Freitag vor 1
Unsere Seite 1 - Eine zweite Familie
Das Ordensleben ist ein gar katholisch Ding? Das dachte ich zumindest bisher. Aber man lernt bekanntlich nie aus: Auch in der Evangelischen Kirche gibt es Geistliche Gemeinschaften, die nach einer Ordensregel leben. Und wie auch bei den katholischen Brüdern und Schwestern können sich "Laien", also einfache Gläubige ohne besondere Gelübde, mit einer Ordensgemeinschaft verbinden. Eine solche Verbindung kann zu einer zweiten Familie werden, wie ich aus eigener Erfahrung gelernt habe.
Es war vor einigen Jahren sogleich "Liebe auf den ersten Blick". Bei einer Radioübertragung hörte ich eine katholische Geistliche Gemeinschaft, ihre Gesänge und Gebete - und war fasziniert von dieser außergewöhnlichen Spiritualität, die mich im Inneren berührt hat. "Die muss ich näher kennenlernen", dachte ich mir - und fuhr bei nächster Gelegenheit in das Kloster. Und die Faszination wurde noch größer: Die Atmosphäre der Stille, der Kontemplation berührte mich sofort, obwohl nur zwei, drei Schwestern in der Klosterkirche in der Anbetung verharrten. Aber die Kirche sprach förmlich in der Stille zu mir.
Dann erfuhr ich: Auch "gewöhnliche Gläubige" können sich mit dieser Gemeinschaft verbinden. Die Priester spenden am Abend einen Segen, den jeder für sich zu Hause mit einem kurzen Gebet empfangen kann. Regelmäßig werden die Laien, die mit der Gemeinschaft verbunden sind, ins Kloster eingeladen - zu Glaubensgesprächen, Gebetszeiten oder einfach zu einem schönen Nachmittag in herzlicher, offener Atmosphäre.
Diese Möglichkeit für Laien, sich mit einer Ordensgemeinschaft zu verbinden, ohne selbst ins Kloster einzutreten oder ein Leben in besonderen Gelübden zu führen, empfinde ich seitdem als eine großartige Einrichtung. Diese "Dritten Orden", wie die Gemeinschaften von Laien neben den Männer- (Erste Orden) und Frauenorden (Zweite Orden) auch genannt werden, sind eine wunderbare Brücke zwischen den Klöstern und der "Welt da draußen". Im Idealfall profitieren beide voneinander - die Ordensleute schotten sich nicht übermäßig stark von der Welt ab, und die Laien können an der Spiritualität und der klösterlichen Gemeinschaft teilhaben.
Für mich wurde die geistliche Gemeinschaft, mit der ich verbunden war, zu einer "zweiten Familie". Wenn ich mal ein paar Tage eine geistliche Auszeit brauchte, war ich im Kloster willkommen. Die großen Feste wie Weihnachten und Ostern in der Gemeinschaft mitzufeiern, war stets ein besonderes Erlebnis. Mittlerweile lebe ich weit vom Kloster weg und halte nur noch sporadisch Kontakt. Aber die Verbundenheit ist bis heute nicht völlig abgerissen.
Auch in der aktuellen Ausgabe von Glaube+Heimat berichten wir über Geistliche Gemeinschaften - und über die Möglichkeit, wie sich Laien mit ihnen verbinden können. Diese Möglichkeit bieten - wie gesagt - auch viele evangelische Konvente an. Und auch hier sind mancherorts konfessionelle Schranken bereits überwunden, so dass auch Gläubige anderer Konfessionen willkommen sind.
Unsere Themen:
Mehr als Gebet und Arbeit: Geistliche Gemeinschaften haben mitunter ihren Ursprung in der 68er-Bewegung
Beten an der Ampel: Unser Sommerinterview mit Regionalbischöfin Friederike F. Spengler
Wo die Bibel an der Decke hängt: Die St.-Georg-Kirche in Kulm beherbergt einen kleinen Schatz - und feiert ihr 800-jähriges Jubiläum
Außerdem:
Ausnahmefall der Geschichte: Die Amish im US-Bundesstaat Pennsylvania leben gößtenteils wie im 19. Jahrhundert - und sind die am stärksten wachsende Religionsgemeinschaft
Der Preis der Glaubensfreiheit: Shahrzad Rostami ist mit ihrer Familie aus dem Iran geflohen. Jetzt lebt sie in Wolfen.
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Autor:Oliver Gierens |
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