Kirchenzeitung in der DDR
Kyrie und Gloria
In der hundertjährigen Geschichte der Kirchenzeitung hat es manche Zäsur gegeben. Mit der deutschen Wiedervereinigung 1990 standen die Gemeinden, Synoden, Kirchenleitungen und überregionale Kirchenbünde in Ost und West wieder einmal vor zahlreichen Herausforderungen.
Von Christine Lässig
Dass die Wende 1989 die Christen in der DDR nach 40 Jahren Wüstenwanderung ins Gelobte Land gebracht hätte, kann man nicht behaupten. Bei aller Freude über die neuen Möglichkeiten, seinen Glauben zu leben, ohne Nachteile in Kauf nehmen zu müssen, war die Genugtuung darüber, dass die Meinung der Kirche plötzlich gefragt war. Und neben der Dankbarkeit über eine gewaltlose Revolution wurde schnell klar, dass die Nachwendesituation ganz anders, aber keineswegs nur erfreulich daherkam.
Wer den 1990er-Jahrgang unserer Kirchenzeitung G+H durchblättert, bekommt eine Ahnung davon, wie groß die Aufgaben waren, die nicht nur im Land, sondern auch in der Kirche zur Lösung anstanden. Vergangenheitsbewältigung zum einen und Zukunftspläne voller Hoffnung, aber auch die Sorge, wie man in der neuen Situation gute Lösungen findet, waren jede Woche wieder Thema auf den zunächst bescheidenen vier schwarz-weißen Zeitungsseiten. Vorwärts und nicht vergessen!
Bilanz zu ziehen ist am Anfang jedes Jahres üblich. 1990 aber ging es darum, ob in 40 Jahren Kirche in der DDR unter schwierigen Bedingungen die richtigen Entscheidungen getroffen wurden. 1969 hatte sich der Bund der Evangelischen Kirchen in der DDR gegründet, der bei bleibender Verbundenheit mit der Evangelischen Kirche in Deutschland organisatorisch nun eigene Wege ging, weil es in den beiden deutschen Staaten für den kirchlichen Dienst sehr unterschiedliche Voraussetzungen gab. Der jeweiligen Situation geschuldet, entwickelte sich das kirchliche Leben in der DDR mit Christenlehre in kirchlichen Räumen etwa oder dem eigenen Kirchensteuerwesen, mit staatlichen Repressionen und finanziellen Schwierigkeiten deutlich anders als in der Bundesrepublik.
Vorwärts und nicht vergessen
Dass sich der Kirchenbund bereitgefunden hatte, mit Regierungsvertretern zu reden, die nicht aus freien Wahlen hervorgegangen waren, oder dass argwöhnisch beobachtete Basisgruppen im Raum der Kirche Platz fanden, obwohl viele ihrer Mitglieder noch nie ein Vaterunser gebetet hatten, war in den Gemeinden durchaus umstritten. Und im Nachhinein gesehen, hätte man sicher auch manches anders machen sollen: deutlicher reden, weniger schweigen und mutiger handeln. Trotzdem hat die Kirche in der DDR auf ihrem Weg zwischen totaler Ablehnung und unkritischer Anpassung vielen Menschen geholfen, ihren Standpunkt zu finden in schwierigen Zeiten, und ist damit zur Geburtshelferin einer gewaltlosen Revolution geworden.
Dabei hat sie manches lernen müssen: kirchliches Leben ohne Privilegien gestalten, zur Minderheitskirche werden, mit Nachteilen für Christen rechnen, öffentlichen Einfluss verlieren, in ihren Aufgaben vom Staat beschränkt werden auf Gottesdienst, Bibelstunde und allenfalls Diakonie. Aber die schlechten alten Zeiten hatten auch ihr Gutes, kommentiert G+H. „Gerade in diesen 40 Jahren hat die Kirche überraschenderweise an Glaubwürdigkeit und echter Autorität gewonnen." Volle Kirchen zur Wendezeit, Pfarrer an allen Runden Tischen danach und gern auch in den Parteien, Schulterklopfen allerorten für die Kirche. Zu viel des Lobes, dachte so mancher angesichts der geschrumpften Gemeindegliederzahlen und der bescheidenen Verhältnisse vor Ort. „Niemand, auch wir nicht, können unsere Hände in Unschuld waschen. Das sagen wir als evangelische Kirche von uns selbst", heißt es in einer Erklärung der Konferenz der Kirchenleitungen, die in der ersten Nummer von G+H im Jahr 1990 abgedruckt ist.
"Wer den 1990er-Jahrgang unserer Kirchenzeitung G+H durchblättert, bekommt eine Ahnung davon, wie groß die Aufgaben waren"
Die Hoffnung mancher auf volkskirchliche Verhältnisse erfüllte sich nicht. Statt einer Eintrittswelle deutlicher Mitgliederschwund gleich nach der Wende. Ein Viertel der in der Mitgliederkartei geführten Namen von fünf Millionen Christen in der DDR waren ohnehin "Karteileichen", Zahlungsverweigerer ohne kirchliche Rechte, denen jede müde Ostmark Kirchensteuer schon zu viel gewesen war. Die Aussicht auf automatisch von der Lohnsteuer abgezogene Kirchensteuer in harter Währung ließ den notariellen Austritt geraten erscheinen. Die Stunde der Wahrheit für die Statistik. Als Illusion erwies sich auch, dass die Kirche, die nun gesellschaftliche Anerkennung genoss, zum Anziehungspunkt für viele würde. Bei aller Hochachtung ihrer Rolle in Wendezeiten aber hatte die atheistische Erziehung in 40 Jahren bewirkt, dass Gott und Religion für nicht wenige zu Fremdworten geworden waren. Zwei Drittel der Ostdeutschen waren 1990 laut einer Allensbach-Umfrage nie in der Kirche gewesen oder ausgetreten. Die aktiven Gemeindeglieder allerdings, die ihren Glauben in den vergangenen Jahrzehnten trotz aller Widrigkeiten gelebt hatten, engagierten sich weiterhin in der Kirche, die sich nicht wenden musste.
