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Verantwortung
Die Generationenfrage

Jede Generation habe ihren guten Grund, gegen das, was die Erwachsenen tun, und das, was ihre Zukunft belastet, aufzustehen, sagt Klaus Töpfer. Entscheidender als der Protest aber sei verantwortungs-volles Handeln – und das könne man erlernen, davon ist der Christdemokrat überzeugt.  | Foto: TMG Research/Ilka Mai
  • Jede Generation habe ihren guten Grund, gegen das, was die Erwachsenen tun, und das, was ihre Zukunft belastet, aufzustehen, sagt Klaus Töpfer. Entscheidender als der Protest aber sei verantwortungs-volles Handeln – und das könne man erlernen, davon ist der Christdemokrat überzeugt.
  • Foto: TMG Research/Ilka Mai
  • hochgeladen von Beatrix Heinrichs

Klaus Töpfer ist die grüne Stimme unserer Zeit. Im In- und Ausland war und ist der Expertenrat des 81-Jährigen unverzichtbar. Mit Beatrix Heinrichs sprach der Bundesumweltminister a. D. über das Gärtnern, die Ohnmacht im Amt und den Grund, warum er freitags noch nie zu einer Klima-Demo war.

Herr Töpfer, die Vortragsreihe im Deutschen Nationaltheater, bei der Sie am Wochenende sprechen werden, steht unter der Überschrift „Blühende Landschaften“. Die hatten wir erstaunlicherweise in diesem Jahr schon im Februar. Der verfrühte Frühling ruft die Hobbygärtner in die Pflicht. Sie auch?
Klaus Töpfer: An der Gartenarbeit habe ich schon meine Freude. Aber wissen Sie, die Grenze zwischen einem ökologisch orientierten Gärtner und einem faulen Gärtner ist sehr eng. Obwohl die Natur an meinem Garten ihren Gefallen haben wird, bin ich mir sicher, dass der ein oder andere Gartenfreund das anders sieht.

„Alles muss klein beginnen“ singt Gerhard Schöne. Das gilt im Garten wie für globale Klimafragen. Was aber kann man als Einzelner tatsächlich ausrichten?
Jeder sollte ein Bewusstsein dafür entwickeln, dass sein konkretes Handeln Auswirkungen hat. Wir leben in einer globalen Schicksalsgemeinschaft. Ich halte es für dringend notwendig, dass wir uns überhaupt klarmachen, was auf dieser Welt passiert und wie das menschliche Handeln dazu beiträgt. Alles, was wir tun, ist mit Energieverbrauch verbunden. Energie, die wir immer noch vornehmlich aus fossilen Trägern wie Kohle, Mineralöl und Gas beziehen. Bei deren Verbrennung entsteht nun einmal CO₂, und CO₂ bringt eben eine derartige Veränderung unseres Klimas, dass die Menschen schon Anfang März im Garten sitzen. Der Klimawandel ist keine wissenschaftliche Erfindung, sondern eine tagtägliche Erfahrung, die Menschen machen.

Haben Christen hier eine besondere Verantwortung, sich zu engagieren?
Das ist eindeutig der Fall. Ich bin Katholik und überzeugt, dass gerade der christliche Glaube ein Zugang ist zur Bewahrung der Schöpfung. Er zeigt, dass es sich der Mensch zur Aufgabe machen muss, diese Welt auf Dauer in ihrer fantastischen Vielfalt zu erhalten. Wie erreichen wir es, dass der von uns verursachte Rückgang der Artenvielfalt, dieser auf den ersten Blick fast nutzlosen Pracht, aufgehalten werden kann? Diese Frage war mir Verpflichtung und hat mich immer getragen – und nebenbei auch in die Politik gebracht.

