Klimawandel: Wir selbst sind das Problem – und seine Lösung
Und täglich grüßt das Gewohnheitstier
Von Kristóf Bálint
Eingefahrene Wege
Allmorgendlich gibt es ein bemerkenswertes Schauspiel. Unter unserer Dienstwohnung entladen sich Heerscharen von Schülern der umliegenden Dörfer aus den Bussen und gehen zur Schule, die sich im Zentrum der Stadt Bad Frankenhausen befindet. Ich muss dabei immer an Almabtriebe denken, bei denen zahllose Kühe, Glocken schellend, ihren heimischen Höfen zustreben. So ähnlich vollzieht sich auch dieser Marsch. Dabei gehen die Jugendlichen immer den gleichen Weg, egal ob dort gerade ein Auto fährt oder steht oder ein anderes Hindernis ihren Weg versperrt. Unlängst sah ich, wie sich Jugendliche mühsam in gebückter Haltung unter einem größeren Busch bewegten, weil ein Auto auf dem gewohnten Wegstück stand. Auf der anderen Seite des Busches war alles frei. Wieso gingen Sie nicht dort entlang, zwei Meter weiter rechts vom gewohnten Weg? Es wäre einfacher, wenn auch zwei Meter länger gewesen. Merkwürdig.
Oder ist es ein Sinnbild für die eingefahrenen Wege in unserer Gesellschaft? So wie die gedankenverlorenen, müden und ins Gespräch über den abendlichen Film versunkenen, für Gefahren oft unachtsamen Schüler, kommen wir nicht aus unseren „Gleisen“ raus. Eingefahrene Wege, eingetretene Pfade, eingefleischte Verhaltensweisen…
Umdenken fängt im Alltag an
Wo ich das wahrnehme? Ich will ein paar Beispiele aus der Fülle nennen, die mir vor Augen sind: Durch diverse Skandale und Berichte verschreckt, greifen wir häufiger zu Bio-Produkten. Weil aber der Deutsche jedes Gemüse und Obst in der Selbstbedienung befingern und verschiedenen Druckstärken aussetzen muss, wird jede nach EG-Recht konform gekrümmte Gurke in Plastik eingeschweißt. Dafür sind wir sensibilisiert und ereifern uns doch über den Verpackungswahn der Industrie. Das Problem liegt aber anderswo. Bei uns Konsumenten. Meinten wir nicht, jede Frucht einzeln prüfen zu müssen, als wären wir der Gütekontrolleur des Supermarktes, gäbe es dieses Problem vermutlich nicht. Auch dann nicht, wenn jeder, der Gemüse und Obst (ob Bio oder nicht) kaufen möchte, der Verkäuferin sagte: „Ich würde diese Möhren ja kaufen, wären sie nicht eingeschweißt.“ Hören das Supermarktbesitzer oder Verkäuferinnen jeden Verkaufstag hunderte Male, stünde bald ein Gefäß für Plastikmüll daneben - am Ausgang der Läden gibt es sie ja schon. Und nach ein paar Wochen hingen Papiertüten zum Selbstabfüllen für Obst und Gemüse an den Kisten. Kein Supermarktleiter tut sich solche Hinweise länger als nötig an. Freilich bräuchte es dann auch die Vernunft der Käufer, nicht alles zu befingern und zu drücken, denn die Ware soll ja auch noch dem Übernächsten gefallen.
Öko: Logisch!