Organisatorisch freilich gab es eine Menge zu regeln: Wie weiter mit der Wiedervereinigung, die auf staatlicher Seite sehr schnell mit dem Tag der Deutschen Einheit am 3. Oktober 1990 besiegelt worden ist? Eine Klausurtagung mit Vertretern des DDR-Kirchenbundes und der westdeutschen Evangelischen Kirche in Deutschland hatte Mitte Januar in Loccum getagt und eine gemeinsame Kommission angekündigt. „Wir wollen der besonderen Gemeinschaft der ganzen evangelischen Christenheit in Deutschland auch eine organisatorisch angemessene Gestalt in einer Kirche geben", hieß es dort. Und man wolle dabei mit den während der Trennung gewachsenen Unterschieden sorgsam umgehen. „Wir bringen für die gemeinsame Zukunft", so der Thüringer Landesbischof Werner Leich in einem G+H-Interview, „wertvolle Erfahrungen mit." Zum einen die Erkenntnis: Wir sind das Volk Gottes, was in unserer Kirche gelingen soll, das müssen wir selbst mit anpacken. Und die Erfahrung, dass der Dienst der Kirche in Beten und Predigen die politischen Verhältnisse bewegen kann, sobald Gott die Zeit kommen lässt.
Unterschiedliche Gestimmtheit
Am Zustandekommen und dem Inhalt der Loccumer Erklärung gab es Kritik aus den eigenen Reihen durch die Berliner Erklärung eines ökumenischen Initiativkreises. Man müsse die Trennung noch aushalten bis zu einer europäischen Friedensordnung als Konsequenz aus der Europäischen Ökumenischen Versammlung in Basel ein Jahr zuvor. Die Lernerfahrungen der Kirche in der sozialistischen Gesellschaft brauchten Zeit für Trauerarbeit und Selbstkritik als Voraussetzung zu einer gemeinsamen Umkehr. Wir werden zusammenkommen – aber nicht wie die Zicke am Strick, hieß es auf der Synode des Kirchenbundes im Februar. Gut Ding will Weile haben. Bischof Hempel aus Dresden stellte eine „unterschiedliche Gestimmtheit" fest: fast lupenreine Freude aus westdeutscher Sicht, aber eher spröde Zurückhaltung auf der anderen Seite und die Bitte, mit der Umarmung noch etwas zu warten. Noch Jahre werde es unterschiedliche Schwerpunkte geben, die seelsorgerlich begleitet werden müssen.
Da passte der Spendenaufruf einer Dresdner Bürgerinitiative für den originalgetreuen Wiederaufbau der im Krieg zerstörten Frauenkirche im gleichen Monat nicht so recht dazu, hatte die Ruine zu DDR-Zeiten doch Symbolkraft für das Friedensengagement und die Kritik am realexistierenden Sozialismus junger Leute gewonnen, die sich seit den 80er-Jahren mit brennenden Kerzen dort jährlich getroffen hatten. Außerdem: Würde der Prunkbau zum Selbstverständnis einer klein und bescheiden gewordenen Kirche passen?
Unendlich viel zu klären
Dass die Kirchenunion kommt, war klar – aber das Wie! Einen bloßen Beitritt der acht Landeskirchen in der DDR zu den 17 westdeutschen sollte es nicht geben, so die Konferenz der Evangelischen Kirchenleitungen auch im Juni. Für das Zusammenwachsen gebe man sich bis Ende 1993 Zeit. Festhalten wolle man an dem eben beschlossenen Zivildienst, Seelsorge an Soldaten solle im Unterschied zum westdeutschen Militärseelsorgevertrag durch kirchliche Amtsträger außerhalb der Kasernen passieren. Und das Recht auf Seelsorge in staatlichen Einrichtungen müsse festgeschrieben werden ebenso wie die Möglichkeit des Religionsunterrichtes an den Schulen, das staatliche Kirchensteuersystem und die Höhe der Staatsleistungen. Notwendig seien ein neues Mitarbeitervertretungsrecht und eine Besoldungstabelle auf dem Niveau der DDR. Wie geht es weiter mit der Diakonie, und wie steht es mit der Anerkennung DDR-kirchlicher Ausbildungsabschlüsse?
Was die Auflagenhöhe betrifft, hatte die Thüringer Kirchenzeitung bis zur Wende unverändert eine Lizenz für den Druck von 36 000 Exemplaren. In der Stellvertreterfunktion für eine gleichgeschaltete Presse hätte man gut und gern mehr Abonnenten bedienen können. Die schlechten alten Zeiten hatten insofern auch ihr Gutes, als das Presseamt mit Zensureingriffen, verzögerten Auslieferungen oder dem Wegfall ganzer Ausgaben kostenlos Reklame machte und die Westpresse Kirchenzeitungen zitierte. Die Kirchen waren in der Wendezeit Hoffnungsträger Nummer eins und vorübergehend wirklich Volkskirche. Ein schönes Gefühl für alle, denen bis dahin eingeredet worden war, von gestern zu sein.
Die Autorin ist Pastorin i. R. und war von 1990 bis 2007 Chefredakteurin von "Glaube + Heimat".
Autor:Online-Redaktion |
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