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Irmgard Schwaetzer
Friedensethik muss sich in der Realität bewähren

Foto: epd-bild/Jürgen Blume

Beim Fall der Berliner Mauer war Irmgard Schwaetzer Staatsministerin im Auswärtigen Amt, später Bundesbauministerin. Die frühere FDP-Politikerin, die am 5. April 80 Jahre alt wird, blickt erschüttert auf den Krieg in der Ukraine. Im Gespräch mit Corinna Buschow erklärt sie, warum sie Waffenlieferungen an die Ukraine richtig findet. Von der evangelischen Kirche, für die sie sich zuletzt als Präses der Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) engagierte, fordert sie eine Auseinandersetzung mit der Friedensethik. Pazifismus könne nicht die einzige Antwort auf Bedrohung sein, sagt sie.

Sie werden Anfang April 80 Jahre alt. Sie sind geboren im Zweiten Weltkrieg, haben als Kind und Jugendliche den Wiederaufbau miterlebt, als verantwortliche Politikerin die Wiedervereinigung mitgestaltet. Was geht in Ihnen vor, wenn Sie die Bilder vom Krieg in der Ukraine sehen?
Irmgard Schwaetzer:
Ich bin erschüttert, wenn ich die Bilder aus der Ukraine sehe und die Berichte über das große Leid höre. Die Geflüchteten am Berliner Hauptbahnhof und allen anderen Orten haben schwierige Zeiten vor sich. Sie haben entweder die Perspektive, in einem anderen Land neu anzufangen oder im eigenen mit Krieg und unvorstellbarer Zerstörung konfrontiert zu werden.
Das ist nicht vergleichbar mit dem, was wir nach dem Zweiten Weltkrieg gesehen haben. Damals war ganz Europa in Mitleidenschaft gezogen. Jetzt ist es ein Land in Europa, das von einem Nachbarn zerbombt und zerschossen wird. Die angrenzenden Länder leben in ziemlichem Wohlstand und fragen sich, was sie tun können.

Eine Antwort ist, dass Deutschland jetzt Waffen liefert in ein Konfliktgebiet und die Bundesregierung 100 Milliarden Euro für Aufrüstung ausgeben will. Ist das die richtige Reaktion?
Es ist ja nicht die einzige Antwort, aber es ist richtig.
Das sage ich als Politikerin und als evangelische Christin, die die Friedensethik der Evangelischen Kirche in Deutschland unterstützt.
Es ist völlig unstrittig, dass ein Land das Recht hat, sich selbst zu verteidigen, wenn es in dieser völkerrechtswidrigen Art und Weise angegriffen wird. Wenn es dann zu wenig hat, um sich selbst zu verteidigen, muss man auch mit Waffen zur Verteidigung unterstützen.

Aber gehört Pazifismus nicht zum Kern des christlichen Glaubens?
Pazifismus gehört zum Christentum. Es kann aber nicht die einzige Antwort auf eine reale Bedrohung sein. Unser Grundgesetz gibt nicht vor, uns nach den Leitlinien des Pazifismus zu organisieren, sondern eine wehrhafte Demokratie zu sein. Ein Garant dafür ist der Rechtsstaat. Ein anderer die Bundeswehr, die als Parlamentsarmee Teil der Gesellschaft ist. Das ist ja auch eine Vorgabe für die Friedensethik.

Ist kirchliche Friedensethik naiv?
Die Friedensdenkschrift der EKD von 2007 ist das ganz und gar nicht. Sie formuliert, dass es sehr strenge Prämissen für die Anwendung von Gewalt gibt. Ich denke eher, dass es in den Jahren danach Wunschbilder gegeben hat, die man wieder stärker hinterfragen muss.

Das heißt?
Friedensethik muss sich als glaubwürdig in der Realität bewähren. Die Welt hat sich seit 2007 und besonders seit dem 24. Februar 2022 verändert. Durch den Angriff Russlands auf die Ukraine wird die europäische, durch verbindliche Verträge geregelte Ordnung einseitig massiv infrage gestellt. Ich denke, wir werden uns auf einige Zeit wieder auf das Prinzip der Abschreckung - auch der nuklearen - verlassen müssen, ohne allerdings bestehende Gesprächskanäle aufzugeben.
Solange bestehende völkerrechtliche Verträge nicht zuverlässig eingehalten werden, solange ein Land in aggressiver Weise unberechenbar ist, müssen wir wie alle anderen darauf achten, dass wir in der Nato unsere Verpflichtungen zuverlässig erfüllen. Der Weg zu einer verlässlichen Friedensordnung wird sehr weit sein.

Sie haben selbst schon die Flüchtlinge aus der Ukraine angesprochen. Sie stoßen derzeit auf große Hilfsbereitschaft. Glauben Sie, dass es anders als 2015 auch nachhaltig so bleiben wird?
Auch nach 2015 ist die Hilfsbereitschaft geblieben. Natürlich gibt es aber Unterschiede: Die Ukrainer sind Europäer. Sie kommen zudem aus einer anderen Situation als damals etwa die Syrer.
In der Ukraine gibt es eine freiheitliche staatliche Ordnung, viele Verflechtungen in die ganze Welt, gut ausgebildete Menschen. Sie haben ganz andere Möglichkeiten, sich hier dauerhaft anzusiedeln.
Umso mehr müssen wir darauf achten, dass alle Geflüchtete gleich behandelt werden.

Sie selbst haben vor knapp einem Jahr das Amt als Präses der EKD-Synode abgegeben. Vermissen Sie etwas?
Die Begegnung fehlt mir schon. Die letzten anderthalb Jahre in dem Amt waren andererseits eine sehr anspruchsvolle Zeit, nicht nur wegen Corona. Wir mussten Beschlüsse fassen zur Strategie für die Zukunft und die Finanzen der evangelischen Kirche. Dazu kam das Thema sexualisierte Gewalt. Ich war schon auch froh, als wir das alles gut auf den Weg gebracht haben.

Seit kurzem sind Sie Stiftsfrau im Kloster Heiligengrabe in Brandenburg. Was hat Sie dazu bewogen?
Mir wurde schon während meiner ehrenamtlichen Tätigkeit in der EKD klar, dass ich die geistliche Gemeinschaft in dieser Form vermissen werde. Das hieß, dass ich mir eine andere suchen musste.
Dabei lag mir der Gedanke, mich dauerhaft in einem Kloster anzusiedeln, aber gleichzeitig sehr fern.
An dem Punkt kam Heiligengrabe ins Spiel. Den Ort lernte ich bei einem Besuch in meiner ehrenamtlichen Funktion näher kennen. Der Ort ist einfach schön - mit seiner Ruhe und den verschiedenen Bewohnern, die dort dauerhaft oder eben nicht dauerhaft wohnen. Es gibt dort ja nicht nur den Frauenkonvent.

Wie sieht ein Konventleben ohne dauerhaftes Klosterleben aus? Gibt es bestimmte Aufgaben?
Als Konvent sind wir Stiftsfrauen für das geistliche Leben am Ort zuständig, also zum Beispiel Einkehrzeiten und die Andachten während der Woche. Wir treffen uns an vier Wochenenden im Jahr zu Stiftsgottesdiensten und außerdem zu einer Konventsklausur.
Es gibt eine geistliche Ordnung, die wir gemeinsam festlegen. Als Aufgabe habe ich mir vorgenommen, das Kloster weiter in der Region zu verankern. Genau so etwas suchte ich. Bei meiner Einführung hatte ich wirklich das Gefühl, angekommen zu sein.

(epd)

Autor:

Online-Redaktion

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