Freitag, vor eins ...
Unsere Seite 1 - Vom Wandern in die Zeit
Die Tage waren verregnet und trüb, als meine Urgroßeltern ihren Urlaub 1975 in Finsterbergen im Thüringer Wald verbrachten. Und das war gut so. Wäre das Wetter heiter gewesen, wer weiß, vielleicht hätte mein Uropa seine Geschichte nie aufgeschrieben.
"Auf Wanderschaft" war die Loseblattsammlung überschrieben, die mir meine Oma mit 15 oder 16 Jahren zum Lesen in die Hand drückte. Dem Papier sah man die Jahre wohl an. Der Erzählung aber waren sie nicht abzuspüren. Als wäre es gestern gewesen, schreibt mein Uropa von seinen Erlebnissen im Mai 1945, als er mehr als 600 Kilometer von Oberösterreich zurück nach Hause wanderte. Er schildert die letzten Kriegswochen, die er als Teil einer Veterinärkompanie in Österreich und Ungarn erlebte. Er schreibt von dem, was ihn - aus der Entfernung von damals 30 Jahren - immer noch gegenwärtig gewesen sein muss. Vom Zugpferd der Kompanie, das sich einen Nagel in den Huf gelaufen hatte, von Geschützdonner und Hunger und von den Menschen, die wie er fern der Heimat waren. Und er schreibt, wie in den Maitagen nach Kriegsende der Entschluss in ihm reifte, den Weg nach Hause zu Fuß anzutreten. Im Schlepptau, zwei ungleiche Weggefährten: Die Angst vor der Gefangenschaft und der unerschütterliche Wunsch die Familie wiederzusehen.
Kann man sich das vorstellen? Ich konnte das nicht als Teenager. So weit. Laufen. 40 bis 50 Kilometer sei der Uropa am Tag gegangen, so steht es in seinem Bericht. Immer dem Lauf der Sonne nach gen Norden. Und immer auf der Suche nach einer Bleibe für die Nacht. Als Landwirt muss sich mein Uropa wohl selbst die beste Tauschware gewesen sein: So ging er auf einem Hof fachkundig zur Hand als die Kuh kalbte und kein Veterinär des nachts so schnell helfen konnte. Der Dank, ein warmes Essen, einfache Kost, von der er berichtet wie von einem Festmahl. Oder der Bauer, der ihm einen handgeschnitzten Stecken schenkte. Der trug den Uropa weit. Bis kurz vor den heimatlichen Hof. Für den langersehnten Tag seiner Heimkehr findet er - im Gegensatz zu den vielen vermeintlich kleinen Begebenheiten entlang des Weges - nur sparsame Worte: "Von der Freude des Wiedersehens will und brauche ich nicht zu berichten." Ein Satz wie ein Weißraum, der so viel offen lässt und doch alles sagt. Und, der mich als junges Mädchen hat lange nachdenken lassen, über Frieden und über Krieg.
Christen in ganz Deutschland erinnern am Sonntag mit Veranstaltungen und Aktionen an den Ausbruch des Zweiten Weltkrieges vor 80 Jahren. Krieg und Frieden: Unser Thema in der aktuellen Ausgabe der Kirchenzeitung. Gute Lektüre!
Unsere Themen:
- Frieden mit Fragezeichen: "Können Kriege gerecht sein? ", fragt Militärbischof Sigurd Rink in seinem neuen Buch. Peter Bürger, Theologe und Mitglied von "pax christi", hat es gelesen.
- Fluss des Friedens: Hans-Joachim Döring ist weitgereist. Heute ist der Beauftragte für Umwelt und Entwicklung der EKM in einem Dorf in der Elbaue zu Hause. Angela Stoye hat ihn getroffen.
- Kunstort und Dorftreffpunkt: Der Evangelische Kirchbautag lädt vom 19. bis 22. September zu Erkundungen in Thüringens Städten und Dörfern ein.
Außerdem:
- Vom Frieden durchdrungen: Gewaltverzicht ist nichts für Schwache, ist Fernando Enns überzeugt. Mirjam Petermann stellt sein neues Buch "Gerechten Frieden predigen" vor.
- Der beste Freund: Der Mischling Lorenzo arbeitet einmal pro Woche im Klinikum Bad Salzungen. Mit Frauchen Pfarrerin Diana Engel lenkt er von Krankheiten und Schmerzen ab, bringt Freude und tröstet.
- So geht Versöhnung: Als Urlaubsland wird Georgien immer attraktiver. Dass einem das kleine Land am Kaukasus auch längerfristig zu Herzen geht – nicht ausgeschlossen.
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Autor:Beatrix Heinrichs |
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