Landesbischof zu Suizidassistenz
Worauf sich ein Mensch verlassen können muss
...der in eine Einrichtung der Diakonie oder in ein christliches Krankenhaus gebracht wird, erklärt Landesbischof Friedrich Kramer im Gespräch mit Dirk Löhr vom Evangelischen Pressedienst (epd):
Am 10. Januar titelte die "FAZ" "Evangelische Theologen für assistierten professionellen Suizid". Genau 14 Tage später hieß es an gleicher Stelle: "Evangelische Theologen gegen assistierten Suizid". Was stimmt denn nun?
Friedrich Kramer: Es stimmt beides und beides ist zu oberflächlich. Das ist ein Thema, das sich nicht für Titelzeilen eignet, wenn wir es differenziert diskutieren wollen.
Man könnte denken, Theologen wie der EKD-Ratsvorsitzende Bedford-Strohm sind eher gegen den assistierten Suizid, während Praktiker um Diakonie-Präsident Ulrich Lilie sich eher dafür aussprechen?
So vereinfacht stimmt das nicht. Ulrich Lilie gehört zu denen, die sehr früh dafür gekämpft haben, dass Palliativversorgung und Hospize zur Regelversorgung werden. Dort sind wir aber immer noch nicht auf dem Stand, der nötig ist. Die Frage, wie gehe ich mit dem Sterbewunsch von Schwerkranken und Hoffnungslosen um, ist eine, die sich überall stellt, gerade in einer ökonomisierten Gesellschaft, die nur fragt, ob du noch nützlich bist.
Sie teilen die Position von Lilie dennoch nicht?
Nein. Für mich stellt der assistierte Suizid keine Alternative zur Palliativmedizin und der Sterbebegleitung in einem Hospiz dar. Ein Mensch, der in eine Einrichtung der Diakonie oder in ein christliches Krankenhaus gebracht wird, muss sich darauf verlassen können, dass er darin nicht umgebracht wird. Denn darum geht es doch bei einem attestierten Suizid letztlich: ein Leben gewaltsam zu beenden. Dagegen bin ich. Das Christentum ist eine Religion der Gewaltlosigkeit.
Das Bundesverfassungsgericht, das mit seinem Urteil vom Februar 2020 erst die Grundlage für die Debatte legte, hat aber festgestellt, dass das allgemeine Persönlichkeitsrecht als Ausdruck persönlicher Autonomie das Recht auf selbstbestimmtes Sterben umfasst.
Diese Autonomie sehe ich als Christ nicht. Mein Leben ist nicht mein Eigentum. Es ist mir geschenkt. Ich, wir, dürfen dieses Geschenk nicht entwerten, indem wir es wegwerfen. Das Verfassungsgericht will mit seinem Urteil, dass ein Mensch sich beim Sterben helfen lassen kann, ohne dass die Helfer bestraft werden können. Zugleich soll so auch eine ganze Sterbeindustrie verhindert werden. Aus der Möglichkeit erwächst doch aber längst nicht die Verpflichtung, es auch zu tun.
Was spricht denn dagegen, einen Menschen in Würde sterben zu lassen, seinem Wunsch nach einem Ende zu entsprechen?
Nichts, und das geschieht auf den Palliativstationen und in den Hospizen in kirchlicher Trägerschaft ja auch jeden Tag auf eine sehr liebe- und verantwortungsvolle Art und Weise. Wer sagt denn, dass ein Sterben in Krankheit oder Demenz würdelos sei? Aber einem Menschen aktiv das Leben zu nehmen, das lässt sich für mich nicht mit dem christlichen Glauben vereinbaren. Das bleibt ein Akt der Gewalt, auch wenn er sauber medikamentös daherkommt. Und es widerspricht gänzlich der Unantastbarkeit der Würde des Menschen aus Artikel eins unserer Verfassung.
Wie meinen Sie das?
Mit der Würde des Menschen ist auch die Würde des leidenden Menschen unantastbar. Wir dürfen dem Leiden nicht die Würde absprechen. Wir können das Leiden mildern. Daher bin ich auch für den Ausbau und die auskömmliche Finanzierung von Palliativmedizin wie Hospizen. Aber das Leiden gehört wie Geburt und Sterben zur Würde des Menschen.
Sie zitierten in Ihrem Bischofsbericht auf der mitteldeutschen Landessynode die Bibel: "Selig sind, die da Leid tragen; denn sie sollen getröstet werden." Kann ein schwer kranker, ein leidender Mensch das nicht als zynisch empfinden?
