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Nachgefragt
Gegen ein verlogenes Geschichtsbild

Der Journalist und Theologe Arnd Henze bei der Tagung in Neudietendorf | Foto: Willi Wild
  • Der Journalist und Theologe Arnd Henze bei der Tagung in Neudietendorf
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Mit dem provokanten Buchtitel „Kann Kirche Demokratie?" sorgte der Journalist und EKD-Synodale Arnd Henze 2019 für Aufsehen. Bei der Tagung „Medien des Kirchenkampfes" sprach Henze über den Umgang der evangelischen Kirche mit dem toxischen NS-Erbe. Willi Wild hat den streitbaren Theologen getroffen.

Es gibt Stimmen, auch in der Kirche, man müsse die unrühmliche NS-Vergangenheit endlich abschließen. Wie reagieren Sie darauf?
Arnd Henze: Diesen Ruf nach einem Schlussstrich gab es in Westdeutschland schon unmittelbar nach 1945 – und er kam vor allem auch von prominenten Kirchenführern. Hätten wir damals auf solche Stimmen gehört, wäre die Nachkriegsgeschichte anders verlaufen. Es hätte vielleicht keine Auschwitzprozesse gegeben, keine Gedenkstätten und Erinnerungskultur – aber sicher auch keine Aussöhnung mit unseren Nachbarn. In Wirklichkeit ist es umgekehrt.

Die Beschäftigung mit den Strukturen und Verbrechen der NS-Zeit war von Anfang an halbherzig. Sie war auf Verdrängung, Leugnung und häufig auch Lügen gegründet. Fast jeder konnte sich unwidersprochen zum Widerstandskämpfer umdeuten. In vielen gesellschaftlichen Bereichen hat man erst nach mehr als 50 Jahren begonnen, die eigenen Verstrickungen kritisch aufzuarbeiten.

Wenn Björn Höcke heute die „180-Grad-Wende in der Erinnerungspolitik“ fordert, dann will er sich diese Versäumnisse und Selbsttäuschungen zunutze machen. Dagegen hilft nur eine ebenso ehrliche wie kämpferische Erinnerungskultur, die uns resistent macht gegen ein verlogenes Geschichtsbild, in dem die NS-Verbrechen zum „Vogelschiss der Geschichte“ relativiert werden.

Die AfD liegt in Umfragen weit vorn. Sympathisanten gibt es auch in der evangelischen Kirche. Wie soll man damit umgehen?
Vielleicht hilft es, sich die unterschiedlichen Strategien der evangelischen Kirchen vor den ostdeutschen Landtagswahlen 2020 anzusehen. In Brandenburg gab es eine ganz klare Haltung gegenüber der menschenfeindlichen Politik der AfD – mit Erfolg: die Partei wurde von deutlich weniger Protestanten gewählt als im Durchschnitt der Bevölkerung. Anders in Sachsen: dort setzte der damalige Bischof Rentzing auf einen Kuschelkurs gegenüber der AfD. Am Ende lag der AfD-Anteil bei den Protestanten genauso hoch wie in anderen Wählergruppen.

In Thüringen ist die völkische und antidemokratische Haltung der AfD unter Björn Höcke besonders extrem. Mit den Werten des christlichen Glaubens ist das unvereinbar, und hier muss die Brandmauer auch im Wahlkampf ganz hoch gezogen werden. Hier braucht es den Mut in den Gemeinden, immer wieder das Gespräch im Ort zu suchen – und das Wissen, dass sie sich bei Anfeindungen auf die Solidarität aller Christen verlassen können.

Jüngst gab es ein Beispiel von Hass, Hetze und Rassismus im Netz, nach der Predigt von Quinton Ceasar beim Kirchentag. Sie plädieren für eine Strategie bei der Krisenkommunikation. Wie sieht sie aus?
Hasskampagnen verschwinden nicht, indem man sie aussitzt oder ignoriert. Wir dürfen Anfeindungen und Drohungen niemals den öffentlichen Raum überlassen. Wenn jemand für sein Engagement angefeindet wird, muss die Person sich darauf verlassen können, dass wir alle sofort gemeinsam gegenhalten und diesen öffentlichen Raum mit unserer positiven Botschaft der Solidarität füllen. Das gilt für Menschen aus der Kirche, aber auch für Politiker oder Ehrenamtliche aus der Zivilgesellschaft.

Es trifft übrigens fast immer Frauen oder Menschen, die auch sonst Diskriminierungen ausgesetzt sind. Da müssen wir in den Kirchen noch viel besser und vor allem schneller werden. Das kann man lernen. Dafür braucht es auch eine professionelle Unterstützung in den Pressestellen. Nur so können wir zu einem sicheren Ort für all die Menschen werden, die sich für eine menschenfreundliche Gesellschaft einsetzen.

Wie sollen Kirchengemeinden mit ihrer Vergangenheit umgehen? Was ist Ihre Idee?
Auf vielen kirchlichen Homepages erfahre ich ganz viele Details über die Architekturgeschichte der Kirche. Wäre es nicht viel wichtiger zu erzählen, wie sich das kirchliche Leben in diesen Räumen abgespielt hat? Dazu gehört natürlich ganz besonders auch die Zeit von 1933 bis 1945, aber auch die Erfahrungen in der DDR. Ich könnte mir vorstellen, dass sich daraus spannende Projekte für die Konfirmandenarbeit ergeben. Wenn das von Historikern begleitet würde, wäre das eine wichtiger Beitrag, unsere Erinnerungskultur resilienter zu machen.

Weitere Beiträge:

Das toxische Erbe
Umgang mit kirchlichem NS-Erbe
Autor:

Online-Redaktion

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