Hintergrund

Klaus Töpfer, Jahrgang 1938, wuchs nach der Flucht aus Schlesien im westfälischen Höxter auf, wo er auch heute lebt. Der studierte Volkswirt war von 1987 bis 1994 Bundesumweltminister. 1998 schied er aus der Bundesregierung aus und leitete für acht Jahre das Umweltprogramm der Vereinten Nationen in Nairobi. Als Vorsitzender der Ethikkommission für eine sichere Energieversorgung hat er den Ausstieg aus der Atomenergie mit besiegelt. Zurzeit ist er einer der Vorsitzenden des Nationalen Begleitgremiums, das die Suche nach einem Endlager für Atommüll seit 2017 begleitet. Der CDU-Politiker ist verheiratet, hat drei Kinder und vier Enkel.

Sie waren Bundesumweltminister, haben das Umweltprogramm der Vereinten Nationen geleitet und zuletzt nach einem Endlager für den Atommüll gesucht. In Sachen Umwelt sind Sie ein gefragter Mann – und es scheint, als scheuen Sie die Herausforderung nicht. Gibt es eine Erfahrung, die Sie in dieser Hinsicht geprägt hat?
Die Flucht nach dem Zweiten Weltkrieg aus Schlesien, wo ich 1938 in Waldenburg geboren wurde, in einem Viehwagen gen Westen. Da war ich intensiv und aus eigenem Antrieb schon als Kind gefordert – und wir waren sehr einfallsreich. Wir sind mit einem kleinen Handwagen zum Bahnhof gefahren und haben Menschen da abgeholt und gegen einen kleinen Obolus ihren schweren Koffer von dort zum nächsten Bahnhof gefahren. Oder wir haben Steinpilze gesammelt und sie verkauft. Wir haben bei den Bauern gebettelt – um ein Ei, um einige Kartoffeln, ums Überleben.
So habe ich mir schon früh selbstständig Aufgaben gesucht, um einen kleinen Beitrag zum Unterhalt der Familie zu leisten. Das war sehr fordernd, das werde ich nie vergessen. Diese Erfahrung hat mich auch als Familienvater geprägt. Weil sie mir bewusst gemacht hat, dass man Verantwortung in jeder Rolle übernehmen kann – auch als vergleichsweise kleiner Junge.

Der Generation „Fridays for Future“ wird ein hohes Verantwortungsbewusstsein zugeschrieben. Auch Sie haben Enkel. Ist einer von ihnen schon so weit, um zu einer Demo zu gehen?
Ich habe drei Kinder und vier Enkel. Dass jemand aus der Familie soweit ist, bei einer „Fridays for Future“-Demo dabei zu sein, davon können Sie ausgehen!

Haben Sie selbst auch einmal mitdemonstriert?
Nein. Ich erinnere mich noch zu intensiv daran, dass auch gegen mich demonstriert worden ist. In meiner Zeit als Umweltminister waren es Proteste gegen die Kernenergie. Und selbst meine Generation hat schon der Elterngeneration entgegengerufen: How did you dare? Wie konntet ihr einen solchen Krieg führen, einen solchen Vernichtungswillen gegen Juden haben? Wie konntet ihr? Jede Generation hat ihren guten Grund, gegen das, was die Erwachsenen tun, gegen das, was auch ihre Zukunft belastet, aufzustehen. Aber es wäre scheinheilig, würde ich nur protestieren und dabei vergessen, dass wir auch die Verantwortung haben zu handeln. Und da bin ich gerne mit dabei.

Kann man verantwortungsvolles Handeln trainieren? Wenn ja, wie?
Ich bin fest davon überzeugt, dass man verantwortungsvolles Handeln einüben, es vor allem aber wecken kann. Gerade auf diesem Gebiet ist das Vorbild eine extrem bedeutsame Komponente. Wenn du selbst nicht verantwortungsvoll handelst, wirst du kaum erwarten können, dies bei anderen einfordern zu können. Das Vorleben, Beispielgeben, das Wirklich-etwas-tun ist entscheidend.

