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Auslegung zur Jahreslosung von Kirchenpräsident Joachim Liebig
Stärker als alles andere

Foto: Foto: Tim Marshall/Unsplash
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Was würden Eltern nicht alles für die Heilung ihres erkrankten Kindes tun? Schon die Frage ist eine Zumutung. Die Antwort lautet selbstverständlich: Alles! Sogar an Gott glauben?
Die Jahreslosung aus dem Markusevangelium ist einer Heilungsgeschichte entnommen. Ein von Kindheit an kranker Junge wird von seinem Vater zu den Jüngern Jesu gebracht, die ihn aber nicht heilen können. Dann tritt Jesus dazu, und wir erleben im Markus-Evangelium einen durchaus gereizten, ja ärgerlichen Erlöser: „Wie lange soll ich euch ertragen?“ Und dann mit unwilligem Unterton: "Bringt ihn her zu mir!"
Ganz ähnlich einer ärztlichen Befragung zu Beginn der Behandlung, lässt sich Jesus das Krankheitsbild vom Vater erläutern. Für einen kurzen Moment kehrt Ruhe ein. Dann jedoch sagt der Vater: "Wenn du aber etwas kannst, so erbarme dich unser und hilf uns!“ Jesu Unmut vom Beginn der Geschichte kehrt zurück: „Du sagst: Wenn du kannst – alle Dinge sind möglich dem, der da glaubt.“Das Vertrauen des Vaters reicht offensichtlich so weit, seinen Sohn mit einem Heilungswunsch zu Jesus zu bringen. Vorbehaltloses Zutrauen in die Fähigkeiten Jesu sieht jedoch anders aus.
Vermutlich haben die Eltern des kranken Jungen bereits alles in ihrer Macht Stehende versucht. Der Ruf Jesu als Wunderheiler eilt ihm voraus und nun setzen sie eine letzte Hoffnung in ihn. Doch es gibt zu viel Enttäuschung, zu viel vergebliche Hoffnung auf Heilung, zu viel Hadern mit dem Schicksal. Zweifelnd und bittend wendet sich der Vater an Jesus: "Erbarme dich unser und hilf uns!" Damit läuft die Geschichte auf ihren Höhepunkt zu: "Alle Dinge sind möglich dem, der da glaubt.“
Zurechtweisend, fast oberlehrerhaft tritt Jesus dem Vater gegenüber. In diesem Moment entscheidet sich, ob dem kranken Jungen Erbarmen widerfahren wird oder nicht. Der Vater spürt das und schreit sogleich: "Ich glaube; hilf meinem Unglauben!“ Der Beschränkung seines Glaubens ist er sich bewusst – nur soll daran die Heilung nicht scheitern. Die letzte Hoffnung möge bitte nicht auch enttäuscht werden. Anders, als das durchgängige – und richtige – Bild von Jesus als dem über alle Maßen Barmherzigen vermuten ließe, wendet er sich nun zwar dem kranken Kind zu, scheinbar jedoch nicht um des Kindes willen, sondern als er sieht, dass das Volk herbeiläuft.
Jesus heilt den Jungen, aber die Heilung selbst ist nicht die zentrale Botschaft. Die Botschaft richtet sich an die Menge: Die Macht des Glaubens ist stärker als alles andere! Und untrennbar damit verbunden, wenn auch an dieser Stelle nicht gesagt: Es geht nicht um irgendeinen Glauben, sondern um den Glauben an den Mensch gewordenen Gott, der jetzt und hier vor vielen Menschen ein Wunder tut.
Erneut ist die Jahreslosung einer Geschichte aus dem Leben Jesu entnommen, die ohne große Hindernisse in unsere Zeit übertragen werden kann: Verzweifelte Eltern, ein krankes Kind, letzte Hoffnung auf ein Wunder, eine Situation, die es selbstverständlich auch bei uns gibt. Die Hoffnungen richten sich heute allerdings in der Regel auf medizinische Aspekte. Natürlich ist das richtig und in der Sache verständlich.
Doch die Macht des Gebetes bleibt davon unberührt. Tragfähiger Glaube und moderne Medizin sind nicht im Geringsten Widersprüche. Und doch ist es ein entscheidender Unterschied, ob ich berechtigt der beruflichen Kompetenz von Forscherinnen und Ärzten vertraue, oder ob ich, weit darüber hinausreichend, Gott, dem Herrn, alles anvertraue.
In meinem Glauben sind medizinische Wunder Teil der Barmherzigkeit Gottes. Solange die Wunder geschehen, mag das unstrittig sein. Wie berührt es aber die Menschen, wenn das medizinische Wunder ausbleibt? Wenn trotz bester ärztlicher Versorgung die Krankheit nicht geheilt wird? Dann gilt der verzweifelte Ruf des Vaters aus der Geschichte umso mehr: „Ich glaube; hilf meinem Unglauben!“ Auch ohne Wunder muss da trotzdem etwas sein, was mich hält und tröstet. Glaube ist dazu in der Lage.
Die Bitte des Vaters verdeutlicht: Glaube ist dabei kein Besitz, sondern stets angefochten. Die sichere Gewissheit der Barmherzigkeit Gottes als Fundament des Lebens nicht nur zu behaupten, sondern täglich neu zu erleben, ist bereits Barmherzigkeit. Um diese bittet nicht nur der Vater des kranken Jungen, sondern dies tun Menschen zu allen Zeiten.
Ganz unabhängig davon, was das kommende, unter dieser Jahreslosung stehende Jahr bringen wird: Ich werde zu Gott rufen, er möge meinem immer angefragten Glauben helfen und mich damit bereit machen, Gutes und Schlechtes aus seiner Hand zu nehmen. Ich bin gewiss: Gott hört unser Gebet!

Joachim Liebig, Kirchenpräsident der Evangelischen Landeskirche Anhalts

Foto: Foto: Tim Marshall/Unsplash
Autor:

Online-Redaktion

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