nur eine Konsequenz gibt, um Schaden von meiner Kirche abzuwenden: Ich trete von beiden kirchlichen Leitungsämtern zurück.

In der Sache bin ich mit mir im Reinen. Ich habe zu jeder Zeit nach bestem Wissen und Gewissen gehandelt. Seit mehr als einer Woche wird in der Öffentlichkeit ein Konflikt geschürt. Ein Konflikt zwischen Betroffenen von sexualisierter Gewalt und mir als Amtsträgerin. Auch, wenn das an dieser Stelle viele von mir erwarten: Diesen Konflikt kann und werde ich hier öffentlich nicht austragen. Ich möchte das schon deshalb nicht tun, weil das die Erfolge gefährden könnte, die wir in der Aufarbeitung und Bekämpfung sexualisierter Gewalt gemeinsam mit Betroffenen über viele Jahre errungen haben. Und die es weiter zu erringen gilt. Für die Menschen, die da an der Arbeit sind, stehe ich. Und denen will ich nicht mit Schlagzeilen durch einen Verbleib im Amt schaden.

Der Kirchenkreis Siegen-Wittgenstein und meine westfälische Landeskirche setzen sich seit Anfang dieses Jahres mit Verdachtsfällen sexualisierter Gewalt auseinander, die zum Teil Jahrzehnte zurückliegen. Die Verantwortlichen arbeiten mit all ihnen zur Verfügung stehenden Mitteln daran, dass die Wahrheit ans Licht kommt. Dabei werden die Betroffenen durch die Kirche intensiv unterstützt.

Der Verdacht, das ist ja inzwischen lange bekannt, richtet sich gegen einen Mann, mit dessen Familie ich lange befreundet war. Nie stand ich zu ihm in einem Dienstverhältnis, auch nicht zu meiner Zeit als Pfarrerin und Superintendentin im Kirchenkreis Siegen. Ich wünschte, ich wäre vor 25 Jahren bereits so aufmerksam, geschult und sensibel für Verhaltensmuster gewesen, die mich heute alarmieren würden. Ich habe allein Homosexualität und die eheliche Untreue des Beschuldigten wahrgenommen.

Mein aufrichtiges Bemühen darum, Persönlichkeitsrechte zu schützen – auch beschuldigte Menschen und deren Familien sind und bleiben Personen mit Rechten! - dieses Bemühen wird als mangelnde Transparenz kritisiert. Als der Versuch, meine eigene Haut zu retten oder mein kirchliches Amt zu schützen. Das ist umso bitterer, als es mir niemals – und das betone ich ausdrücklich! - niemals darum ging, mich aus der eigenen Verantwortung zu stehlen oder wichtige Fakten zurückzuhalten, Sachverhalte zu vertuschen oder gar einen Beschuldigten zu decken.


"Ich kann meinen Dienst nicht wirksam tun, wenn meine Aufrichtigkeit öffentlich angezweifelt und immer wieder jeden Tag infrage gestellt wird"

Inzwischen hat die Frage nach meiner Glaubwürdigkeit öffentlich eine derartige Eigendynamik entfaltet, dass eine absurde und schädliche Verschiebung eingetreten ist: Statt um die Betroffenen und deren Schutz geht es seit Tagen ausschließlich um meine Person. Das muss endlich aufhören. Es zieht die Aufmerksamkeit ab von dem, was jetzt dran ist, die Aufmerksamkeit von den Betroffenen und von der Aufklärung des Unrechts, das denen angetan wurde. Davon ist gar keine Rede! Um diese Aufklärung geht es aber doch. Diese Aufklärung gehört in den Fokus.

In aller evangelischen Freiheit zu gesellschaftlichen Fragen pointiert Stellung zu nehmen, theologisch auch Unbequemes klar beim Namen zu nennen: All das und so vieles mehr wird mir durch die aktuelle Entwicklung künftig nicht mehr möglich sein, jedenfalls nicht mehr so möglich sein, wie es die Ämter einer Ratsvorsitzenden und einer westfälischen Präses verlangen und wie es mir selbst am Herzen liegt.

Deshalb - und nur deshalb! - trete ich heute mit sofortiger Wirkung von den Ämtern der Ratsvorsitzenden der Evangelischen Kirche in Deutschland und der Präses der Evangelischen Kirche von Westfalen zurück.