"Wir wälzen Kosten auf die Zukunft und auf andere in dieser Welt ab. Das ist nicht verantwortlich. Das ist eine Wohlstandslüge"

Welches sind Ihre Vorbilder?
Eine Persönlichkeit, die mich sehr, sehr beeindruckt und auch beeinflusst hat, war Kofi Annan, der damalige Generalsekretär der Vereinten Nationen. Überhaupt, die Jahre in Afrika. Diese Zeit hat mich extrem geprägt. Zwischen Afrika und Europa liegen an der engsten Stelle gerade einmal 14 Kilometer. Man muss sich das überhaupt einmal vorstellen. Erst dann merkt man, welche Konsequenzen dort die nicht rational begründbare Abfolge von Handeln tatsächlich hat.

Der Volksmund sagt: Nur wer nichts macht, macht keine Fehler. Gab es auch Momente, in denen Sie schwer an Ihren Aufgaben getragen haben?
Diese Aussage des "Volksmundes" teile ich absolut nicht – sie ist falsch. Solche Situationen habe ich in meinem Leben erfahren. Es gab sie schon in Kindertagen. Bei meinen Eltern habe ich gesehen, wie ohnmächtig man auch sein kann in Kenntnis dessen, was andere zu tragen haben. Diese Ohnmachtsbesorgnisse kenne ich auch aus meinem Berufsleben. Gerade was den Bereich der Kernenergie betrifft, habe ich gezweifelt und mich oft gefragt, ob ich der Verantwortung gerecht werde. Zu wissen, dass die Beantwortung bestimmter Fragen eigentlich nicht mehr in meinem Bereich liegt, kann beunruhigen. Ich selbst kann bei der Kerntechnik nicht bis ins letzte Detail sagen, dieses ist verantwortbar, jenes nicht. Am Ende des Tages muss ich auf die Experten vertrauen können.
Es gab auch Momente, da bin ich meiner Verantwortung nicht gerecht geworden. In der internationalen Kompetenz zum Beispiel. Wir werden bald eine Welt haben, die acht Milliarden Menschen zu tragen hat. Als ich 1938 geboren wurde, hatte die Welt zweieinhalb Milliarden Einwohner. Es geht darum, die vorhandenen Ressourcen sparsamer nutzen. Das ist genau das, was die „Fridays for Future“-Bewegung anprangert: Ihr tut heute etwas, das wir morgen bereinigen müssen. Wenn man es dann überhaupt noch bereinigen kann. Wir wälzen Kosten auf die Zukunft und auf andere in dieser Welt ab. Das ist nicht verantwortlich. Das ist eine Wohlstandslüge.

Aber bestimmt haben Sie doch Vorschläge: Wie können wir die Welt noch retten?
Allen sollte klar sein, dass wir die Klimafrage nicht mehr im nationalen Bezug alleine beantworten können. Wir müssen das Thema in Zusammenarbeit zwischen und mit den Völkern angehen. Ein Rückfall in nationale Abschottung ist der absolute Fehler und wird der Perspektive, in der wir leben, nicht mehr gerecht. Der zweite Punkt ist, dass wir bemüht sein müssen, Technologien zu entwickeln, die demokratiefähig und fehlerfreundlich sind. Einfach deshalb, weil der Mensch immer bei unvollkommener Information entscheidet. Und drittens glaube ich, dass wir sehr viel stärker in kleineren Strukturen und nicht nur in großen Transformationsprozessen denken müssen.

Was kann man dabei von Ihrer Generation lernen?
Ich empfehle allen, Ihre Träume und Visionen zu denken, zu entwickeln. So, wie wir es auch gemacht haben. Ich glaube aber nicht, dass eine junge Generation zu beeindrucken ist von dem, was wir in der Vergangenheit getan haben und heute tun. Sie wird ihren eigenen Weg gehen müssen. Worauf es ankommt, für jede Generation, ist in die Zukunft hinein zu denken und Freiräume zu schaffen für die, die nachfolgen. Diese Freiräume für die kommende Generation zu erhalten, das sehe ich als meine Aufgabe.

"Weimarer Reden"
Klaus Töpfer spricht am 15. März, 11 Uhr, im DNT Weimar über "Die Zukunft ist täglich mit am Tisch“.
 nationaltheater-weimar.de

Autor:

Beatrix Heinrichs

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