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Präsidentin der Klassik Stiftung Weimar
"Kunst ist nicht Politik"

Ulrike Lorenz, Präsidentin der Klassik Stiftung Weimar, sprach über die Freiheit der Kunst.  | Foto: Maik Schuck
  • Ulrike Lorenz, Präsidentin der Klassik Stiftung Weimar, sprach über die Freiheit der Kunst.
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Die Freiheit der Künste gelte es heute gegen die Zugriffe der Politik zu verteidigen, sagt Ulrike Lorenz. Zur Kundgebung unter dem Motto „Bock auf Kunst – Suchet der Stadt Bestes“ sprach die Präsidentin der Klassik Stiftung auf dem Weimarer Theaterplatz vor etwa 400 Menschen. Ihre Rede veröffentlichen wir hier in Auszügen.

Von Ulrike Lorenz

Am 1. September haben wir die Wahl. Es gilt, über die lebensprägende Politik der nächsten fünf Jahre in Thüringen zu entscheiden. Viele empfinden dies als eine historische Situation, nicht wenige befürchten einen Kipp-Moment. Jedenfalls spüren wir alle, was sonst nur Philosophen wissen: Geschichte ist prinzipiell offen. Wenn Entscheidungen über unser Leben anstehen, sind wir als Einzelwesen direkt angesprochen – in unserem Vermögen, frei zu handeln und Entscheidungen zu treffen.

Immanuel Kant wird dieses Jahr 300, seine Gedanken sind frischer denn je: Menschen sind frei, weil ihr Tun nicht nur durch Ursachen, sondern auch durch Gründe und Rechtfertigungen bestimmt ist. Nur wir sind in der Lage, mit vernunftbegabtem Denken uns selbst und die Welt zu durchdringen und mit phantasiegetriebener Schöpferkraft zu übersteigen. Hier wurzelt unsere Fähigkeit zur Hoffnung, unsere Sehnsucht nach Sinn, unsere Begabung zur Kunst. Selberdenken führt zu verantwortlichem Handeln. Wir sind verantwortlich für die Welt, in der wir leben.

Der Mensch ist das, wozu er sich entscheidet. Was an ihm dran ist, stellt sich im Augenblick der Entscheidung heraus. Der Philosoph Helmuth Plessner entdeckt 1931 – mitten in den bürgerkriegsähnlichen letzten Tagen der Weimarer Republik – das Unergründliche als Wesenskern des Menschen. Weil der seine Gründe immer noch vor sich hat, bleibt er sich selbst und anderen eine „offene Frage“. Darin liegt das Risiko unserer Freiheit.
Kunst ist Freiheit, sagt Heinrich Böll, der Schriftsteller. „Es kann ihr einer die Freiheit nehmen, sich zu zeigen - Freiheit geben kann ihr keiner; kein Staat, keine Stadt, keine Gesellschaft kann sich etwas darauf einbilden, ihr das zu geben oder gegeben zu haben, was sie von Natur ist: frei.“ Böll zog daraus eine klare Konsequenz: „Die Kunst muss zu weit gehen, um herauszufinden, wie weit sie gehen darf.“

Diese immanente Freiheit der Künste gilt es heute gegen die Zugriffe der Politik leidenschaftlich zu verteidigen. Und radikal zu verwirklichen – was die einzige politische Verantwortung ist, die Künstlerinnen und Künstler tatsächlich haben. Alles andere spielt den Vereinfachungsstrategen jeglicher Couleur in die Hände. Denn diese ziehen aus dem Missverständnis, Kunst und Leben seien eine Einheit, Gewinn.

Hintergrund

Zu einer Kundgebung unter dem Motto „Bock auf Kunst – Suchet der Stadt Bestes“ hat am Montagabend ein Bündnis aus Künstlern und Initiativen in Weimar eingeladen. Ziel der Veranstaltung, die unter anderem von der Kirchenzeitung initiiert wurde, war es, ein Zeichen für Kunstfreiheit zu setzen. Mehrere Hundert Menschen hatten sich dazu auf dem Theaterplatz der Stadt versammelt. In ihrem Grußwort sprach die Präsidentin der Klassik Stiftung Weimar, Ulrike Lorenz, über die Freiheit der Kunst. Zudem hatten zahlreiche Kunst- und Kulturschaffende die Veranstaltung unterstützt, darunter der Pianist und Klangkünstler Martin Kohlstedt, der ein Impro-Stück am Klavier spielte.