Das ist es aber nicht. Als Christen haben wir zum Leiden ein ganz anderes, ein besonderes Verhältnis. Für uns ist Christus durch das Leiden gegangen. War das würdelos? Nein, für uns zeigt sich darin die größte Würde. Dagegen steht eine lange humanistische Tradition, vom selbstbestimmten Abschied aus dem Leben, der letzten Freiheit, dem Freitod, zu sprechen und auch von unwertem Leben. Dagegen hat es die Kirche schwer, mit ihren Überzeugungen, ihrem Glauben, durchzudringen. Das ist sehr schade. Als Studentenpfarrer habe ich Selbsttötungen erlebt. Auch aus diesen Erfahrungen heraus ist der assistierte Suizid keine Option für mich. Der Tod der jungen Menschen war weder sinnvoll noch freigewählt, er war angstbesetzt und fürchterlich.
Verkürzt eine Behandlung mit Schmerzmitteln nicht auch das Leben des Patienten? Wie weit ist es von dort bis zum assistierten Suizid?
Beides liegt nah beieinander und ist doch Welten voneinander entfernt. Das macht es, gerade auch in der aktuellen Debatte, so kompliziert. Für mich bedeutet das Beenden eines Lebens, wie gesagt, einen Akt der Gewalt. Wer sich eine Selbsttötung schönredet, lügt sich in die eigene Tasche. Woher wissen wir denn, dass ein Patient, wenn er die tödliche Dosis schluckt, es nicht bereut? Ein Sterben kann voller Hoffnungslosigkeit sein, die nur in der Klage auszuhalten ist. Aber bei uns Christen muss sich jede und jeder darauf verlassen können, dass das Leben immer Vorrang hat. Dass wir Protestleute gegen den Tod sind. Dass wir einen Schutzraum bieten.
Ihre Position ist klar. Was bedeutet das für die Landeskirche und die Diakonie, deren Rat sie in Mitteldeutschland vorstehen?
Ich spreche als Bischof der EKM. Was die Diakonie angeht, handelt es sich bei den Mitgliedern um selbstständige Einrichtungen. Ich kann da nicht einfach etwas vorgeben. Aber wenn ein Krankenhaus meint, den assistierten Suizid in seinen Leistungskatalog aufnehmen zu müssen, sehe ich Diskussionsbedarf für eine Mitgliedschaft in der Diakonie. Sie ist im Moment vorrangig an die Kirchliche Arbeitsvertragsordnung gebunden. Sie sollte stärker inhaltlich an Themen wie Seelsorge oder Sterbebegleitung ausgerichtet werden - und meines Erachtens auch an den Verzicht auf einen assistierten Suizid gebunden sein.
Es kommen ja beileibe nicht nur Christen in kirchliche Krankenhäuser oder diakonische Einrichtungen. Was soll mit den Menschen geschehen, die nach einem assistierten Suizid fragen?
Es muss gut beraten und geklärt werden, warum jemand sterben möchte. Oft entspringt ein Todeswunsch der Angst. Der Angst vor Schmerzen, der Angst, anderen zur Last zu fallen. Diese Angst bewirkt alles andere als eine freie Willensentscheidung. Ziel muss es sein, diese Angst zu nehmen. Mit Schmerzmitteln, mit Aufklärung und der Begleitung der Patienten auf dem letzten Wegstück ihres Lebens, mit Liebe.
Das klingt schön. Aber wenn sich der Patient dennoch beim Sterben helfen lassen möchte?
Ein Weg wäre, in ein Sterbefasten einzutreten und aufzuhören mit dem Essen und dem Trinken. Verspürt er wieder Hunger und Durst, ist der ganze Mensch mit seinem Körper noch nicht lebenssatt und der Wille dazu zu schwach. Wenn ein Mensch aber partout mit Hilfe der Ärzte aus dem Leben scheiden will, bleibt nur die Verlegung in ein Krankenhaus, dass dies tut.
Wie wollen Sie in der EKM, vor allem mit den Christen an der Basis, weiter mit diesem Thema umgehen?
Wir werden uns dem innerkirchlichen Dialog stellen. Das ist in Zeiten von Corona kein leichtes Unterfangen. Aber es ist unzeitgemäß gerade. Die Gesellschaft nimmt in der Pandemie so viel auf sich, um Leben zu retten. Gleichzeitig debattieren wir, wie Leben beendet werden kann. Das passt doch nicht zusammen.
Autor:Online-Redaktion |
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