Dieser Schritt fällt mir nicht leicht. Ich habe ihn reiflich geprüft. Es ist eine schwerwiegende Entscheidung, nicht zuletzt für mich persönlich. Gern hätte ich mir dafür noch mehr Zeit dafür gelassen. Aber in unserer westfälischen Kirche steht Ende dieser Woche die Tagung der Landessynode an. Da muss für die weiteren Planungen Klarheit herrschen.

Sie wissen: Ich habe die Aufgaben in beiden Ämtern mit Leidenschaft und Herzblut wahrgenommen. In einer Redlichkeit, die ich mir auch hier und jetzt von niemandem, von niemandem absprechen lasse. Dafür habe ich viel eingesetzt. Aus dem Evangelium heraus meine Stimme zu erheben, das habe ich geliebt und das habe ich getan für diejenigen, die sonst wenig zu Wort kommen: Dafür schlägt mein Herz, dafür habe ich viel eingesetzt. In beiden Ämtern liegt große Verantwortung, beide sind mit einem hohen Maß an öffentlicher Wirksamkeit verknüpft.

Der Dienst, der hier zu tun ist, lebt eben nicht allein von dem Vertrauen, das einzelne Menschen in mich setzen. Er setzt ein öffentliches Vertrauen in meine Person voraus. Dieses Vertrauen hat Schaden genommen. Und zwar ausgerechnet in dem Bereich, den ich beim Amtsantritt ausdrücklich zu meiner „Chefinnensache“ gemacht habe.

Menschen, denen im Raum unserer evangelischen Kirche durch sexualisierte Gewalt schlimmes Unrecht angetan wurde, uneingeschränkte Aufklärung und Aufarbeitung dieses Unrechts zuzusichern: Das war meine erklärte Absicht. Mit den starken Möglichkeiten meiner Führungsposition alles zu tun, um strukturell solches Unrecht zu verhindern: Das war mein Ansinnen. Um diese Absicht, um dieses Ansinnen geht es unserer Kirche. Unbedingt. Dafür werde ich auch weiter einstehen.

Ich weiß, dass viele Menschen enttäuscht sind über meine Entscheidung. Vor allem in meiner westfälischen Landeskirche: Gemeindeglieder, Kolleginnen und Kollegen, Mitarbeitende, Mitglieder der westfälischen Kirchenleitung. Mich haben persönliche Vertrauensbekundungen erreicht, die mich tief berühren. Danke dafür! Viele haben mich gebeten, im Präsesamt meiner westfälischen Landeskirche zu bleiben. Es geht nicht.

Die Enttäuschten wissen: Ich kann meinen Dienst nicht wirksam tun, wenn meine Aufrichtigkeit öffentlich angezweifelt und immer wieder jeden Tag infrage gestellt wird. Mit Gott und mir selbst bin ich im Reinen, und so gehe ich sehr traurig, aber ich gehe getrost und aufrecht.“

 Grund für den Rücktritt sind Vorwürfe gegen Kurschus, sie sei nicht transparent mit einem mutmaßlichen Fall sexualisierter Gewalt umgegangen. Im Mittelpunkt des Falls steht ein ehemaliger Kirchenmitarbeiter aus Kurschus' altem Kirchenkreis Siegen-Wittgenstein, der junge Männer sexuell bedrängt haben soll. Die Staatsanwaltschaft Siegen ermittelt, geht aber derzeit nicht von einer strafrechtlichen Relevanz der Taten aus, die zum Teil auch verjährt sein könnten.

Hintergrund
Kurschus kennt den Mann, der heute im Ruhestand ist, nach eigenen Angaben sehr gut. In Siegen war sie ab 1993 als Gemeindepfarrerin und später als Superintendentin tätig. In einem Dienstverhältnis habe sie nie zu dem Beschuldigten gestanden. Strittig ist, wann Kurschus von dem Verhalten des Mannes erfuhr.
Kurschus wurde 2021 zur EKD-Ratsvorsitzenden gewählt. Den EKD-Ratsvorsitz übernimmt ihre bisherige Stellvertreterin, die Hamburger Bischöfin Kirsten Fehrs (Foto), ab sofort kommissarisch. Fehrs kündigte an, Missbrauchsvorwürfe in Kirche und Diakonie weiter konsequent aufklären zu wollen. «Die Menschen erwarten zu Recht, dass wir uns als Kirche nicht mit uns selbst beschäftigen.» 

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