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Obdachlosenarzt fordert Steinmeier heraus

Foto: Screenshot/ epd-video.de

Chancen, zum nächsten Bundespräsidenten gewählt zu werden, hat der Mainzer Arzt Gerhard Trabert nicht. Trotzdem lässt er sich als Kandidat der Linken ins Rennen schicken - damit in der Bundesrepublik wieder mehr über soziale Not geredet wird.

Von Karsten Packeiser

Was es bedeutet, in einem der reichsten Länder der Welt arm zu sein, weiß Gerhard Trabert nicht vom Hörensagen. Der 65-jährige Professor für Sozialmedizin versorgt mit seinem Verein «Armut und Gesundheit in Deutschland» in Mainz seit vielen Jahren Wohnungslose und Patienten ohne Krankenversicherung. Dass Armut krank macht und die Lebenserwartung armer Menschen in Deutschland um Jahre unter der von Spitzenverdienern liegt, macht ihn wütend - das allgemeine Desinteresse daran noch mehr. Daher lässt sich der Mediziner als parteiloser Kandidat von den Linken ins Rennen um die Wahl zum Bundespräsidenten schicken.

Die Gesundheitsversorgung armer Menschen ist Traberts Lebensthema geworden. Als erster Arzt in Deutschland bekam er von der Kassenärztlichen Vereinigung die Ermächtigung, Obdachlose aufsuchend zu behandeln. Seit mittlerweile über 25 Jahren ist das Arztmobil von «Armut und Gesundheit» aus dem Mainzer Stadtbild nicht mehr wegzudenken, in dem Trabert sich mit viel Empathie um seine Patienten kümmert. Weil die Zahl der Menschen ohne Krankenversicherung immer mehr zunahm, eröffnete der Verein später eine Ambulanz, in der sogar fachärztliche Untersuchungen und Zahnbehandlungen stattfinden. Eine im selben Gebäude ansässige Clearingstelle versucht, Menschen wieder zu einem regulären Versicherungsschutz zu verhelfen.

Trabert ist realistisch genug zu wissen, dass er in der Bundesversammlung gegen Frank-Walter Steinmeier, den Wunschkandidaten von Ampel-Regierung und CDU-Opposition, keine Chance hat. «Es geht darum, dass die Situation von sozial benachteiligten Menschen zu wenig beachtet wird», begründet er seine Kandidatur. Viele Politiker in Deutschland seien überzeugt davon, dass es in Deutschland «nur relative Armut» gebe und sich beispielsweise nicht alle Menschen Urlaubsreisen leisten könnten. Tatsächlich sei die Situation viel gravierender. So hätten von Armut betroffene Männer in Deutschland nur die mittlere Lebenserwartung eines Nordafrikaners. Und 30 Prozent erreichen nicht einmal das 65. Lebensjahr.

Seit Jahren kämpft der Mediziner auch für eine humanere europäische Asylpolitik. Immer wieder besucht er Krisenregionen, reiste zu Katastrophen-Einsätzen für Erdbebenopfer in Haiti oder half beim Aufbau der Krankenversorgung in der syrischen Kurdenregion. Oft wirkt er resigniert, wenn seine dramatischen Schilderungen über das Elend der Flüchtlinge auf dem Mittelmeer und in den Lagern am Rande der EU weitgehend folgenlos verhallen. «Ich versuche, Christ zu sein», sagt Trabert über sich. Die Not in Deutschland und in der Welt sei nun einmal real und «keine linke Propaganda».

Egal, ob es um Wohnungslosenhilfe, Asylpolitik oder das soziale Netz in Deutschland geht, in dem immer mehr Menschen keinen Halt mehr finden - um deutliche Worte war Trabert noch nie verlegen. Damit machte sich der Mediziner, der 2020 zum Hochschullehrer des Jahres gewählt worden war und im vergangenen Jahr bereits als Mainzer Direktkandidat der Linken für den Bundestag kandidierte, in der Politik nicht überall Freunde. «Bestimmte gesellschaftliche Kreise sagen mir ganz klar: Jetzt, wo du für die 'Kommunisten' auftrittst, können wir dich nicht mehr unterstützen», berichtet er. «Für die bin ich jetzt nicht mehr nur der liebe, gute Doktor, der Wohnungslose versorgt, sondern einer, der unser politisches System und unser Verteilungssystem infrage stellt.»



Hintergrund

Der Bundespräsident ist oberster Repräsentant der Bundesrepublik und eine Art «Staatsnotar», der die vom Parlament beschlossenen Gesetze unterzeichnet. Seine vergleichsweise schwache Stellung ist eine Konsequenz aus der Weimarer Republik. Die Verfassungsväter im Parlamentarischen Rat wollten so die Fehler der gescheiterten ersten deutschen Demokratie vermeiden. Deshalb wird das Staatsoberhaupt auch nicht wie in der Weimarer Republik direkt vom Volk gewählt.

Das Amt des Bundespräsidenten wird stark von der Persönlichkeit des Amtsinhabers geprägt. Trotz geringer Machtbefugnisse verfügt dieser vor allem mit seinen Reden über erhebliche Möglichkeiten der öffentlichen Wirkung. Persönlichkeiten wie Theodor Heuss, Gustav Heinemann und Richard von Weizsäcker prägten das Amt und erwarben sich große Reputation bei ihren Landsleuten und im Ausland.

Die Bundesversammlung wählt den Bundespräsidenten für die Dauer von fünf Jahren. Nur eine einmalige Wiederwahl ist zulässig. Theodor Heuss (1949-1959), Heinrich Lübke (1959-1969), Richard von Weizsäcker
(1984-1994) und Horst Köhler (2004-2010) wurden für eine zweite Amtszeit wiedergewählt. Köhler trat ein Jahr nach seiner Wiederwahl überraschend am 31. Mai 2010 zurück.

Sein Nachfolger Christian Wulff erklärte am 17. Februar 2012 nach knapp 20 Monaten im Amt seinen Rücktritt. Ihm folgte als elfter Bundespräsident Joachim Gauck. Wie Gustav Heinemann (1969-1974), Walter Scheel (1974-1979), Karl Carstens (1979-1984), Roman Herzog
(1994-1999) und Johannes Rau (1999-2004) trat Gauck nicht für eine zweite Amtszeit an.

2017 wurde Frank-Walter Steinmeier zum Bundespräsidenten gewählt.
Er kandidiert bei der Bundesversammlung am 13. Februar für eine zweite Amtszeit. Dabei wird er von SPD, Grünen, FDP und Union unterstützt. Mitbewerber sind der von der Linken nominierte Sozialmediziner Gerhard Trabert und der von der AfD aufgestellte Ökonom Max Otte.

(epd)

Autor:

Beatrix Heinrichs

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