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Erinnert
„Aber es flackert doch heftig!“

Hausbesuch: Christina Neuß und Friedrich Schorlemmer 2022 in der Wittenberger Wohnung des Theologen  | Foto: Foto: Paul-Philipp Braun
  • Hausbesuch: Christina Neuß und Friedrich Schorlemmer 2022 in der Wittenberger Wohnung des Theologen
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Blumen solle ich mitbringen, meinte Friedrich Schorlemmers Tochter Uta auf meine Frage, worüber sich ihr Vater freuen würde in seinem neuen Berliner Domizil. Frische Blumen standen immer in seiner Wittenberger Wohnung. Jedes Mal, wenn ich in den vergangenen vier Jahren mit meinem Kollegen dort eintraf, um schrittweise den wohnungfüllenden Nachlass ins Landeskirchenarchiv zu holen, schmückten zur Jahreszeit passende Blüten den Raum. Dazu Kaffee und Kuchen – so viel Zeit musste sein.

Von Christina Neuß

Wir sprachen viel und angeregt, stets mehr über die großen als über die kleinen Fragen, Krieg und Frieden, Gott und die Welt. Waren dabei umgeben von Ordnern und Mappen, prall gefüllt mit Gedanken, Reden, Gebeten. So schön wie die Blumen wirkten die zahllosen Bücher, bis unter die Decke, viele signiert, von Marion (Gräfin Dönhoff), Václav (Havel), Günther (Grass), Tschingis (Aitmatow) und vielen anderen.

Wie mit den Geistesgrößen aus Politik und Literatur stand er mit seinen Schrift- und Druckwerken auf Du und Du. Er gab sie nicht gern her. Doch jedes Wort, das er, aus Krankheitsgründen fortschreitend, nicht mehr fand, bestärkte ihn in dieser Entscheidung.

Friedrich Schorlemmer gab in unseren Gesprächen den Schlüssel zum Verständnis seiner Haltung nie aus der Hand. Der Weg zu Frieden und Versöhnung ist nur über den oft schmerzhaften Kompromiss der Nächsten- und Feindesliebe zu finden. An seiner Forderung nach vorbehaltlosem Verzeihen schieden sich wiederholt die Geister. „Worte öffnen Fäuste“ lautet der vielsagende Titel eines seiner mehr als zwanzig Bücher.

Sein tiefes Interesse, in die Konfliktlastigkeit dieser Welt Schlichtendes zu sagen, reizte seine Sprachbegabung und prägte seine öffentliche Rede.

Bei meinem letzten Besuch zu Beginn dieses Jahres lenkte ich im Abschiedsgruß unsere Hoffnung auf das Licht von Bethlehem. Er antwortete geistesgegenwärtig wie früher: „Aber es flackert doch heftig!“ 

Die Autorin ist Leiterin des landeskirchlichen Archivs der EKM und kümmert sich um den Nachlass von Friedrich Schorlemmer.

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Online-Redaktion

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