DDR-KIRCHENVERLUSTE # 36
Die verlorene Heilig-Geist-Kirche Potsdam
In der DDR wurden bis 1988 rund 60 Kirchen auf staatlichen Druck gesprengt. Die wohl bekannteste von ihnen war die Paulinerkirche Leipzig – auch Universitätskirche St. Pauli genannt – im Jahr 1968. Die Serie erinnert an verlorene Sakralbauten in Mitteldeutschland und darüber hinaus.
Die Heilig-Geist-Kirche zu Potsdam – auch Heiliggeistkirche oder Heiligengeistkirche genannt – war ein Gotteshaus in der Burgstraße in Potsdam. Mit seinem 86 Meter hohen Kirchturm bildete es –zusammen mit der Nikolaikirche und der Garnisonkirche – Potsdams berühmten „Dreikirchenblick“. Im Zweiten Weltkrieg ausgebrannt, wurde auf Beschluss der SED-Führung Potsdam 1961 das Kirchenschiff abgerissen und 1974 der Kirchturm gesprengt.
Bauwerk
Das Kirchenschiff der Heilig-Geist-Kirche wurde 1726 nach Plänen von Pierre de Gayette auf dem einstigen Standort der slawischen Burg Poztupimi vollendet, der die Burgstraße ihren Namen verdankt. Dafür musste der noch existierende Burggraben zugeschüttet werden. Der Standort der Kirche soll auf den Wunsch des preußischen Königs Friedrich Wilhelm I. zurückgehen.
Der rechteckige Quersaalbau war schlicht verputzt und ausschließlich durch Lisenen gegliedert. Innen gab es zwei umlaufende Emporen, das Gotteshaus war schlicht gehalten. An den Seiten der Mauer zur Havel waren Halteringe zum Festmachen von Booten eingelassen – offenbar war es damals durchaus auch üblich, auf dem Wasserweg zur Kirche zu kommen.
Am östlichen Ende des Kirchenschiffs stand der Kanzelaltar, am westlichen Ende die Orgelempore mit der 1730 von Joachim Wagner erbauten Orgel. Von 1726 bis 1728 entstand der 86 Meter hohe, quadratische Kirchturm nach Plänen von Johann Friedrich Grael. Die untere Hälfte des Turmes war gemauert, der obere Teil war eine mit Kupfer beschlagene Holzkonstruktion.
Im Turm gab es zwei Schlagglocken für die Turmuhr, wovon die eine 1541 gegossen wurde und die andere eine Schalenform hatte. 1729 wurden zusätzlich drei Läuteglocken im Turm aufgehängt, 1737 die vierte. Der Turm war eine der Dominanten im Potsdamer Stadtbild und bildete zusammen mit den Türmen der Nikolaikirche und der Garnisonkirche den „Potsdamer Drei-Kirchen-Blick“ – die drei Kirchen standen auf einer Achse.
Geschichte
Die Heilig-Geist-Kirche wurde auf Anordnung von König Friedrich Wilhelm I. als Simultankirche –also als Kirche für zwei unterschiedliche christliche Gemeinden – geschaffen: Ein reformierter und ein lutherischer Geistlicher hielten zu verschiedenen Zeiten Gottesdienste.
Errichtet im Stil des Barock, wurde die Kirche am 10. November 1726 vom reformierten Hofprediger Christian Ludwig Lipten vormittags eingeweiht – am Nachmittag desselben Tages hielt Prediger Heinrich Schubert den lutherischen Einweihungsgottesdienst. Am 8. Mai 1747 gab Johann Sebastian Bach ein Orgelkonzert in der Heilig-Geist-Kirche.
Während der Besatzungszeit unter Napoleon I. musste Potsdam einen Teil der französischen Kavallerie versorgen, dabei wurde die Heilig-Geist-Kirche wie fast alle anderen Kirchen – Ausnahme war die Garnisonkirche, die letzte Ruhestätte von Friedrich Wilhelm I. und Friedrich II. – als Pferdemagazin genutzt.
Im Ersten Weltkrieg mussten 1917 die Prospektpfeifen der Orgel und drei der Läuteglocken als sogenannte „Metallspende des deutschen Volkes“ zu Kriegszwecken abgegeben werden, erst am 25. April 1926 erhielt die Kirche drei neue Bronzeglocken. Am Folgetag kam es zum Brand auf dem Kirchturm, den die Feuerwehr rechtzeitig löschen konnte.
Im Sommer 1926 begann die umfassende Sanierung der Heilig-Geist-Kirche, die bis 1930 dauerte. 1942 wurde das Geläut aus dem Jahr 1926 erneut als „Metallspende“ für Kriegszwecke beschlagnahmt, nur die Glocken der Turmuhr verblieben in der Kirche.
Bis in die letzten Tage des Zweiten Weltkrieges war Potsdam von direkten Bombenangriffen verschont geblieben. Beim einzigen Luftangriff auf Potsdam zerstörten am Abend des 14. April 1945 Bomben der Royal Air Force große Teile der Innenstadt, wobei auch das Kirchenschiff der Heilig-Geist-Kirche gebrannt haben soll. Am 26. April geriet laut anderer Quelle die Kirche erst mit dem Beschuss der Roten Armee in Brand.