Zur faszinierenden Dialektik der Kunst gehört, dass ihre immer wieder neu entflammbare Aktualität gerade in ihrer unauslotbaren Unzeitgemäßheit wurzelt. Das Irrlichtern hochverdichteter Meisterwerke lässt sich auf keinen Nenner bringen. Genau das spricht uns als Einzelne ganz persönlich an: „Du musst Dein Leben ändern.“ Kraft der Eigengesetzlichkeit ihrer Sprachen und Phantasmagorien entzieht sich Kunst der Vereinnahmung durch Politik und Gesellschaft. Keine Ausdeutung erschöpft ihre Meisterwerke. Daher können Romane, Musik, Malerei lebensrettend auch in ganz anderen Epochen sein.

Aber nicht nur die Kunst ist frei. Auch geistesgegenwärtige Museen, Archive und Theater sind es. Kulturinstitutionen partizipieren und profitieren von der Freiheit der Kunst. Aber Kultur ist keine Kunst. Kunst zielt auf Wahrnehmung. Kultur trainiert Differenzierung und Urteilskraft. Kultur ist andererseits auch nicht der Staat, selbst wenn sie staatlich finanziert ist. Sie muss offener, widersprüchlicher, radikaler sein (dürfen). Kulturproduktion ist nicht an die Regeln der Politik gebunden, auch wenn sie auf Politik angewiesen bleibt. Der demokratische Rechtsstaat hat sie von politischen Repräsentations- und Offenbarungspflichten entbunden. Nur wenn Kulturinstitutionen den Mut aufbringen, diese Freiheit auch zu nutzen, können sie gute Gastgeber für die Begegnung der Künste mit den Menschen sein. In dieser Begegnung setzt sich der Zündstoff Freiheit, den Gedichte, Tänze oder Bilder bergen, in jedem und jeder von uns frei.

Bildergalerie zur Kundgebung

Das aber setzt voraus, dass Kunst eben Kunst bleibt und alles andere alles andere ist. Kunst entsteht nicht aus moralpolitischer Vernunft. Sie ist keine Richterin. Zwar kann Kunst durchaus politisch gemacht und verstanden werden – und muss sich dann prompt den öffentlichen Streit darüber gefallen lassen. Aber für den gesellschaftlichen Zusammenhalt ist sie trotzdem nicht verantwortlich. Kunst kann keine kulturellen, sozialen oder politischen Wunden heilen. Das ist Überforderung und Unterforderung zugleich. Was Kunst aber kann und mit vollem Risiko in aller Konsequenz tun soll, ist: mit der Macht der Phantasie Grenzen sprengen und Horizonte öffnen, Deutungslust und Sinn-Sehnsucht von Menschen entzünden, die Glut unserer Leidenschaft und Hoffnung wachhalten.

Halten wir fest: Kunst ist nicht Politik. Kunst ist nicht Moral. Kunst ist frei. Doch kann sie zum Spielball von Politik werden, zum Schlachtfeld von Deutungskämpfen, die Machtgefechte um kulturelle Hegemonie sind. Gerade deshalb müssen wir in Zeiten der allgegenwärtigen Kulturalisierung der Politik und Politisierung von Kunst und Kultur auf Distanz und Differenzierung großen Wert legen. Plädieren wir am 1. September für die Freiheit, Distanz wahren und auf Differenzierung bestehen zu dürfen. Stimmen wir für Liberalität und Empathie, denn das bedeutet: Kompromiss statt Kampf, Ironie statt Pathos, Alltag statt Extreme. Hüten wir das Individuelle in uns und das Regellose der Kunst, das uns beim Überleben hilft. Sorgen wir dafür, dass Aufklärung nicht zum emanzipatorischen Radikalismus führt, sondern in die Skepsis.

Autor:

Online-Redaktion

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