Sommerinterview
Schwarzseher oder Durchblicker?
Mit seiner Streitschrift »Geht der Kirche der Glaube aus?« sorgt der Schriftsteller Klaus-Rüdiger Mai für Diskussionen. Sabine Kuschel sprach mit ihm über Heimat, ostdeutsche Erfahrung und warum unsere Gesellschaft den Glauben und die Kirche braucht.
Herr Mai, die Zukunft der Kirche wird nicht politisch sein, sondern im Glauben wurzeln, ist eine Ihrer Thesen. Was ist Ihnen am Glauben so wichtig, dass er nicht verlorengehen darf?
Mai: Der Glauben ist für mich das Fundament der Kirche, der Grund, warum Kirche besteht. Nämlich, dass wir den Glauben an Jesus Christus, den Glauben an Tod und Auferstehung und an das Leben in der anderen Welt, dass wir diesen Glauben weitertragen und in uns haben. Das ist die frohe Botschaft, die wir zu verbreiten haben als Christen.
Können Sie das noch etwas näher erläutern?
Mai: Luther sagt zu Recht: der Gerechte lebt aus Glauben allein. Durch den Glauben allein werden wir gerettet. Aber es kommt etwas Zweites hinzu: Glauben bedeutet auch Glauben an die Schöpfung, an das, was uns Gott übergeben hat und wofür wir auch verantwortlich sind.
Und deswegen ist der Glauben auch ein wichtiges Mittel gegen die Selbstvergottung des Menschen. Wir können inzwischen technisch viel mehr machen, als wir moralisch zu verantworten in der Lage sind. Durch diese technischen Möglichkeiten entstehen Allmachtfantasien. Für unseren Fortbestand ist diese Dimension, dass der Mensch nicht vollkommen ist, sehr wichtig. Der Mensch ist sündhaft. Er braucht den Glauben, braucht die Vergebung.
Nun ist Ihr hauptsächlicher Kritikpunkt an der Kirche deren parteipolitisches Engagement. Sie sehen darin eine Ursache für den Mitgliederschwund. Heißt das: Wenn sich die Kirche stärker auf ihre Botschaft, den Glauben konzentrieren würde, ließen sich Menschen zurückgewinnen?
Mai: Das glaube ich, weil ich immer wieder gehört und gelesen habe, dass Menschen nach inneren Kämpfen die Kirche verlassen haben. Sie sagen, ich gehe in den Gottesdienst und was ich höre, ist eine Predigt, von der man den Eindruck hat, dass der Pfarrer sich in der Politik besser auskennt als in der Bibel. Das möchte ich mir nicht länger anhören. Ich möchte mich nicht parteipolitisch belehren lassen, sondern ich suche in der Kirche den Glauben. Wenn ich das in der Kirche nicht bekomme, dann kann ich selbst die Bibel lesen und im Glauben leben.
Ich bin mir sicher, dass man erstens Menschen zurückgewinnt und zweitens Menschen halten kann, die über ihre Kirche verzweifelt sind, weil Glauben durch Moral ersetzt wird.
Sollte die Kirche Ihrer Meinung nach ganz auf politisches Engagement verzichten?
Mai: Ich bin dafür, dass Kirche politisch wirkt. Die Frage ist nur: Wie sieht das politische Wirken aus? Die Kirche lebt in einem politischen Raum. Sie kann gar nicht anders als politisch agieren. Nur eben nicht parteipolitisch. Das ist ein Unterschied. Auf sechs Grundaufgaben sollte sich die Kirche konzentrieren: Bibelstudium, Gottesdienst, Seelsorge, Caritas/Diakonie, Bildung und Mission.
Wenn sie diese Aufgaben richtig erfüllt, dann wirkt sie politisch, weil wir in einer Demokratie leben. Das heißt, jeder Bürger hat die Möglichkeit und das Recht, am politischen Geschehen mitzuwirken, sich auch parteipolitisch einzubringen.
Kirche in der Diktatur sieht anders aus. Da muss Kirche auch andere Funktionen wahrnehmen, weil die Bürger diese Rechte nicht haben, aber in einer Demokratie haben sie sie. Und wenn diese Aufgaben richtig bearbeitet werden, dann schafft das in den Gläubigen auch ein christliches Bewusstsein.
Mit diesen christlichen Vorstellungen gehen sie in die Welt hinaus und engagieren sich politisch. So kommt auch eine christliche Haltung in die Welt. Durch das Wirken der Christen. Dann ist Kirche politisch, denn Kirche sind wir alle. Wie es im Credo heißt, »die Gemeinschaft der Heiligen«.
