35 Jahre Mauerfall
"Wir müssen wieder miteinander reden"
Die Stiftung Berliner Mauer ist Hüterin der Gedenkstätte und weiterer bekannter Relikte der Berliner Mauer. Zum 35. Jubiläum des Mauerfalls plant sie ein besonderes Programm. Stiftungsdirektor Axel Klausmeier erklärte Lukas Philippi, worauf es ihm in diesem Jahr ankommt und wie es angesichts der Haushaltskürzungen bei Land und Bund weitergehen soll.
An was sollen wir uns 35 Jahre nach dem Fall der Berliner Mauer und der friedlichen Revolution von 1989 in der DDR heute noch erinnern?
Klausmeier: Die Werte von 1989 sind eine „Power-Bank“ für unsere Gesellschaft heute. Demokratie und Freiheit sind die Schlüsselwerte, für die die Menschen damals auf die Straße gegangen sind. Es sind die großen Werte, die unsere Gesellschaft ausmachen: Gewaltenteilung, Rede- und Meinungsfreiheit, auch die Reisefreiheit und die Freiheit der Wahl des Arbeitsplatzes gehören dazu. Das sind demokratische Grundwerte, für die damals gerungen wurde. Wir sind heute in der Situation, dass wir sie verteidigen müssen gegen einen Populismus, der die Demokratie unter Druck setzt; und das nicht nur in den ostdeutschen Bundesländern oder in Deutschland, sondern in den Niederlanden, in Portugal, in Ungarn und anderswo. Es gibt aber Licht am Horizont: In Polen ist es kürzlich gelungen, die bislang regierenden Populisten abzuwählen. Das ist ein positives Signal.
Wie schlägt sich das in Ihrem Veranstaltungsprogramm nieder?
Klausmeier: Die Grundwerte, für die 1989 gekämpft wurde, thematisieren wir in unserem vielfältigen Programm. Wir haben es „Revolution erinnern - Demokratie gestalten“ genannt. Zentraler Punkt: Wir müssen wieder miteinander reden. Unsere Demokratie ist gefährdet, weil die Menschen nicht mehr miteinander reden, sondern nur noch Meinungen im Internet absetzen.
Was ist konkret geplant?
Klausmeier: Zum Beispiel sind wir seit Anfang Oktober mit unserem „mobilen Erinnerungslabor“ auf einem Fahrrad in den Stadtteilen unterwegs. Wir sammeln Erinnerungen von Berlinerinnen und Berlinern an den 9. November 1989 in kurzen Videobotschaften ein. Wir gehen dazu auf Marktplätze, etwa in Spandau, in Marzahn, in Hellersdorf, und wollen mit den Leuten ins Gespräch kommen, wie der Mauerfall ihr Leben verändert hat. Diese Zeitzeugen-Videos projizieren wir zum Jahrestag auch auf die East-Side-Gallery.
Was planen Sie für die Gedenkstätte hier an der Bernauer Straße?
Klausmeier: Am 9. November gibt es hier eine Kunstaktion mit dem Titel „Wall to Table“. Dabei bauen wir aus zwei Mauerteilen einen Tisch, an dem Menschen zusammenkommen, um zu reden: über den Umbruch nach 1989, über ihre Verletzungen und über positive Dinge. Der Tisch bleibt dann bis nächsten Sommer stehen. Außerdem erwarten wir an dem Tag auch den Bundespräsidenten in der Gedenkstätte.
Wie sieht es mit Gästen aus dem Ausland aus? Schließlich hätte es den Mauerfall wohl nicht ohne die Oppositionsbewegungen in den ostmitteleuropäischen Staaten gegeben.
Klausmeier: Wir arbeiten schon seit Monaten mit dem Solidarnosc-Zentrum in Danzig zusammen. Wir wollen Bürgerrechtler und Freiheitskämpfer aus Polen und der DDR zusammenbringen und es ist eine Jugendbegegnung geplant. Dabei soll es immer um die Werte von damals und heute gehen. Und wir haben weitere Gäste aus dem Ausland, etwa Tschechien, um die internationale Dimension des Mauerfalls zu zeigen.
Wird der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine eine Rolle spielen?
Klausmeier: Ja, heute wie damals schauen wir nach Osteuropa. Ich bin überzeugt, dass die Werte von 1989 auch auf den Schlachtfeldern in der Ukraine verteidigt werden. Am Ende des Tages geht es dort um die Entscheidung für ein freiheitliches politisches System oder für ein diktatorisches System.
Erleben auch die Mauerüberreste, etwa hier in der Gedenkstätte, Erosionserscheinungen, sprich: bröckelt der Beton?
