Nachgefragt
Praxistest Friedensethik
In einem Referat zur theologischen Friedensethik angesichts des Ukrainekriegs, das der Erfurter Theologieprofessor Michael Haspel vor der Synode des Reformierten Kirchenkreises hielt, bezog er sich auf die Charta der Vereinten Nationen. Renate Wähnelt sprach mit ihm.
Was hat die UN-Charta mit christlicher Friedensethik zu tun?
Michael Haspel: Frieden ist ein zentraler christlicher Heilsbegriff, und das Verhältnis von Christen zum Krieg wurde zu einem Problem, als das Christentum Staatsreligion wurde. Augustinus entwickelte dann die bellum-iustum-Lehre, die Lehre vom gerechten Krieg. „Iustus“ heißt aber auch „gerechtfertigt“. Damit wurde nach der Verhältnismäßigkeit eines Krieges gefragt, die Notwendigkeit eines Krieges musste begründet werden. Diese Aspekte finden sich in der UN-Charta wieder, die nicht allein Krieg, sondern jeden Zwang gegen andere Staaten ablehnt, außer zur Selbstverteidigung.
Erlaubnisgrund und Autorisierung
Daran schließt die Friedensdenkschrift der EKD an, indem sie Kriterien rechtserhaltender Gewalt benennt: Es muss einen Erlaubnisgrund geben sowie eine Autorisierung, es muss die richtige Absicht verfolgt werden, es muss das äußerste Mittel sein, die Verhältnismäßigkeit der Mittel und der Folgen muss stimmen, und es muss unterschieden werden zwischen Zivilisten und Militär. Nur dann ist Gewalt aus Sicht der christlichen Friedens-ethik zu rechtfertigen.
Der Krieg Russlands erweist sich als Praxistest für die christliche Friedensethik. Welche Schlussfolgerung ziehen Sie hinsichtlich der Unterstützung für die Ukraine?
Die Selbstverteidigung der Ukraine ist ethisch gerechtfertigt, zumal die Vereinten Nationen nicht in der Lage sind, sie gegen diesen Angriffskrieg Russlands zu schützen. Daraus folgt, dass andere Staaten Waffen an die Ukraine nicht nur liefern dürfen, sondern dazu sogar verpflichtet sind, wobei sie aber die Verhältnismäßigkeit wahren müssen, zum Beispiel keine strategischen Waffen liefern. Aber das ist nur eine Notmaßnahme. Es muss alles getan werden, um über Verhandlungen die Kampfhandlungen schnellmöglich zu beenden.
Welche Handlungsmöglichkeiten sehen Sie für Kirchengemeinden?
Christliches Friedenshandeln beginnt mit dem Gebet und konkreten Hilfen, wie es ja praktiziert wird. Wir Christen sollen auf der Grundlage unserer Friedensethik qualifiziert an der gesellschaftlichen Urteilsbildung mitwirken und Friedenskräfte unterstützen. Wir können eine ökumenische globale Friedensdiskussion initiieren. Ich denke, wir müssen akzeptieren, dass sowohl militärische Abschreckung nötig ist als auch eine Stärkung der Konfliktbearbeitung im Dialog, durch Kooperation und Versöhnung. Gemeinden können durch ökumenische, grenz-überschreitende Kontaktpflege das Miteinander vorbereiten, das es nach dem Krieg wieder geben muss.
Autor:Online-Redaktion |
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