Interview
Wir müssen Gott in den Ohren liegen
Friedensgebet: Was haben wir als Christen Hass und Gewalt entgegenzusetzen? Die Antwort Jesu ist ganz eindeutig, sagt Landesbischof Friedrich Kramer, der EKD-Friedensbeauftragte, im Gespräch mit Willi Wild.
Angst und Hoffnungslosigkeit machen sich breit, angesichts der Krisen und Kriege in diesen Tagen und antisemitischer Hetze und Hass auf unseren Straßen. Wie erleben Sie das?
Friedrich Kramer: Ich bin erschüttert über das Ausmaß des Judenhasses auf unseren Straßen. Dass zu dem alten und latenten Judenhass ein neuer hinzukommt, der sich öffentlich zeigt, ist bedrückend. Das heißt für mich und unsere Kirchen, dass wir klar zu unseren jüdischen Geschwistern stehen.
Wir müssen den jüdischen Menschen in Deutschland glaubhaft machen, dass sie sich auf uns verlassen können. Dafür werden wir alles in unserer Macht Stehende tun, um Antisemitismus in jeder Form entgegenzutreten. Das bedeutet konkret, dieses Thema auch in der Migrationsarbeit anzusprechen. Dabei dürfen wir aber nicht in einen Kultur- oder Religionskampf kommen, sondern müssen Wege zum Gespräch mit allen suchen.
Spricht die evangelische Kirche da wirklich mit einer Stimme? Oder ist es nicht eher so, dass die „Ja, aber“-Stimmen eine eindeutige Position verwässern?
Wir sagen nicht „Ja, aber“. Solche Rede verunsichert unsere jüdischen Geschwister. Wir benennen ganz klar den Pogrom, die wahnsinnige Erfahrung für die Juden, dass Ihnen nun im eigenen Land das schlimmste Massaker seit dem Holocaust widerfahren ist. Plötzlich ist in allen Köpfen in Israel der Holocaust wieder präsent.
Zugleich bin ich der festen Überzeugung, dass Gewalt und Waffen keine Lösung bringen. Es braucht Wege aus der Gewalt heraus. Das können wir aber von hier aus überhaupt nicht steuern. Was wir hier tun können und müssen, ist, den Antisemitismus hier bei uns zu benennen und zu zeigen, dass es keine hohle Formel ist, wenn wir sagen, dass Juden in Deutschland nie wieder verfolgt werden dürfen.
Als Friedensbeauftragter verteidigen Sie die radikale Friedensbotschaft Jesu. Ist das nicht naiv und weltfremd, während alles aus dem Ruder zu laufen scheint?
Das ist keine Frage von Naivität, sondern von Kontextualität. Jesu klare Friedensbotschaft gilt! Es ist die Botschaft, die aus diesen Konflikten herausführen kann. Die Siegesmetaphorik, den Feind niederzuringen, verträgt sich nicht mit der Friedensbotschaft Jesu. Er geht einen ganz anderen Weg: Gewaltlosigkeit, zuhören und nötigenfalls auch widersprechen ist etwas anderes, als Menschen das Lebensrecht abzusprechen.
Dass wir Christenmenschen berufen sind, Frieden zu stiften, keine Gewalt anzuwenden, die Feinde zu lieben, ist völlig unstrittig. Ebenso die Solidarität mit Israel, dem auserwählten Volk. Im Judenhass sehen wir, dass die Welt Gott und sein erwähltes Volk töten will.
Müsste da nicht die Kirche zu großen Solidaritätskundgebungen aufrufen und sich für das Existenzrecht Israels und gegen Antisemitismus, egal von welcher Seite, stark machen?
Wir müssen uns engagieren gegen den Judenhass. So haben viele Christen an Solidaritätskundgebungen teilgenommen. Wir sagen klar, wer Gewalt gegen unsere jüdischen Geschwister gutheißt, hat die Kirche gegen sich. Unsere Aufgabe ist es, die Herzen zu reinigen und die Gedanken zu befreien vom Judenhass. Das geht meines Erachtens nur mit einer sehr differenzierten Debatte und nicht mit einfachen Parolen.
Auch braucht es eine selbstkritische Buße-Haltung; ich muss mich etwa selbst befragen: Wie schnell und warum spreche ich auf Israelkritik an?
Ich will noch einmal eine Formulierung vom Anfang aufgreifen: Was können Sie der Hoffnungslosigkeit entgegensetzen?
Zunächst, ich bin nicht hoffnungslos. Es gibt im Moment das deprimierende Gefühl der Hilflosigkeit, dass wir nichts gegen Hass, Gewalt und das Leid in Israel und Gaza machen können, außer auf die Einhaltung der Menschenrechte zu bestehen. Das macht natürlich auch etwas mit der Glaubensgewissheit. Meine Hoffnung gründet sich darauf, dass Gott uns hält und Christus der Weg ist, der zum Frieden führt.
Not lehrt beten, heißt es. Welche Wirkung können die vielen Friedensgebete entfalten?
Der Spruch „Not lehrt beten“ betrifft den Notleidenden. Wir leiden nicht die Not, aber wir leiden mit. Das ist zunächst ein großer Unterschied. Und es ist eine Stärke, dass wir Menschen Mitgefühl haben. Gleichzeitig müssen wir wach sein dafür, dass Mitgefühl nicht politisch missbraucht wird.
Noch mal etwas konkreter: Was vermag das Gebet?
Das einmütige Gebet, wenn es stark ist, vermag sehr viel. In unserer Verzagtheit geben wir viel zu schnell das Beten auf. Genau daran müssen wir arbeiten. Wir selbst vermögen es nicht, in Israel oder der Ukraine Frieden zu machen. Wir haben oft nicht mal eine Idee, wie es gehen könnte. Dann bete ich: „Gott, das übersteigt völlig meine Vernunft, deshalb bitte ich dich um deinen Frieden.“ Gott in den Ohren zu liegen ist unsere vornehmste Aufgabe. Wer für den Frieden und auch für die Feinde betet, sowie um Wege, die zum Frieden führen, bewegt sich mit Gott in einer Dimension, die tiefen inneren Frieden verheißt. Das Friedensgebet ist das Wichtigste und Stärkste, was wir im Moment tun können.
Wie soll in diesem Jahr Weihnachten werden, mit „Frieden auf Erden“, wenn ausgerechnet Bethlehem als Synonym für Trennung und Unfrieden steht?
Die Friedensbotschaft von Bethlehem hat den Zusatz „bei den Menschen seines Wohlgefallens“, also denjenigen, die gottgemäß leben. Das ist eine Verheißung, die ich ernst nehmen und danach leben soll, damit Frieden in meinem Umfeld und darüber hinaus in der Welt möglich wird. Die Mächte des Bösen und der Gewalt haben nicht das letzte Wort. Die Einmütigkeit im Glauben und das Gebet in Liebe sind eine große Kraft. Wir sind aufgefordert, zusammen zu beten. Es heißt, „die Menschen“ und nicht „der Mensch seines Wohlgefallens“ und auch nicht „Vater meiner“, sondern „Vater unser“.
Wo wir dieses gemeinsame Gebet praktizieren, entsteht eine Geistkraft, die uns tröstet, uns stärkt und die den Frieden in der Welt voranbringt.
Autor:Online-Redaktion |
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