Cannabis
„Die gesundheitlichen Schattenseiten kommen weniger zur Sprache“
Die Bundesregierung arbeitet derzeit an Regelungen für eine Freigabe von Besitz und Konsum von Cannabis. Im Interview der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA) fordert der Bonner Moraltheologe Jochen Sautermeister, auch mögliche Schattenseiten und den Schutz gefährdeter Gruppen im Blick zu haben.
Von Annika Schmitz (kna)
KNA: Herr Professor Sautermeister, die Cannabis-Legalisierung ist derzeit ein großes Thema. Wie nehmen Sie die Debatten wahr?
Sautermeister: Insgesamt sehe ich eine gewisse Spannung. Einerseits gibt es ein gestiegenes
Gesundheitsbewusstsein mit der Sorge um gesunde Ernährung, genügend Bewegung, mentale Stärke und leibseelisches Wohlbe nden. Andererseits konsumieren Menschen Genuss- und Rauschmittel; man will sich entspannen und abschalten oder in einen Zustand intensiven Erlebens kommen, um den alltäglichen
Routinen und Gewohnheiten, dem Langweilig-Banalen oder Stress und Belastungen zu ent iehen. Beides ist meines Erachtens aber nur schwer vereinbar, vor allem, weil Genuss- und Rauschmittel unterschiedlich wirken und je nach Alter und Voraussetzungen schädliche Folgen für Leib und Seele hervorrufen können. Das gilt auch für Cannabis.
Der Gesetzgeber will die Abgabe von Cannabis neu regeln. Welche Punkte gibt es aus ethischer Perspektive dabei zu beachten?
Cannabis fällt unter das Betäubungsmittelgesetz und da sollte es auch bleiben, weil es aufgrund seiner Wirkung auf die Psyche nicht ungefährlich ist und unterschiedliche Nebenwirkungen hat. Daher sollte man nach den Gründen fragen, die hinter der Absicht der Bundesregierung für eine regulierte Legalisierung von Cannabis stehen.
Und zwar welche?
Einige ziehen den Vergleich zu Nikotin oder Alkohol. Der Konsum von Alkohol ist ab einem gewissen Alter erlaubt, insgesamt betrachtet aber viel gesundheitsschädlicher - warum dann nicht auch Cannabis legalisieren,
fragen sie. Andere sehen in der Entkriminalisierung eine große Entlastung für Justiz und Polizei, die durch viele Kleinstvergehen überlastet sind.
Ein weiteres Argument lautet: Wer sich selbst schädigen möchte, dem darf der Staat das nicht verbieten, solange er nicht andere gefährdet. Außerdem wird darauf hingewiesen, dass sich die bisherige Cannabis-Gesetzgebung nicht bewährt habe; das gesundheitspolitische Ziel, die Nutzung dieser Droge einzudämmen, ist mit dem Verbot nicht erreicht worden.
Demgegenüber gibt es diejenigen, die gegen die Freigabe von Cannabis sind, um jüngere Menschen und vulnerable Personengruppen vor den Gesundheitsrisiken zu schützen. Statt einen Vergleich mit Alkohol zu bemühen, sollte man sich eher an Neuseeland orientieren, das nach dem Gesetzgeber ein tabakfreies Land werden soll.
Wo positionieren Sie sich?
Der Schutz von besonders verletzlichen Gruppen sollte deutlich im Vordergrund stehen und Priorität haben - vor allem der Schutz von Kindern und Jugendlichen. Sie haben in Verbindung mit Cannabis nachweislich ein höheres Risiko für psychische Erkrankungen, Entwicklungsverzögerungen oder Konzentrationsschwierigkeiten.
Welche Möglichkeiten hat der Gesetzgeber, sie zu schützen?
Information, Prävention, Werbeverbot und regulierte Abgaben sind zentral. Dabei stellt sich die Frage nach einer wirksamen Umsetzung. Das ist nicht trivial. Wirken zum Beispiel Schaufensterhinweise und Anzeigen von Cannabisabgabestellen bereits wie Werbung? Außerdem brauchen wir ächendeckende Prävention und niederschwellige Beratung.
