Geschichte
Bittersüßer Konfessionsstreit
Die Evangelischen fühlten sich brüskiert, der konfessionelle Friede war empfindlich gestört - und Bundeskanzler Konrad Adenauer sorgte sich deshalb sogar um seine Wiederwahl: Am 28. Juni jährt sich der «Ochsenfurter Zwischenfall» zum 70. Mal.
Von Daniel Staffen-Quandt (epd)
Der katholische Würzburger Bischof hatte in diesem Moment wohl eine Heidenangst. Julius Döpfner, der spätere Kardinal und Münchner Erzbischof, ist am 28. Juni 1953 in einer Kutsche auf dem Weg zur Einweihung der neuen Ochsenfurter Zuckerfabrik, als sein Gefährt jäh gestoppt wird. Evangelische Reiter aus dem nahen Gnodstadt blockieren Döpfners Kutsche, sie überziehen den katholischen Bischof mit lauten Schmährufen. «Pfui!», «Zieht ihn raus!», «Schlagt ihn tot!» sollen sie dabei gebrüllt haben. Die Polizei verhindert in diesen Minuten Schlimmeres. Der «Ochsenfurter Zwischenfall» war passiert.
Der Eklat an der Bischofskutsche kam freilich nicht aus heiterem Himmel, er hatte eine Vorgeschichte - wenngleich nur eine sehr kurze. An diesem 28. Juni 1953, einem Sonntag, soll die Zuckerfabrik rund zwei Jahre nach der Grundsteinlegung bei ihrer Eröffnung auch kirchlich geweiht werden. Geplant sind von der Fabrik-Direktion zwei Weihehandlungen: eine durch Döpfner, eine durch den evangelischen Würzburger Dekan Wilhelm Schwinn. Gemeinsame Weihehandlungen waren für Katholiken damals aber noch völlig undenkbar. Die Zuckerfabrik soll Schwinn wieder ausladen, fordert Döpfner. Der Streit nimmt seinen Lauf.
Der einzige katholische Vertreter aus der fünfköpfigen Fabrik-Direktion überbringt Schwinn die Botschaft Döpfners. Der Dekan sagt, er nehme vom katholischen Bischof keine Weisungen entgegen. Die vermittelnden Vorschläge, die Evangelischen sollten doch «ohne Ornat» erscheinen und ein weltliches Grußwort sprechen, lehnt der evangelische Dekan Schwinn ab. Aus Protest reist er sofort nach Würzburg ab. Schnell macht der Grund für Schwinns Abreise die Runde unter den sogenannten Gnodstädter Reitern, die die Kutsche des Dekans begleiten sollten. Sie schäumen vor Wut und stürmen zum Festplatz.
Die Eskalation von Ochsenfurt ist wochenlang großes Thema, nicht nur in den Kirchen- und Lokalzeitungen, auch bundesweit. «Der Spiegel» und die «Zeit» berichten. Denn die Vorkommnisse in Unterfranken sind ein Indiz für den brüchigen konfessionellen Frieden der Nachkriegszeit, auch in der Politik. Theologisch sind die Fronten zwischen Protestanten und Katholiken verhärtet wie eh und je, politisch aber hatten die C-Parteien versucht, die konfessionellen Gräben zu überwinden. Mit dann doch eher zweifelhaftem Erfolg, wie die Tage nach dem Zwischenfall an der Ochsenfurter Zuckerfabrik zeigen.
Obwohl auch nach der deutschen Teilung die Evangelischen in der Bundesrepublik deutlich in der Mehrheit sind, fühlen sie sich in der Defensive - in Bayern ganz besonders, aber auch im übrigen Westdeutschland. Protestanten waren in der bayerischen CSU zum Beispiel von Anfang an deutlich unterrepräsentiert. Die erste CSU-Landtagsfraktion bestand zu über 88 Prozent aus Katholiken, 1950 sank der Anteil der Evangelischen weiter - auf nur noch 7 von 64 Abgeordneten. In der Bundestagsgruppe der CSU sah es im Jahr 1949 nicht besser aus: Gerade einmal 2 der 24 Politiker waren evangelisch.
Die Liberalen streuen zu diesem Zeitpunkt auch noch genüsslich Salz in die Wunden der Union. Noch am Nachmittag der Fabrikeinweihung ruft der FDP-Landtagsabgeordnete Ernst Falk den rund 8.000 überwiegend protestantischen Bauern auf dem Gelände zu: «Ist es denn schon wieder so weit, dass wir evangelische Christen Menschen zweiter Klasse sind?» Die Bauern kündigen an, die neue Zuckerfabrik zu boykottieren. Alois Schlögl, CSU-Agrarminister, raunt der damals in Ochsenfurt anwesenden Presse laut «Spiegel» daraufhin zu: «I wann Sie wäre, meine Herren, i tät gar nix schreib'n über des.»
In Bonn ist Bundeskanzler Konrad Adenauer (CDU) wenige Monate vor der Bundestagswahl ziemlich verstimmt über den christlichen Bruderzwist in Unterfranken. Der Katholik ist aber nicht auf die Evangelischen sauer, sondern auf den Bischof, und schickt deshalb seinen Ministerialdirektor für heikle Angelegenheiten zu ihm. Der Jurist Hans Globke soll Döpfner zum Nachgeben bewegen. Der Adenauer-Gesandte hat Erfolg. Der Würzburger Bischof lenkt öffentlich ein. Döpfners Karriere schadet der Zwischenfall von Ochsenfurt aber nicht. Er wird vier Jahre später Bischof in Berlin und zum Kardinal ernannt.
Döpfner, selbst gebürtiger Unterfranke, behält den Konfessionsstreit in Ochsenfurt lange in Erinnerung. Über 20 Jahre später, kurz vor seinem Tod, erinnert er sich an «die schwerste Prüfung» seiner fränkischen Jahre. «Der Bischof von Würzburg stand auf einmal da als sturer, konfessionell engherziger Kirchenmann», sagte Döpfner über sich selbst. Heute wird er als einer der Wegbereiter des II. Vatikanischen Konzils gesehen, als Vorreiter der Ökumene. Historiker bewerten den Zwischenfall deshalb heute auch mehr als Kommunikationspanne denn als ernsthaften Konfessionszwist. Im Gedächtnis bleiben wird er in der Region so oder so.
Autor:Katja Schmidtke |
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