Sie schreiben: Gerade mit diesen parteipolitischen Stellungnahmen verprellt die Kirche Menschen, vor allem in dem Moment, wenn sie sie als rechtspopulistisch einstuft. Was, wie Sie schreiben, nur rechts von einer rot-grünen Überzeugung ist. Ich vermute, mit solchen Thesen stehen Sie ziemlich allein da und die bringen Ihnen viel Ärger ein?
Mai: Nein, überhaupt nicht. Ich werde bestätigt in dieser Vorstellung. Ich rede nicht von linken Vorstellungen, nicht von rechten Vorstellungen, weil ich der Meinung bin, dass sich das Links-Rechts-Schema überholt hat. Das muss man philosophisch, gesellschaftsphilosophisch viel genauer fassen.
Was wir haben, ist aber ein rot-grünes Mainstream-Bewusstsein. Das hat aber wenig mit rechts und links zu tun. Ich konstatiere: Wenn eine Politik verfehlt ist, sich aber nicht der Kritik stellt, sondern diese diffamiert, dann kann das zwei Gründe haben:
Entweder sieht Politik nicht die Wirklichkeit, oder sie hat keine Lösung für die Wirklichkeit. Dann versucht sie, auf semantischer Ebene das zu regeln, was sie auf politischer Ebene nicht hinbekommt. Das ist schädlich für den demokratischen Prozess in der Gesellschaft. Das wird zunehmend deutlicher.
Ich würde gern auf das Essay, das Sie in der Neuen Zürcher Zeitung geschrieben haben, zu sprechen kommen: »Der Tag, an dem ich ein Ostdeutscher wurde«. Was war der Anlass?
Mai: Der Anlass war ein Artikel in der FAZ von Ralph Bollmann. Er schrieb eine Geschichte von einer großen Einwanderung in die Bundesrepu-
blik. Diese Migranten, die an einem Tag eingewandert seien, hätten sich nicht integriert. In der zweiten Generation sei die Integration sogar noch geringer.
Den Grund für diese mangelnde Integration sieht der Autor darin, dass die Menschen sich nicht selbstkritisch damit auseinandersetzen, wer sie sind und was sie sind und deshalb auf falsche Lösungen kommen. Gemeint waren die Ostdeutschen. Das hat mich zutiefst empört, weil ich plötzlich spürte, ich werde ausgegrenzt.
Ralph Bollmann erklärt, dass die Bundesrepublik sein Staat ist und nicht meiner. Ich habe mich dagegen verwahrt und dieses Essay geschrieben. Man kann nicht, weil wir gesellschaftlich und politisch in schwierige Gewässer kommen, die Ostdeutschen zu Sündenböcken machen.
Deswegen habe ich gesagt, gut, dann bin ich jetzt Ostdeutscher und bringe die ostdeutsche Tradition stärker nach vorn. Die ostdeutsche Erfahrung ist nun einmal die, dass wir die Demokratie nicht geschenkt bekommen haben wie die Westdeutschen, sondern wir haben sie uns erkämpfen müssen. Ich glaube, für dieses Deutschland ist die Erfahrung der erkämpften Freiheit, der erkämpften Demokratie etwas ungemein Wichtiges und ein geradezu demokratisierender Impuls.
Zum Schluss noch das Thema Heimat. Es ist richtig in Mode gekommen. Sie haben sich auch mit Begriffen wie Nation, Identität und Heimat auseinandergesetzt. Was ist für Sie Heimat?
Mai: Für mich ist Heimat vor allem ein geistiger und kultureller Raum. Das bedeutet, Heimat setzt sich für mich zusammen aus den geistigen Traditionen von Martin Luther, aber auch schon von Walther von der Vogelweide,
vom Nibelungenlied. Von Martin Luther über Goethe, Thomas Mann bis heute.
Bei den Musikern Johann Sebastian Bach, Mozart, Beethoven. Das gehört für mich alles – auch wenn Mozart ein Österreicher war – zum Begriff der Heimat. Wenn ich beispielsweise in der Kirche die Aufführung eines Werkes von Mendelssohn-Bartholdy oder Bach höre, dann ist das für mich Heimat.
Ich möchte, dass diese Werte und dieser kulturelle Reichtum weiter existieren, weil sie ein Teil unseres Erfolges und unserer Identität sind.
Dr. Klaus-Rüdiger Mai, geboren 1963, Schriftsteller und Historiker, verfasst historische Sachbücher, Biographien und Essays sowie historische Romane. Sein Spezialgebiet ist die europäische Geschichte.
Autor:Online-Redaktion |
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