Freitag, vor eins ...
Unsere Seite 1 - Da geht doch was
Kindern verhagelt er schon mal den Sonntagnachmittag, wir Frauen verlegen ihn bisweilen gerne in die Ladenstraße unserer Stadt und die Italiener - meine Beobachtung in so manchem Mittelmeerurlaub - vollziehen ihn mit Vorliebe als abendliche Prozession, bei der es mehr ums Stehen und Reden geht, als um die Fortbewegung: Der Spaziergang. Eine Renaissance erlebt der Zeitvertreib da, wo er die Flaneure aus ihrer Komfortzone holt. Ein Blick nach Gera und Berlin zeigt: Da geht doch was!
Der Mensch ist unterwegs, nun ja, seit er laufen kann. Selbstzweck war die Fortbewegung zu Fuß dabei nie gewesen. Schon Konfuzius wusste: Der Weg ist das Ziel. Und spätestens den bürgerlichen Lustwandlern des 18. Jahrhunderts war klar: An der frischen Luft lässt sich herrlich Konversation machen, Bekanntschaften pflegen und zarte Liebesbande knüpfen. Der gute Goethe bringt es auf den Punkt: Auch, wenn du nur im Wald so für dich hin gehst, um nichts zu suchen - du wirst garantiert fündig. Das Ideal des Spazierengehens ist nicht seine vermeintliche Absichtslosigkeit, es sind die neue Perspektiven, die sich auftun, wie die Berggipfel über dem Nebelmeer bei Caspar David Friedrich.
Raus aus der eigenen Nebelblase, rein ins Quartier, dann wird der Blick klarer. Das hat sich wohl auch die Autorin Jana Huster gesagt. Für die Ökumenische Akademie in Gera hat sie die Reihe »Fremdenführungen« konzipiert. Die achte und für dieses Jahr letzte Fußreise durch die ostthüringer Stadt startet am 8. November unter dem Titel „Deutschland zuerst? Soziale Leistungen für alle“. Die Teilnehmer sollen mehr erfahren über die wirtschaftliche Situation der Geflüchteten in Gera. Dafür stehen ein Termin bei den Migrationsbeauftragten der Stadt genauso auf dem Tourplan wie ein Gespräch mit Engagierten vom Freundeskreis für Flüchtlinge und ein Besuch in einer Erstaufnahmestelle. Mit dem Angebot wolle man die Geraer ermuntern, ihre Neugier auf das Fremde auszuleben, so hatte es Akademieleiter Pfarrer Frank Hiddemann bei der Vorstellung des Jahresprogramms formuliert.
Einen ähnlichen Ansatz verfolgt bereits seit 2016 die Berliner "Kieztour mit Herz". Initiiert werden die zwei- bis dreistündigen Stadtspaziergänge vom Erzbistum Berlin, dem Caritasverband und dem Katholischen Deutschen Frauenbund. An diesem Sonnabend wird es wieder eine Tour geben. Die Teilnehmer sollen dann einen Einblick in das Leben mit Aids erhalten. Sie treffen mit einem Betroffenen, einer Ärztin und Mitarbeiterinnen des Hospizdienstes "Tauwerk" zusammen, die Aids-kranken Menschen und ihren Angehörigen helfen. Vorangegangene "Kieztouren" haben unter anderem das Leben von Wohnungslosen, Gefangenen und Sexarbeiterinnen thematisiert.
Wir lernen: Fremde Lebenswirklichkeiten jenseits der eigene Bubble entdecken, ist ein Spaziergang. Ob "Fremdenführung" oder "Kieztour", die Menschen machen den Unterschied. "Es sind die persönlichen Begegnungen, die den Blick auf stereotype Haltungen verändern", weiß Frank Hiddemann. Flanierend, so könnte man das Hobbes-Wort umschreiben, ist der Mensch dem Menschen der Nächste.
In dieser Woche werfen wir ein Schlaglicht auf jene Menschen, die anderen in Extremsituationen Beistand leisten. Notfallseelsorger leisten erste Hilfe für die Seele. In der aktuellen Ausgabe der Kirchenzeitung lesen Sie mehr über die Wurzeln dieses Ehrenamts, die Erfahrungen der Helfer und die Nachwuchssorgen der Teams vor Ort. Gute Lektüre!
Unsere Themen:
- Wenn das Unfassbare geschieht: Notfallseelsorger sind da, wenn Menschen in Extremsituationen geraten. Warum der Glaube zu ihrer Arbeit gehört, aber nicht im Zentrum steht.
- "Antisemitismus ist Unglaube": Christian Staffa, Antisemitismusbeauftragter der EKD, über Judenhass und warum er unter Christen ein Problem ist.
- Ein Jegliches hat seine Zeit: Zum 30. Jubiläum der Friedlichen Revolution wird in Jena eine Kantate von Ludger Vollmer aus der Taufe gehoben. Ein Gespräch mit dem Komponisten.
Außerdem:
- Der ungläubige Kater: In »Die Katze des Rabbiners« lässt Comic-Autor Joann Sfar einen Kater Theologie treiben – und behandelt die Frage, wie heute der Glaube gelebt werden kann.
- Auf zum Moos-Kneippen: Waldbaden heißt der neuste Herbsttrend. Die Atempause im Grünen stärkt die Immunabwehr.
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Autor:Beatrix Heinrichs |
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