Und was die freigegebene Menge anbelangt: Die derzeit angedachte Menge von 20 bis 30 Gramm am Tag ist nach Auskunft einschlägiger Fachgesellschaften viel zu hoch. Sie kann zum übermäßigen Konsum verleiten. Aus medizinischer Sicht wäre ein Abgabealter von 18 Jahren viel zu früh, 21 wäre das Minimum, hinsichtlich der Entwicklung des Gehirns ein Alter von 25 besser. Bekanntlich werden gesetzliche Altersbeschränkungen oft unterlaufen - das zeigen auch Alkohol und Nikotin. Je höher man das gesetzliche Alter setzt, desto
klarer wäre auch das Signal: Cannabis ist nicht harmlos!
Wie sieht es im Fall von Schmerztherapie aus?
Das würde ich klar voneinander trennen. Wenn der Einsatz von Cannabis eine medizinische Indikation
hat und vom Arzt verschrieben wird, ist das etwas anderes.
Befürworter hoffen, dass durch die Legalisierung der Schwarzmarkt kleiner und weniger verunreinigtes Cannabis verkauft wird.
Verunreinigtes Cannabis auf dem Schwarzmarkt ist in der Tat ein Problem. Ob sich der Schwarzmarkt
verringert, wird sich zeigen. Eine Legalisierung von Cannabis sollte daher mit einer wissenschaftlichen Begleitforschung einhergehen. Wie verändert sich der Konsum durch die Freigabe? Wird einkalkuliert, dass Ältere Cannabis an Jüngere weitergeben werden? Ist ein wirksamer Jugendschutz überhaupt gewährleistet? Da brauchen wir belegbare Erkenntnisse. Denn bei der Debatte um die Freigabe geht es um Abwägungen.
Wie trifft man bei Abwägungsfragen eine Entscheidung?
Bei Abwägungsfragen ist das Prinzip der Verhältnismäßigkeit hilfreich: Wie lässt sich das beabsichtigte Ziel unter Minimierung von Schaden und unter der Wahrung grundlegender Rechte am besten erreichen? In der öffentlichen Debatte um Cannabis spielen dabei auch Vorstellungsbilder eine wichtige Rolle: Habe ich einen aufgeklärten, erwachsenen Menschen vor Augen, der sich mal am Wochenende ein Tütchen dreht? Oder einen psychotisch erkrankten Jugendlichen in einer Suchtklinik?
Aus theologisch-ethischer Perspektive sind vor allem die besonders verletzlichen Gruppen in den Blick zu nehmen. Ethik erschöpft sich nicht in der Empirie oder im Recht. Sie fragt zum Beispiel auch: Welche Auswirkungen hat die Freigabe auf die Akzeptanz von Cannabis als scheinbar ungefährlichem Rauschmittel? Und was bedeutet das für eine Gesellschaft, in der der Cannabiskonsum kulturell nicht eingespielt ist?
Sehen Sie diese Anliegen in der politischen Debatte ausreichend wiedergegeben?
In der Debatte wird das Recht auf Selbstbestimmung stark gemacht. Mir scheint, dass der informierte, reife Cannabiskonsument eher als Normalfall angesehen wird. Die gesundheitlichen und existenziellen Schattenseiten kommen dagegen weniger zur Sprache. Die Fragen nach einem produktiven und heilsamen Umgang mit Krisen, Belastungen, Ängsten oder Stress, mit Einsamkeit und innerer Leere oder die existenzielle Sehnsucht nach Sinn und Erfüllung bleiben jedoch und sollten ebenfalls gesellschaftlich diskutiert werden.
Da könnte man nun eine religiöse Position einspielen. Religion und Ekstase gehören in vielen Traditionen zusammen.
Ja, durchaus. Gleichwohl ist es ein ambivalentes Verhältnis und daher kritisch zu beleuchten. Beides mal geht es um Selbsttranszendenz. Es macht jedoch einen Unterschied, ob ich psychotrope Substanzen zu mir nehme, um mich in einen rauschhaften Zustand zu bringen, oder ob ich mich durch spirituelle Praktiken für religiöse Erfahrungen öffnen möchte und dabei immer noch die Möglichkeit zu Freiheit und Selbstreflexion im guten Sinne habe. Das ist auch ethisch von zentraler Bedeutung.
Autor:Katja Schmidtke |
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