Atomkraft
«Im Endlagersuchverfahren läuft so ziemlich alles schief»
Vor zehn Jahren wurde die Suche nach einem Endlager für den hochradioaktiven Atommüll neu gestartet. Das Verfahren erfüllt die gesetzlichen Vorgaben nicht, bemängeln Atomkraftgegner. Die beteiligten Behörden widersprechen.
Von Reimar Paul (epd)
Die Atomkraftwerke sind abgeschaltet, die Kämpfe in Gorleben und Wackersdorf Vergangenheit, der Jahrzehnte währende Großkonflikt um die Kernenergie ist abgeräumt. Oder doch nicht? Die Suche nach einem Endlager für den hochradioaktiven Atommüll werde den Widerstand neu entfachen, warnt Helge Bauer von der Anti-Atom-Organisation «.ausgestrahlt». Denn in dem vor zehn Jahren neu gestarteten Suchverfahren laufe «so ziemlich alles schief. Ändert sich nichts, wird es abermals massive Proteste gegen das Atommüll-Lager geben».
Am 23. Juli 2013 verabschiedete der Bundestag das auch Endlagersuchgesetz genannte Standortauswahlgesetz, 2017 wurde es novelliert. Das Verfahren werde den gesetzlichen - und selbst gesetzten - Ansprüchen aber nicht gerecht, kritisiert Bauer. Von der versprochenen Beteiligung der Bevölkerung gebe es «keine Spur». Der Suchprozess sollte aus den Fehlern und Erfahrungen von Gorleben lernen, Wissenschaftlichkeit in den Vordergrund stellen, von Beginn an Transparenz über die Auswahlschritte herstellen sowie die Bürgerinnen und Bürger wirksam beteiligen.
Doch das von den Behörden in Gang gesetzte Verfahren finde zu großen Teilen ohne wirksame öffentliche Kontrolle statt und speise selbst die interessierte Öffentlichkeit mit «Schein-Beteiligungs-Formaten» ab. Die staatlichen Akteure, das Bundesamt für die Sicherheit der nuklearen Entsorgung und die mit der eigentlichen Suche betraute Bundesgesellschaft für Endlagerung (BGE) verspielten damit das Vertrauen, «dass der Standort, der am Ende herauskommt, tatsächlich der am wenigsten ungeeignete Standort ist».
Auch mit der versprochenen Wissenschaftlichkeit ist es Bauer zufolge nicht weit her. Denn der im Herbst 2020 von der BGE vorgelegte «Zwischenbericht Teilgebiete» weise Gebiete als mögliche Standorte aus, in deren Untergrund die benötigten Gesteinstypen nachweislich gar nicht vorhanden seien. Andererseits blieben möglicherweise gut geeignete Standorte unberücksichtigt, weil die BGE in Gebieten, für die keine Daten vorlägen, mit «Fantasie-Annahmen» zum Untergrund operiere.
Die BGE widerspricht. Etwa die Hälfte der Bundesrepublik sei noch im Verfahren, sagt Sprecherin Monika Hotopp. Diese Vorauswahl basiere auf Grundlage zugänglicher Daten. Bis 2027 werde die bundeseigene Gesellschaft diese Fläche mittels fachlicher Kriterien auf wenige Standortregionen eingrenzen, die dann für die überirdische Erkundung vorgeschlagen würden.
Mit der «Fachkonferenz Teilgebiete» sei das erste gesetzlich normierte Beteiligungsformat trotz Corona über die Bühne gegangen, kontert Hotopp auch den Vorwurf mangelnder Beteiligung. «Eine kleine, aber sehr engagierte Gruppe von Personen ist bereit, sich selbst in diesem frühen Stadium intensiv mit der Standortauswahl zu beschäftigen und die Arbeitsschritte kritisch zu begleiten. Das ist ein enorm wertvoller Input in das Verfahren.»
Verantwortlich für die Beteiligung der Öffentlichkeit ist das von Bundesamt für die Sicherheit der nuklearen Entsorgung (BASE). Es beaufsichtigt zugleich das gesamte Suchverfahren. Die Beteiligung am ersten Zwischenschritt - der Veröffentlichung des Zwischenberichts Teilgebiete - habe das BASE trotz gleichzeitiger Corona-Krise erfolgreich organisieren können, erklärt eine Sprecherin. Mehrere Tausend Personen hätten an den Terminen der «Fachkonferenz Teilgebiete» teilgenommen und sich aktiv in das Verfahren einbringen können.
Zugleich weise der Zwischenbericht der BGE noch große Gebiete aus. Weil die Hälfte der Fläche Deutschlands weiter im Verfahren sei, entstehe relativ wenig regionales Interesse, das aber für die regionale Beteiligung wichtig sei.
Auch das Nationale Begleitgremium (NBG), das den Suchprozess vermittelnd begleiten soll, meldete sich zu Wort. Ein Kritikpunkt: Man habe erst aus der Presse erfahren, dass sich die Suche wohl um Jahrzehnte verzögern werde. Ende 2022 war durch Medienveröffentlichungen bekannt geworden, dass der Standort für das Endlager frühestens zur Mitte dieses Jahrhunderts feststehen wird.
Dagegen steht im Gesetz, dass die Festlegung bis 2031 erfolgen soll.
Der frühere bayerische Ministerpräsident Günther Beckstein (CSU), der im 18-köpfigen NBG sitzt, brachte die Kritik des Gremiums auf den Punkt: «Die Art und Weise, wie wir und die Öffentlichkeit von dieser Verzögerung erfahren haben, ist ein großes Problem», sagte er kürzlich. «Wie kann es sein, dass wir in einem ständigen Austausch mit der BGE und den anderen Akteuren stehen, aber solch eine wichtige Zeitverschiebung erst aus der Presse erfahren? Das ist ein Vertrauensbruch - das muss man ganz klar sagen und auch Tacheles reden.»
Autor:Katja Schmidtke |
Kommentare
Sie möchten kommentieren?
Sie möchten zur Diskussion beitragen? Melden Sie sich an, um Kommentare zu verfassen.