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Diakonie
Obdachlosenfürsorge: Jedem «Asylisten» sein eigenes Kämmerchen

Christusfigur auf dem Gelaende der Hoffnungstaler Stiftung Lobetal  | Foto:  epd-bild/Hans Scherhaufer
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Pastor Friedrich von Bodelschwingh revolutionierte die Obdachlosenfürsorge. Er ließ in Berlin Gestrandete in Arbeiterkolonien beherbergen - ab 1906 auch in Lobetal. Es war die Keimzelle der Diakonie in Lobetal, das sich bis heute stetig verändert.  

Von Dirk Baas (epd)

Die mannshohe Christusfigur aus hellem Sandstein steht heute wie vor knapp 120 Jahren an der Stelle, an der die Geschichte der diakonischen Einrichtung Lobetal ihren Anfang nahm. Im faltenreichen Gewand eines Bettelordens und mit nach unten gesenkten offenen Armen grüßt der Heiland herab von seinem Sockel. «Das war damals etwas anders», erläutert Jan Cantow, Leiter der Stabsstelle Geschichte/Erinnerung, die Symbolik des Lobetaler Wahrzeichens. «Die Figur stand einst direkt auf dem Boden. So empfing Christus die neuen Bewohner der Kolonie auf Augenhöhe.»

Wer heute durch den Ortsteil von Bernau läuft, kann sich kaum mehr vorstellen, wie es hier aussah, bevor die obdachlosen Männer aus Berlin ihre harte Arbeit aufnahmen. Wie sie mühsam den Wald rodeten, um Obst- und Gemüseplantagen anzulegen, noch völlig unmotorisiert Landwirtschaft und Viehzucht betrieben. Die drei ersten schlichten Wohnbaracken der Arbeiter im Rücken der Christusfigur sind verschwunden. An ihrer Stelle befinden sich heute auf gleichem Grundriss flache Gebäude, in die die Verwaltung eingezogen ist.

Der umtriebige und politisch bestens vernetzte Theologe Friedrich von Bodelschwingh (1831-1910) hatte im März 1905 den «Verein Hoffnungstal für die Obdachlosen der Stadt Berlin e.V.» mitgegründet, der die Arbeiterkolonien Hoffnungstal und Lobetal aufbaute und betrieb. Sein Credo lautete: «Dass Ihr mir niemanden abweist.» Ein kleines Museum hält mit Modellen, Schautafeln und Fotos die Erinnerung wach, wie die «Asylisten» - wie Bodelschwingh «seine» Obdachlosen nannte - in den Heimstätten lebten.

Nutzbringende Arbeit statt Almosen und Bettelei, menschenwürdige Unterkünfte statt massenhaftes Kampieren in Massenunterkünften und sinnstiftende Gemeinschaft statt Gottlosigkeit und Verrohung - diesen Ansatz verfolgte der Pastor beharrlich. Im Dezember 1905 schrieb Bodelschwingh im ersten Rundbrief an die Förderer der Kolonie Hoffnungstal: Jeder Mann bekomme «ein sicheres Obdach für die Nacht, geschützt vor schweren sittlichen Gefahren, da jeder Asylist sein eigenes Kämerchen bekommen hat» - ein gewaltiger Sprung in der Unterbringung und Versorgung.

Lobetal, kaum 20 Kilometer von Berlin entfernt, ist eine beschauliche Siedlung mit Kirche, Dorfladen, Begegnungszentrum, Touristentreff, Ärztehaus und auch einem Friseur. Die «Hoffnungstaler Stiftung Lobetal» ist ein Komplexträger, also ein größerer Anbieter von vielen verschiedenen diakonischen Hilfen, beschäftigt rund 3.500 Mitarbeitende und gehört als eine von vier Stiftungen zum Verbund der von Bodelschwinghschen Stiftungen Bethel. Die Obdachlosenarbeit spielt kaum noch eine Rolle.

Wer auf der «Bodelschwinghstraße» in Richtung des alten Ortskerns geht, wird auch mit den dunkelsten Tagen des Trägers konfrontiert. Ein mächtiger Findling mit Infotafeln erinnert an die am 13. April 1942 aus dem Ort deportierten Menschen jüdischer Herkunft.

Der Historiker des Hauses, Jan Cantow, zeigt rechts am Weg auf ein etwas zurückgesetztes, weiß getünchtes Gebäude, dessen Grundstück den dahinter liegenden Melchensee berührt. Das ist das Pfarrhaus, das der frühere Anstaltsleiter Paul Gerhard Braune (1887-1954) bauen ließ. 

Hier hat Pastor Uwe Holmer ab Januar 1990 auf Bitten der Kirchenleitung den gestürzten und krebskranken SED- und Staatschef Erich Honecker und dessen Frau Margot rund neun Wochen lang beherbergt. Der spektakuläre Fall von Kirchenasyl wurde verfilmt und kam 2022 mit Edgar Selge in der Hauptrolle als Honecker auf die Leinwand.

Was ist das Verbindende der Lobetaler Arbeit heute? Die diakonische Einrichtung stütze sich auf zwei Leitsätze, sagt Geschäftsführer Martin Wulff: «Gemeinschaft verwirklichen» und «Wir sind da für Menschen». Gemeinschaft zu verwirklichen bedeute, für eine Kultur des Miteinanders, des Respekts und der Teilhabe zu stehen. «Wir sind da für Menschen» spiegele sich in allen Arbeitsfeldern wider: «Diakonie ist immer an der Seite der Menschen, die auf Unterstützung angewiesen sind. Uns ist wichtig, dass der christliche Geist sichtbar ist.»

Autor:

Katja Schmidtke

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