Ein weiteres Beispiel: Wir alle wissen, dass eine gesunde Ernährung zu mehr Gesundheit und Wohlbefinden führt. 37 renommierte Wissenschaftler haben in der Fachzeitschrift „The Lancet“ gesagt, was das konkret heißt: „Eine gesunde und zugleich ökologisch nachhaltige Ernährung sähe folgendermaßen aus: 43 Gramm Fleisch (darunter 7 Gramm rotes Fleisch) pro Tag, dafür aber 500 Gramm Gemüse und Obst und 125 Gramm Hülsenfrüchte und Nüsse sollte eine Person verzehren. Als weitere Energielieferanten dienen jeweils knapp 250 Gramm Körner (Getreide, Mais oder Reis) und Milchprodukte. Erlaubt sind zudem knapp 50 Gramm Fett, davon fast ausschließlich solches mit ungesättigten Fettsäuren pflanzlichen Ursprungs, und 30 Gramm zusätzlicher Zucker.“
Was tun wir? Wir essen mehr, vor allem Fleisch, wir essen fettiger, süßer und vor allem billiger. Gleichzeitig ereifern wir uns darüber, dass es Lebensmittelskandale gibt, um noch Gewinne machen zu können, die die Aktien attraktiv bleiben lassen oder die es ermöglichen, den Angestellten Mindestlohn zu zahlen. Wer nach billigem Fleisch greift, tut sich erstens selbst nichts Gutes und sorgt zum zweiten dafür, dass es solche Skandale weiterhin geben wird. Wir sollen ja ruhig Fleisch essen, nur seltener, weniger und ausgewählter. Wenn die Bauern wissen, dass Sie ihr gut und natürlich gezüchtetes - nicht „produziertes“, ein absolut unerträgliches Attribut bei Tieren - Fleisch auch zu kostendeckenden Preisen verkaufen können, werden Sie weniger Medikamente ins Futter mischen, damit die Tiere nicht krank werden und wir resistent gegen Krankheiten. Ich kann den Witz nicht lustig finden, der einem an Grippe Erkrankten als Arznei Hühnerbrühe empfiehlt, denn da wären die Medikamente schon mit drin.
Teilen statt entsorgen
Ein weiteres Beispiel: Mülltrennung. Ich bekenne, dass ich zu denen gehöre, die den Müll ordentlich trennen, gelegentlich auch anderen hinterhersortieren. Auch allen Unkenrufen zum Trotz, dass der getrennte Müll noch immer verbrannt oder nach Asien verschifft wird. Mir leuchtet nicht ein, wieso Menschen, die immer laut lamentieren, dass sie zu wenig Geld haben, am Jahresende dasselbe zum Fenster hinauswerfen und Böller kaufen, deren Reste ich noch Monate lang aus meinem Dienstgarten harke. Gleiches gilt auch für das Konfetti zum Straßenfasching. Das ist widersinnig. Sollte dieses Geld nicht besser für einen Ausflug mit den Kindern oder Enkeln oder in eine Schaukel für sie investiert werden? Vom produzierten Feinstaub rede ich da noch nicht einmal.
Wir allen könnten von den 18 Millionen Tonnen Lebensmitteln wissen, die jährlich allein in Deutschland weggeworfen werden – obwohl sie großenteils noch genießbar sind. Warum führen wir nicht eine Abgabepflicht von Lebensmitteln ein, deren Mindesthaltbarkeitsdatum abgelaufen ist? Manche Läden in unserer Stadt machen gute Erfahrungen damit, Lebensmittel kurz vor Ablauf der Mindesthaltbarkeit im Preis reduziert zu verkaufen.
Eine REWE-Filiale in Bad Brückenau hat sogar ein Foodsharing-Regal eingerichtet. Lebensmittel, deren Haltbarkeitsdatum abgelaufen ist, können dort gratis mitgenommen werden. Lebensmittel werden gerettet, sie helfen finanzschwachen Menschen und vermeiden Müll. Allen ist geholfen. In Tschechien werden die Supermärkte sogar gesetzlich verpflichtet, Lebensmittel an Tafeln abzugeben, statt wegzuwerfen. In Deutschland dagegen werden Menschen, die sich aus den Abfallbehältern Lebensmitteln entnehmen, weil sie Hunger haben oder damit den Wegwerfwahn kritisieren wollen, vor Gericht gestellt.
Mein Versuch, in Bad Frankenhausen dem Brückenauer Beispiel als erste Filiale Thüringens zu folgen, wurde von zwei Märkten leider abschlägig beschieden. Dabei wäre es so einfach und TV-Berichte wären garantiert.
