Kirche und Kulturen
Ein Herr, ein Glaube, eine Taufe – Wo bleibt die Vielfalt?
Ist die Kirche eine vielfältige Gemeinschaft? Manche werden antworten: Nun, es gibt schon Unterschiede, aber grundsätzlich geht es in der Kirche um Einheit – „ein Herr, ein Glaube, eine Kirche“. Andere werden sagen: Nun, wir sind alle evangelisch und gehören zusammen, aber grundsätzlich geht es darum, jede einzelne Person in ihrer Besonderheit wahrzunehmen – Nächstenliebe eben. Wendet man nun den Blick aus der Innenperspektive heraus auf die Kontexte, in denen Evangelische leben, wird es mit der Vielfalt noch offensichtlicher. Deshalb „wage“ ich die These: Jede evangelische Gemeinde in Mitteldeutschland hat es mit kulturellen Unterschieden zu tun. Beginnt man einmal darüber nachzudenken, was es für Unterschiede gibt, dann wird man überall rasch fündig.
Neben dem Geschlecht und der „Klassenzugehörigkeit“ ist die kulturelle Herkunft dabei einer der drei mächtigsten Faktoren, die Menschen prägen. Die Wahrnehmung von kulturellen Unterschieden ist das Herzstück der kultursensiblen Reflexion. Manche Unterschiede – darunter gerade kulturelle Unterschiede – haben ein großes Konfliktpotenzial auf der individuellen und auf der sozialen Ebene. Individuell reicht die kulturelle Prägung bis in die Kindheit zurück. Da geht es darum, was „selbstverständlich“ ist, was un-hinterfragt gilt. Wenn man damit konfrontiert wird, dass andere den eigenen Selbstverständlichkeiten widersprechen, verletzt das. Auf der sozialen Ebene haben kulturelle Unterschiede ebenfalls Konfliktpotenzial. Das liegt daran, dass sie eine wichtige Rolle für den sozialen Zusammenhalt haben. Die kulturelle Prägung („deutsch“, „christlich“, „westlich“) wird auch dazu verwendet, andere Menschen auszuschließen, sich von ihnen abzugrenzen. Nach innen stärkt eine geteilte kulturelle Identität den Zusammenhalt, nach außen kann sie diskriminierend und konfliktverschärfend wirken.
Die Kirche steht mittendrin in diesen Fragen. Seit Jahrhunderten sind die regionalen evangelischen Kirchen Teile und Säulen der Kultur in Deutschland. Ihre kulturprägende Bedeutung in der Vergangenheit wirkt bis heute, auch dort, wo die Mehrheit der Bevölkerung keiner Religionsgemeinschaft angehört. Deshalb haben die Kirchen heute aber eine besondere Verantwortung, wenn es um das gute Zusammenleben in kultureller Vielfalt geht. Und als Kirche in einem mehrheitlich religionslosen Raum hat man dazu auch eine besondere Kompetenz, denn man lebt ja schon die ganze Zeit irgendwie in einer kulturellen Differenz. Allerdings ist klar, dass das Zusammenleben mit Menschen, die mit anderen kulturellen und religiösen Prägungen einwandern, andere Fragen stellt.
So gehören kulturell vielfältiges Erleben und kultursensibles Handeln eigentlich schon jetzt zum Alltag von Kirche und durchziehen alle Bereiche kirchlichen Lebens. Das bedeutet eine Horizonterweiterung für die Gemeinden und führt sie in die aktive Teilnahme am gesellschaftlichen Leben. Aber auch in der Kirche und in den Gemeinden löst diese Lage Identitätsfragen und Konfliktpotenzial aus. Der Einsatz für ein kultursensibles, respektvolles Zusammenleben bildet somit eine wichtige Zukunftsaufgabe. Er ist eine geistliche und eine politisch-ethische Herausforderung. Dafür braucht es interkulturelles und interreligiöses Wissen, Kommunikations- und Mediationstraining. Im Raum der EKM gibt es nun auch ein Fortbildungsangebot, das diesen Herbst starten wird: „Kultursensible Beratung in Kirche und Gemeinde“. Es richtet sich an interessierte Hauptamtliche und ausgewählte Ehrenamtliche. Für Rückfragen steht die Autorin dieses Artikels gern bereit.
Eva Harasta
Kultursensible Beratung in Kirche und Gemeinde: Modul 1: 9.–11. September, Brandenburg an der Havelel
ev-akademie-wittenberg.de
Autor:Online-Redaktion |
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