Terror auf Tik-Tok
Krieg im Klassenzimmer
Mehmet Can ist tief erschüttert, das ist seiner Stimme anzuhören. Der Geschichts- und Politiklehrer unterrichtet am Campus Rütli in Neukölln, einer Gemeinschaftsschule, an der die meisten Kinder einen muslimisch-arabischen Hintergrund haben.
Nina Schmedding und Irene Dänzer-Vanotti
An der Rütli Schule ist man mit dem Nahost-Konflikt vertraut; bereits in der Woche nach den Hamas-Angriffen gab es vor dem Unterricht eine außerordentliche Dienstbesprechung, wie mit dem aktuellen Angriff der radikalislamischen Hamas umzugehen sei.
Laut Bundeselternrat bereiten sich die Schulen bundesweit auf Konflikte als Reaktion auf den Angriff auf Israel vor. So werde etwa in Thüringen, das am Montag nach den Herbstferien wieder in den Unterricht startete, vom Bildungsministerium eine Handreichung und ein Leitfaden für Lehrer vorbereitet, sagt die Vorsitzende des Verbandes, Christiane Gotte. In dem Bundesland leben zahlreiche jüdische Ukrainer, die wegen des russischen Angriffskriegs nach Deutschland geflohen sind.
Lehrer Can beschreibt, wie er den Unterricht seit dem Angriff erlebt: "Frustration und Hoffnung liegen nur eine Schulstunde voneinander entfernt." Seine zehnte Klasse zum Beispiel habe ihn schockiert: Da rechtfertigten viele den Angriff "als Rache für die vermeintlichen Verbrechen der Israelis". Dies sei leider das Narrativ, das seine Schüler in den sozialen Medien und in arabischsprachigen TV-Sendungen hörten, sagt Can. Manchmal geschehe das auch subtil: "Zum Beispiel gibt es eine arabische Influencerin, die Kochrezepte promotet und nach dem Angriff der Hamas Lebensmittel mit Palästina-Fahnen verteilte, um die Attacke zu feiern." Andere Schüler glaubten die Nachrichten von den Gräueltaten nicht. "Sie glauben, dass sind ›Fake News‹, weil das nicht mit ihrem Bild vom Islam übereinstimmt."
Anderes habe ihm aber auch Hoffnung gemacht, sagt er. In seinem Leistungskurs Geschichte sei kontrovers, aber sachlich diskutiert worden. "Und als einer das Massaker als Verteidigung Palästinas verklären wollte, entgegnete ein anderer, was man denn verteidige, wenn man über 200 Besucher eines Musikfestivals ermorde."
Ähnliche Erfahrungen hat der Duisburger Theaterpädagoge Burak Yilmaz gemacht. Auch er empfindet die Stimmung als aufgeheizt. In seinen Gesprächen und Chats mit muslimischen Jugendlichen seien Wut auf Israel, aber auch Scham über den Angriff zu spüren. Der Pädagoge geht an Schulen und versucht in sozialen Netzwerken, den Bildern und Parolen etwas entgegenzusetzen. "Wenn ich 14 wäre und auf diesen Kanälen abhängen würde, würde mich das sehr in den Bann ziehen", räumt er ein. Es sei ein großes Problem, dass die Jugendlichen über Freunde oder die Familie kaum andere Perspektiven kennenlernten.
"Wenn ich 14 wäre und auf diesen Kanälen abhängen würde, würde mich das sehr in den Bann ziehen"
Wenn Lehrerinnen und Lehrer mit antisemitischen Äußerungen konfrontiert werden, sollten sie mit klarer Sprache und gegebenenfalls angemessenen Strafen reagieren. Das empfiehlt das Schulministerium in Nordrhein-Westfalen in der entsprechenden Handreichung «Was tun bei Antisemitismus an Schulen?».
Judenhass breche sich im Internet auf vielen Plattformen Bahn, etwa auf Youtube oder Vimeo, heißt es in der Broschüre. Dort lernten Jugendliche die Codes, mit denen sie antisemitische Äußerungen in scheinbar unauffälligen Worten verstecken könnten. So steckten hinter einem Thema wie «Machtdominanz an der New Yorker Börse» häufig die alten, längst widerlegten Behauptungen einer «jüdischen Weltverschwörung».
Lehrer werden darin aufgefordert, aufmerksam zu sein, diese Codes wahrzunehmen und sie sofort zu entlarven. Die Verletzungen, die Mitschüler, gewollt oder ungewollt, damit verursachten, könnten im schlimmsten Fall ein Leben lang weiter wirken. Schulen sollten daher auch das Strafrecht beachten. Da antisemitische Äußerungen, insbesondere die Leugnung des Holocaust Straftatbestände seien, sollten strafmündige Schüler oder Erwachsene, die an der Schule tätig seien, notfalls angezeigt werden: «Zeigen Sie Haltung! Machen Sie sich bewusst, dass Ihre Arbeit auf dem Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland fußt», heißt es in der Handreichung.
Lehrer Can, selbst türkischstämmig, will sich weiter dafür engagieren, den Jugendlichen Gegenstimmen aufzuzeigen, damit sie sich ein fundiertes Urteil bilden können. "Auch wenn es nur in kleinen Schritten geht. Es sind Jugendliche, denen gestehe ich zu, solche Sachen zu äußern – so schwer es manchmal zu ertragen ist. Bei Erwachsenen bin ich nicht so nachsichtig", stellt der 42-Jährige klar.
(kna)/(epd)
Autor:Online-Redaktion |
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