Klausmeier: Wir haben hier ein regelmäßiges Monitoring, wie auch an der East Side Gallery und am Parlament der Bäume. Unser Auftrag ist es auch, die Denkmäler zu erhalten. Wir haben zwar minimale Verluste. Aber weder die Standsicherheit der Mauerteile ist gefährdet, noch sind die „Mauerspechte“ so aktiv, dass wir uns Sorgen machen müssten. Es gibt nur an zwei, drei Stellen Handlungsbedarf. An der East Side Gallery wird vor allem mit Farbe gesprüht.
Wie sieht es mit Resten der Berliner Mauer aus, die in Obhut der Bezirke sind?
Klausmeier: Wir hatten beispielsweise vor drei Jahren ärgerliche Verluste am Ende der Dolomitenstraße in Pankow, nördlich der Bornholmer Brücke. Dort stehen jetzt nur noch vier Mauerteile einer Hinterlandsicherungsmauer. Leider stand sie nicht unter Denkmalschutz. Auch die sogenannte „Urmauer“ in Schönholz ist in bedauernswertem Zustand. Sie ist jetzt großflächig eingezäunt und nicht zugänglich. Ein Baum ist darauf gestürzt. Leider hat der Bezirk bislang außer dem Sicherungszaun nichts weiter zum Erhalt unternommen, auch wenn es sich um ein eingetragenes Denkmal handelt. Anderes Beispiel: Nahe dem S-Bahnhof Wollankstraße konnten wir zusammen mit der Deutschen Bahn große Teile der ursprünglichen Mauer retten. Die verschütteten Reste waren bei Bauarbeiten im Boden entdeckt worden. Die nächste Generation wird darüber entscheiden müssen, was damit passiert. Wir haben jetzt zunächst für die archäologische Sicherung gesorgt.
Gibt es denn eine Bestandsaufnahme aller Mauerreste?
Klausmeier: 2003 haben der Cottbusser Professor für Denkmalpflege, Leo Schmidt, und ich rund 1.900 Fundstellen dokumentiert. Vier Jahre später waren davon rund ein Drittel verschwunden, vor allem im Süden, wo die Autobahn 100 im Mauerstreifen verlängert wurde.
Wie sieht es mit dem Besucherinteresse hier in der Gedenkstätte an der Bernauer Straße aus?
Klausmeier: Wir reißen gerade die bisherige Höchstmarke an Führungen. 2019, vor Corona, lagen wir bei rund 4.300 Führungen im Jahr; in diesem Jahr werden wir darüber liegen.
Inwieweit ist die Stiftung Berliner Mauer von den geplanten Haushaltskürzungen des Berliner Senats betroffen?
Klausmeier: Wir sind als Landesstiftung mit Bundesbeteiligung deutlich davon betroffen. Wir ringen darum, Lösungen zu finden. Der Bund finanziert etwa die aus den Tarifverhandlungen folgenden Gehaltserhöhungen nicht mit. Wir laufen ab Anfang 2025 in ein strukturelles Defizit, wissen aber noch nicht, wie sich die „pauschale Minderausgabe“ des Landes auf uns auswirken wird. Hinzu kommt eine Verwaltungsvereinbarung zwischen Bund und Land, nur anteilsmäßig zu finanzieren, wenn die jeweils andere Seite ihren Verpflichtungen nachkommt. Das heißt: Wenn der Bund etwa die Gehaltssteigerungen nicht mitträgt, wird möglicherweise auch das Land Gelder zurückhalten. Wir können also im Moment noch nicht sagen, wie viel Geld uns zur Verfügung stehen wird.
Wo könnten Sie sparen?
Klausmeier: Wir haben laufende Verträge und Verpflichtungen, etwa beim Strom, der Pflege oder der nötigen Verkehrssicherung der Denkmäler. Zu überlegen ist, ob wir auslaufende Verträge erst einmal drei, vier Monate ruhen lassen. Existierende Personalstellen im Haus werden wir aber nicht in Frage stellen. Wir haben nur Spielraum beim Inhalt: Das sind Führungen, Publikationen und Veranstaltungen.
Was heißt das beispielsweise für die East Side Gallery?
Klausmeier: Wir könnten beispielsweise an der East Side Gallery drei Wochen lang nicht mehr reinigen. Wir sind dort drei bis viermal in der Woche aktiv. Sie können sich vorstellen, wie das dort nach drei Wochen aussehen wird. Ich glaube, dann bekämen wir das benötigte Geld. Anderes Beispiel: Wir könnten hier an der Gedenkstätte die Bewässerungsanlage ausstellen. Dann wäre der Rasen sehr schnell Vergangenheit und wir bekämen eine Sandwüste.
(epd)
Autor:Online-Redaktion |
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