Das Gotteshaus diente Generationen evangelischer Christen regelmäßig zur Andacht sowie zu Ostern, Pfingsten und Weihnachten als Stätte festlicher Begegnung. Sie war vertrauter, heimatlicher Treffpunkt für Taufe und Konfirmation, für Trauung, Silberne und Goldene Hochzeit und für den Heimgang hunderter Bürger. Sie war Ort der Gemeinsamkeit für Andacht und Hoffnung, für Zuversicht und Freude, für Trauer und Leid.
Wiederaufbau blieb frommer Wunsch
Wie wohl in jeder anderen Kirchgemeinde mit dem gleichen Schicksal wünschten sich die Christen dort das Wiedererstehen ihres Gotteshauses am selben Ort. Zunächst wollte der Gemeindekirchenrat – nach dem Vorbild der Garnisonkirche – eine Kapelle im Kirchturm einrichten, dann war im Jahr 1955 der Wiederaufbau der Kirche geplant. Zum in der Zeitschrift „Deutsche Architektur“ veröffentlichten Wiederaufbauplan des Viertels und einer Wettbewerbsausschreibung für Potsdam 1957 gehörte auch ihre Wiederherstellung.
Es blieb ein frommer Wunsch: Das Kirchenschiff wurde 1960 gesprengt. Zwar sah der 1969 nach der Sprengung der Garnisonkirche Potsdam aufgestellte Stadtbebauungsplan noch die Erhaltung des Kirchturms vor. Doch nach dem VIII. Parteitag der SED trieb die Bezirks- und Stadtleitung der Partei in Potsdam den Abriss des Kirchturms voran – zugunsten der Errichtung eines Wohnblocks.
Am 15. Oktober 1973 wurde zwischen der Stadtverwaltung Potsdam und der Kirchengemeinde ein Vertrag geschlossen: Die Gemeinde verkaufte das Grundstück und schenkte der Stadt die Ruine, die Stadt ihrerseits kam für Abriss und Trümmerentsorgung auf. Die Kosten betrugen schätzungsweise 360.000 DDR-Mark.
Am 20. April 1974 (eine andere Quelle nennt den 23. April 1974) wurde der Kirchturm der Heilig-Geist-Kirche gesprengt – mit 486 Kilogramm Gelatine-Donarit in 230 Bohrlöchern.
Das städtische Vorhaben, auf dem Gelände einen 17-geschossigen Wohnplattenbau zu errichten, scheiterte jedoch: Am 28. November 1973 schrieb der Direktor des Museums für Ur- und Frühgeschichte Potsdam, Bernhard Gramsch, gegen die geplante Sprengung gebe es keine Einwände.
Doch falls mit dem Abriss auch Neubaupläne verbunden seien, „machen wir schon jetzt darauf aufmerksam, dass das Gelände im Umkreis von 50 Metern unter Bodendenkmalschutz steht“. Im Untergrund lägen die Überreste einer frühmittelalterlichen slawischen Burganlage – der „Keimzelle Potsdams“. Tiefbauarbeiten seien nur nach Ausgrabung möglich und zudem „äußerst kostspielig“, so Gramsch: „Man kann sagen, dass es sich um die teuerste Grabung handeln würde, die je auf dem Territorium der DDR durchgeführt wurde. Auch würde die Grabung minimal fünf Jahre in Anspruch nehmen.“ Damit hatten sich offenbar die Baupläne erledigt, das Gelände blieb eine Brachfläche.
Einzig erhalten blieb die über dem Eingang vom Stifter Friedrich Wilhelm I. angebrachte Widmungstafel, die von Mitarbeitern des Potsdam-Museums gerettet werden konnte. Die Gemeinde ging 1981 in der Nikolaikirchengemeinde auf.
Jüngere Vergangenheit
Seit 1997 steht an der Stelle der ehemaligen Heilig-Geist-Kirche – in der Burgstraße 31, an der Alten Fahrt gegenüber der Freundschaftsinsel – das Altenheim „Residenz Heilig Geist Park“ mit zwei Wohnhäusern. Es entstand nach dem Entwurf des italienischen Architekten Augusto Romano Burelli aus Venedig.
Das fünfgeschossige Hauptgebäude erreicht ungefähr die Höhe des abgerissenen Kirchenschiffs, mit ihren 84 Metern zählt die Senioren-Residenz zu den höchsten Bauwerken von Potsdam.
Ihre Gestalt samt der Stahlkonstruktion auf dem angrenzenden Wohnturm zeichnen die Silhouette des einstigen Gotteshauses nach. So lebt in Potsdams Stadtbild die Erinnerung an die verlorene Heilig-Geist-Kirche weiter.
Koordinaten: 52° 23′ 49″ N, 13° 4′ 13″ O
https://de.wikipedia.org/wiki/Heilig-Geist-Kirche_(Potsdam)
(dort auch Verzeichnis der Autoren; Textnutzung entsprechend Creative Commons CC BY-SA 4.0)
Autor:Holger Zürch |
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