Gedenktage
Die Paulskirche und ihre wechselhafte Beziehung zur Demokratie
Die Freiheits- und Demokratiebewegung in Deutschland ist untrennbar mit der Frankfurter Paulskirche verknüpft. Doch erst in jüngerer Vergangenheit hat die evangelische Kirche sie als Wiege der ersten deutschen Demokratie gefeiert.
Von Jens Bayer-Gimm (epd)
Die Begeisterung für die Freiheitsaufstände im März 1848 war auch in Frankfurt am Main groß. Die evangelisch-lutherische Gemeinde teilte diese Euphorie, wie die heutige Pfarrerin der St. Paulsgemeinde, Andrea Braunberger-Myers, berichtet. Als der Gemeindevorstand gebeten wurde, die Paulskirche für die Nationalversammlung nutzen zu dürfen, antwortete dieser schon drei Tage später, er stelle die Kirche «mit Freuden» zur Verfügung.
Am 18. Mai zogen die ersten 384 von 585 Abgeordneten unter schwarz-rot-goldenen Fahnen, Glockengeläut, Böllerschüssen und dem Jubel von Bewohnern in die Paulskirche ein. Das gerade 15 Jahre junge Gebäude war mit rund 2.000 Sitzplätzen der größte und modernste Saal der Stadt. Die nach Plänen des Architekten Johann Friedrich Christian Hess entworfene Kirche stand für eine neue Zeit: An der Stelle der abgerissenen gotischen Barfüßerkirche erhob sich ein klassizistischer, ovaler Zentralbau aus Rotsandstein mit Klarfenstern, die Blicke hinein und hinaus ermöglichten.
Aber nicht alle Protestanten begrüßten die gesellschaftlichen Umwälzungen. Es habe neben Reformorientierten auch Traditionalisten gegeben, erläutert der Frankfurter Jurist und Historiker Jürgen Telschow. Fast gleichzeitig zum Höhepunkt des Revolutionsversuchs in Frankfurt, dem gewaltsamen Aufstand und dessen Niederschlagung im September, veranstalteten konservative Protestanten den ersten Kirchentag in Wittenberg. Johann Hinrich Wichern rief gegen eine befürchtete Liberalisierung der Kirche zu einer «inneren Mission» auf.
Die Nationalversammlung gab nach ihrer letzten Sitzung die Paulskirche Ende Mai 1849 an die evangelische Stadtgemeinde zurück. Ab Oktober 1852 wurde sie wieder für Gottesdienste genutzt. Das 50-Jahr-Jubiläum der Nationalversammlung 1898 sei nur im kleinen Rahmen begangen worden, berichtet Braunberger-Myers. Anders das 75-Jahr-Jubiläum 1923: Reichspräsident Friedrich Ebert wollte an die Wurzel der Demokratie erinnern und hielt in der Kirche eine Festrede. Die Kirchengemeinde habe sich aber zurückgehalten und 1926 gegen eine Bronzeskulptur zum Gedenken an den ein Jahr zuvor verstorbenen Reichspräsidenten protestiert.
Im März 1944 brannte die Paulskirche nach einem britischen Bomberangriff aus, nur die kahlen Außenmauern blieben stehen. Nach Kriegsende betrieb der neue Oberbürgermeister Walter Kolb (SPD) den raschen Wiederaufbau des Symbols für die Demokratie. Gemäß Entwürfen der Planungsgemeinschaft Paulskirche und des Kölner Architekten Rudolf Schwarz erstand die Kirche im nüchternen Stil eines Plenarsaals. «Unten Radrennbahn, oben Gasometer, mehr läßt sich nicht verderben», ätzte der damalige Direktor des Historischen Museums Frankfurt, Albert Rapp.
Gemeindekirche bis 1953
Die Stadt feierte die Wiedereröffnung der Paulskirche pünktlich zum 100-Jahr-Jubiläum der Nationalversammlung am 18. Mai 1948. Die evangelische Kirche beging die Einweihung zwölf Tage später.
Hessen-Nassaus Kirchenpräsident Martin Niemöller ließ in seiner Predigt eine Distanz zum Wiederaufbau erkennen, wie Braunberger-Myers berichtet: Der Staat habe die Kirche doch nur wiedererrichtet, um sie selbst nutzen zu können, habe Niemöller gesagt.
Gemeindekirche blieb die Paulskirche tatsächlich nur bis 1953. In einem Dotationsvertrag vom 12. Mai gewährte die Kirche der Stadt «das alleinige Verfügungsrecht». Die Stadt sicherte zu, dass sie «die religiöse Tradition» der Paulskirche wahren werde. Frankfurt nutzt die Paulskirche seither zu repräsentativen Anlässen. Die seit der Nachkriegszeit in der Alten Nikolaikirche ansässige St. Paulsgemeinde veranstaltet dort gelegentlich noch Festgottesdienste.
Das 150-Jahr-Jubiläum der Paulskirchenversammlung 1998 feierte die Kirchengemeinde dann groß mit Gottesdienst und Marktplatzfest. Das diesjährige 175-Jahr-Jubiläum würdigt sie mit einer ausführlichen Vortragsreihe, Diskussionen, Rundgängen und thematischen Gottesdiensten.
«Die Kirche steht für den wichtigsten demokratischen Aufbruch in Deutschland», schließt Pfarrerin Braunberger-Myers. Die St. Paulsgemeinde sei stolz darauf, dass sie Ort der Demokratiegeschichte sei, aber auch beschämt über die Perioden ihrer Distanz zur Demokratie. Das Erbe verpflichte zum Anspruch: «Die Kirche hat etwas zur Demokratie beizutragen.»
Autor:Katja Schmidtke |
Kommentare
Sie möchten kommentieren?
Sie möchten zur Diskussion beitragen? Melden Sie sich an, um Kommentare zu verfassen.