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Kontroverse
Sollte sich die Kirche für ihr Verhalten entschuldigen?

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Während der Pandemie blieben viele Kirchen geschlossen. Zeitweise fanden Gottesdienste gar nicht, mit strengen Auflagen oder stark eingeschränkten Besucherzahlen statt. Mancherorts wurden Ungeimpfte ausgeschlossen. Die Kirche sollte kritisch auf die Schutzmaßnahmen schauen und für ihr Verhalten um Entschuldigung bitten, findet EKBO-Bischof Christian Stäblein. Ganz anders sieht das der Theologische Vizepräsident der westfälischen Kirche Ulf Schlüter.

Pro

Christian Stäblein, Bischof der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz (EKBO) | Foto: epd-bild/Heike Lyding
  • Christian Stäblein, Bischof der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz (EKBO)
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Wichtig ist, dass wir kritisch und ehrlich benennen, was gut war, war ja viel. Und benennen, was aus heutiger Sicht falsch gewesen ist. Darunter fällt als Erstes, dass wir nicht Stopp gerufen haben, als Schulen und Kitas geschlossen und Jugendarbeit zugemacht wurde. Es gilt, daraus zu lernen – und uns bei den jungen Menschen zu entschuldigen. Viel Lebensqualität und -möglichkeiten wurden einer Generation geraubt. Die umstritteneren Punkte der Debatte sind gewiss andere. Bei der Absage von Gottesdiensten in Präsenz bin ich ambivalent. Ich hätte mir mehr Festigkeit und Zutrauen in dessen Bedeutung gewünscht. Aber ich erinnere mich auch an die gesellschaftliche Angst in den Zeiten der Lockdowns. Das darf man heute nicht ausblenden.
Zentral war mit Recht die Suche nach Lebensschutz – und also richtigerweise Gottesdienst als Dienst am Nächsten statt als Selbstbehauptung. Dazu traten anders als in Pestzeiten die medialen Alternativen. Hier geht also Aufarbeiten vor pauschaler Entschuldigung. In der EKBO galt, dass die Entscheidungen vor Ort von der landeskirchlichen Leitung unterstützt werden, so oder so – mit klarer Priorität für Gottesdienste in Präsenz. Vom ersten Lockdown 2020 abgesehen, gab es hier nie eine pauschale Absage.
Bleibt die Frage der Entschuldigung gegenüber denen, die keine Impfung wollten. Hier ist in der Tat mancher Satz der Ausgrenzung zu beklagen, für den ich mich heute entschuldigen möchte. Ich bin überzeugt, dass die Impfmöglichkeit entscheidend dafür war, dass wir heute die Pandemie hinter uns haben. Dennoch: Hier hätte es christliche Weite geben sollen. Das muss man auch sagen.

Kontra

Ulf Schlüter, Theologischer Vizepräsident der Evangelischen Kirche von Westfalen | Foto: epd-bild/Detlef Heese
  • Ulf Schlüter, Theologischer Vizepräsident der Evangelischen Kirche von Westfalen
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Kein Zweifel: Die kritische Analyse der politischen und kirchlichen Maßnahmen in der Corona-Pandemie tut not. Bevor die nächste Seuche kommt, sollten wir aus der letzten lernen. Welche Maßnahmen haben gewirkt, welche waren überzogen? Das ist – wissenschaftlich fundiert – zu klären. Dass Kindergärten und Schulen etwa zu lange und zu oft geschlossen blieben, lässt sich mit dem Wissen von heute erkennen.
Dabei muss man die Phasen der Pandemie strikt unterscheiden: Die drastischen Maßnahmen des ersten Corona-Jahres, ohne Impfstoff, mit unwägbarem Risiko, mit überfüllten Intensivstationen und erschöpften Pflegekräften, sind anders zu bewerten als die des zweiten und dritten Jahres. Eine pauschale „Entschuldigung“ der Kirchen „für ihr Verhalten“ nützt wenig, sie wäre billig und verkehrt. Geschlossene Kirchen und der Verzicht auf Gottesdienste in Präsenz waren im ersten Jahr ein Akt von Solidarität und Verantwortung.
Angesichts medizinisch begründeter Kontakt- und Versammlungsverbote zeitweilig auf Präsenz zu verzichten, statt unter Verweis auf Gottvertrauen und Religionsfreiheit neue Infektionen zu riskieren, war und bleibt richtig. Immense Energie haben Kirchengemeinden in dieser Phase in Alternativen investiert: Seelsorge per Telefon, digitale Gottesdienste, Predigten „to go“ am Kirchenzaun, Freiluftchöre vor Pflegeheimen. Für die Zukunft ist vor allem eins zu klären: Dass Sterbende in Hospizen, Palliativstationen und Pflegeheimen auch in einer Pandemie begleitet werden müssen. Das haben Seelsorger gegen viele Widerstände oft, aber nicht oft genug geschafft. Hier hätten wir lauter widerstehen müssen.

(idea)

Autor:

Online-Redaktion

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