Nachhaltig ist, was Ganzheitlich gedacht wird
Ich könnte weitermachen und von Rauchern erzählen, die am Strand ihre Zigarettenkippen in den Sand drücken - sieht ja keiner - und sich gleichzeitig über die Vermüllung von Meer und Strand aufregen. Auch ihre Zigaretten brauchen Jahrzehnte, um nur teilweise abgebaut zu werden. Die Schadstoffe in den Filtern gelangen ins Grundwasser. Guten Durst!
Oder ich könne erzählen von Menschen, die so oft wie möglich in den Urlaub fliegen, obwohl die Ökobilanz dieser vielen Flüge verheerend ist. Viele Menschen können in ihrem ganzen Leben nicht so viel Dieselauto fahren, wie sie mit einem Urlaubsflug anteilig Schadstoffe in die Atmosphäre abgeben. Noch schlimmer sind Kreuzfahrtschiffe, die zur Zeit so intensiv beworben werden wie weiland die Zigaretten. Die Wirkung ist bei Zigaretten und Kreuzfahrtschiffen vergleichbar.
Bewahren ist Teil des Beherrschens
Das biblische Schöpfungszeugnis ist in seiner Aussage dazu ganz klar. Der Mensch wird von Gott beauftragt, die Welt zu beherrschen. Im 1. Buch Mose 1,28 steht: „Seid fruchtbar und mehret euch und füllet die Erde und machet sie euch untertan und herrschet über die Fische im Meer und über die Vögel unter dem Himmel und über alles Getier, das auf Erden kriecht.“
Das altorientalische Denken schließt das Bewahren und Schützen ins Herrschen ein. Ein guter Herrscher ist nur, wer für die Untergebenen sorgt und das soziale Gefüge in einem guten Gleichgewicht hält. Insofern ist uns sehr klar und unmissverständlich aufgetragen, die Möglichkeiten zu nutzen, die uns gegeben sind, diese Erde, diese Schöpfung zu bewahren und ihr zu ihrem Besten zu dienen. Ansonsten dürften wir unseren Kindern und Kindeskindern nicht mehr sagen, dass wir sie liebten, denn unsere Taten widersprächen unseren Worten.
Die 16-jährige Greta Thunberg zeigt uns gerade, dass wir Erwachsenen an unseren Taten gemessen werden. Inzwischen zehntausende Schüler in aller Welt machen mit bei den „fridays for future“. Wir Erwachsenen debattieren lieber darüber, ob dieses Schuleschwänzen in Ordnung ist, statt dem mehr als berechtigten Anliegen nachzudenken und unser Leben zu ändern. Greta Thunberg legt alle Strecken, die sie fährt, nur mit Zug oder Bus zurück und ist damit sehr authentisch. Ich wünschte, die meisten von uns könnten das auch sagen.
Jeder unnütze Flug, jede Kreuzfahrt, jedes weggeworfene Lebensmittel machen uns unglaubwürdiger und zu schlechten Herrschern, die es nicht verdient haben, eine solch schöne Schöpfung anvertraut zu bekommen.
Groß denken heißt klein beginnen
Deshalb ist es wichtig, dass wir im Kleinen ernst machen und unser Verhalten ändern. Lebensmittel noch im Supermarkt entpacken oder besser Lebensmittel nur dann kaufen, wenn sie nicht eingeschweißt sind. Lebensmittel auch noch essen, wenn die Mindesthaltbarkeit abgelaufen ist - Mindesthaltbarkeit sagt ja schon als Wort, dass es danach nicht schlecht ist. Auto öfters, wenn irgend möglich, stehen lassen, auf Flug- und Kreuzfahrttouren möglichst verzichten, den Kamin nicht bauen oder nur selten anheizen…
Es gibt so viele Möglichkeiten, sich einzubringen und zu engagieren, nutzen wir sie, erweisen wir uns als gute Herrscher und erweisen wir unseren Kindern und Kindeskindern, dass wir sie wirklich lieben, indem wir ihnen eine gute und gepflegte Erde übergeben.
Der Autor ist Superintendent im Kirchenkreis Bad Frankenhausen-Sondershausen.
Autor:Online-Redaktion |
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